Captain Armus von der Colossus legte die Stirn in Falten. »Das ist ein sehr großer Schritt, den Sie da von uns erwarten. Indirekt stellen Sie damit alle Offiziere dieser Flotte unter Generalverdacht. Wenn wir uns einverstanden erklären, uns verhören zu lassen, dann legen wir die Frage sehr großzügig aus, welche Handlungen gegen andere Offiziere zulässig sind, auch gegen Offiziere, die nicht mal im Entferntesten eines Verbrechens verdächtigt werden.«
Zahlreiche Offiziere nickten zustimmend, und sogar Geary lehnte Cresidas Vorschlag reflexartig ab. Wenn sie einen Präzedenzfall schufen, durch den es möglich wurde, jeden beliebigen Offizier zu verhören, auch wenn der gar keines Verbrechens verdächtigt wurde, dann schossen sie damit wahrscheinlich weit übers Ziel hinaus.
Aber würde er womöglich genauso denken, wäre ihm nichts von der Nachricht bekannt, die von der Lorica eingegangen war? Oder würde er von Wut und Frust getrieben Cresida zustimmen und damit ein entscheidendes Element dieser Flotte unterhöhlen? Es hatte ihn entsetzt zu sehen, wie sich die Prinzipien der Allianz im Laufe von hundert Jahren Krieg verändert hatten, doch in Augenblicken wie diesen konnte Geary nachvollziehen, wie leicht es war, Kompromisse einzugehen und wichtige Prinzipien zu beschneiden oder ganz auszuhebeln – aber natürlich »nur dieses eine Mal, weil es unbedingt nötig ist«.
»Co-Präsidentin Rione hat sich auch freiwillig einem Verhör unterzogen, als sie unter Verdacht stand«, gab ein Captain der Callas-Republik zu bedenken.
»Von einem Politiker kann man wohl kaum erwarten, dass seine Vorstellung von Ehre mit der eines Flottenoffiziers vergleichbar ist«, platzte Armus heraus, dann lief er rot an, als er gewahr wurde, dass Rione an der Konferenz teilnahm.
»Angesichts der Tatsache, dass sie eine Allianz-Senatorin ist«, betonte Duellos, »war das durchaus ein vergleichbarer Akt.«
»Außerdem«, ließ Captain Desjani in einem trügerisch neutralen Tonfall verlauten, »sind hier doch viele der Ansicht, dass Politiker fürchten müssten, bei einem solchen Verhör jeden Fehltritt zu enthüllen, den sie sich in ihrer Karriere erlaubt haben. Von daher war Co-Präsidentin Riones Einverständnis von viel größerer Bedeutung, als wenn ein Offizier der Flotte einem Verhör zustimmt.«
»Vielen Dank, Captain Desjani«, gab Rione äußerst frostig zurück.
Geary hatte zugelassen, dass die Diskussion so ausuferte, weil er Zeit schinden musste. Jetzt bemerkte er, wie Colonel Carabali den Kopf drehte, um auf etwas zu schauen, das nur sie sehen konnte. Dann nickte sie Geary zu. Die Falle war bereit.
Er klopfte auf den Tisch, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Wir müssen nicht die Ehre eines jeden Offiziers infrage stellen, und wir müssen auch keine Massenverhöre durchführen, die der Struktur und Disziplin dieser Flotte schaden würden.« Alle sahen ihn an und fragten sich, was er als Nächstes sagen würde. Sogar Desjani brachte es fertig, eine ratlose Miene zu machen. »Stattdessen werden wir die Toten sprechen lassen.«
Den Gesichtern der versammelten Offiziere war teilweise Erschrecken, teilweise Erstaunen anzusehen, während Geary mit einem Finger auf die Tischplatte tippte. »Die Befehlshaberin der Lorica war in der Lage, unmittelbar vor der Zerstörung ihres Schiffs eine wichtige Nachricht über eine Entdeckung zu versenden, auf die sie gestoßen war. So wie Captain Cresida bereits in Erwägung gezogen hatte, spricht alles dafür, dass die Verräter vermutet haben, Commander Gaes wisse zu viel und müsse deshalb ausgeschaltet werden.« Mit Gewissheit konnte er das nicht sagen, schließlich wusste er nicht, wie lange Gaes bereits bekannt gewesen war, von welchem Schiff dieser neue Wurm stammte. Sie hatte ihn vor dem ersten Wurm gewarnt, aber sie hatte nie ein Wort über die Drahtzieher gesagt. Deshalb war gar nicht klar, ob ihr deren Identitäten bekannt gewesen waren oder nicht. Auf jeden Fall war sie in Erfüllung ihrer Dienstpflicht gestorben, und sie hatte ihn mit der Information versorgt, die für ihn so wichtig war. Allein aus dem Grund verdiente sie es, dass er nur das Beste über sie dachte.
Er gab einen Befehl auf den Tasten ein, dann erschien die Nachricht von der Lorica, die im Konferenzraum über dem Tisch schwebte und die von der Software so dargestellt wurde, dass jeder Teilnehmende sie vor sich sah und den Inhalt lesen konnte. »Sie erinnern sich sicher noch an den ersten Wurm, der so programmiert und in die Betriebssysteme der Flotte eingeschleust worden war, dass er den Sprungantrieb der meisten Schiffe außer Funktion gesetzt hätte – mit Ausnahme weniger Schiffe wie der Dauntless, die dazu verdammt gewesen wäre, für alle Ewigkeit durch den Sprungraum zu treiben.« Er deutete auf die angezeigte Nachricht. »Dort findet sich der Hinweis, den wir so lange gesucht haben. Dort steht, von welchem Schiff der Wurm verbreitet wurde.« Alle starrten ihn an, während er seinen Blick zu Kila wandern ließ. »Captain Kila, der Wurm stammt von der Inspire.«
Kila schien erschrocken auf diese Neuigkeiten zu reagieren. »Sind Sie sich ganz sicher?«
»Ja, Captain Kila. Würden Sie uns bitte erklären, wieso Ihr Schiff eine Quelle schädlicher Software ist, die sich gegen Ihre Kameraden in dieser Flotte richtet?«
»Ich verbitte mir diesen unterstellenden Tonfall, Captain Geary!«, fuhr Kila ihn an.
»Wir sollten unverzüglich den Befehl an die Inspire geben, alle zu verhaften, die damit zu tun haben könnten«, drängte Badaya. »Tun Sie es sofort, bevor diejenigen davon erfahren!«
Kila drehte sich zu Badaya um. »Diese Nachricht ist nicht mal auf ihre Echtheit hin überprüft worden. Stammt sie überhaupt wirklich von der Lorica? Und falls ja, ist sie echt oder gefälscht? Ich versichere jedem Offizier hier: Wenn ich davon gewusst hätte, wäre ich auf der Stelle persönlich gegen diejenigen vorgegangen, die sich das da ausgedacht haben. Was Ihren Vorschlag angeht, Captain Badaya, so bin ich auch ohne Ihre Hilfe in der Lage, die betreffenden Offiziere verhaften zu lassen und dafür zu sorgen, dass sie alles verraten, was sie wissen.«
Wäre er von Rione nicht darauf hingewiesen worden, dann hätte Geary wohl kaum darauf geachtet, wie Kilas Hand aus dem Erfassungsbereich der Software verschwand, um irgendwelche Tasten zu bedienen. »Jeder, der es wünscht, kann diese Nachricht auf ihre Echtheit überprüfen«, gab er zurück und wahrte einen ruhigen Tonfall, obwohl er Kila am liebsten angebrüllt hätte. »Jeder Kommunikations- und Sicherheitsoffizier, der sich bislang mit dieser Nachricht beschäftigt hat, konnte bestätigen, dass sie von der Inspire stammt. Ihnen war nicht bekannt, dass der Wurm von Ihrem Schiff aus verschickt worden ist?«
»Natürlich nicht!« Kila schaute sich wütend um, dann sah sie zu Duellos. »Das haben Sie eingefädelt, wie? Der vor langer Zeit verschmähte Liebhaber hat sich endlich rächen können!«
Für Duellos war es kein Problem, eine Unschuldsmiene aufzusetzen, als er den Kopf schüttelte. Er war nicht vorab über die Existenz dieser Nachricht informiert worden, dennoch sah man ihm deutlich an, wie wenig er diese Frau leiden konnte. »Ich hätte eigentlich gedacht, dass ein befehlshabender Offizier in einer solchen Situation weniger an sich selbst denkt und mehr darum besorgt ist, die Quelle dieses Wurms auf seinem Schiff ausfindig zu machen.«
»Die Verantwortlichen werden dafür zur Rechenschaft gezogen werden!« Kila stand auf. »Ich muss die Suche nach diesen Verschwörern auf meinem Schiff in die Wege leiten, bevor sie von dieser Information erfahren. Vorausgesetzt natürlich«, fügte sie hastig an, »diese angeblich von der Lorica stammende Nachricht ist überhaupt echt.«