»Sie springen nach Varandal?« Schlimmer als ein Kampf gegen die Syndiks hier im System wäre es, das Gefecht in Varandal austragen zu müssen, nachdem die Syndiks dort bereits hatten wüten können, bis die Allianz-Flotte sie einholte.
»Immer noch fast vier Lichtstunden entfernt.« Desjani schlug mit der Faust auf die Armlehne ihres Sessels. »Die verlassen das System, bevor sie überhaupt wissen, dass wir hier sind.«
»Dann könnten wir sie bei Varandal überraschen.« Sein Blick kehrte zurück zu den Anzeigen der geschätzten Allianz-Verluste. Zwei Schlachtschiffe. War eines davon die Dreadnaught gewesen? War seine Großnichte Jane gestorben, unmittelbar bevor er sie hätte kennenlernen können? Oder befand sie sich in einer der Rettungskapseln, von denen es im System wimmelte?
Weitere Symbole gesellten sich zu denen, die bereits das Display übersäten, und zeigten die Positionen der Rettungskapseln im Atalia-System an. Die zerstörten Allianz-Kriegsschiffe hatten jede Menge Kapseln ausgestoßen. Geary lehnte sich zurück, während er zunächst die Syndik-Flotte betrachtete, die sich auf den Sprung nach Varandal vorbereitete, und dann die schwer beschädigten Syndik-Kriegsschiffe, die sich in Sicherheit schleppten und noch immer nichts von der Ankunft der Allianz-Flotte im System ahnten. Schließlich kehrte seine Aufmerksamkeit zu den Rettungskapseln zurück. Dann überprüfte er den Stand der Brennstoffzellen, über die die Flotte noch verfügte.
»Ich brauche Ihren Rat, Tanya.« Sie drehte sich zur Seite und sah ihn fragend an. »Wir können problemlos unseren Kurs so legen, dass wir an den beschädigten Syndik-Schiffen vorbeifliegen, um ihnen den Rest zu geben. Andererseits rechnen die Allianz-Matrosen damit, dass wir sie einsammeln, doch das macht es erforderlich die Schiffe abzubremsen, was auf Kosten unserer Brennstoffzellen geschehen würde. Außerdem erreichen wir dann den Sprungpunkt nach Varandal noch später.«
Desjani trommelte mit den Fingern auf die Armlehne, dann wandte sie sich an ihren Maschinenraum-Wachhabenden. »Wenn diese Rettungskapseln auf die Vektoren unserer Flotte einschwenken und dann ihren restlichen Treibstoff komplett verbrennen, welche Geschwindigkeit könnten sie dann erreichen?«
Der Ingenieur kalkulierte in aller Eile. »Captain, wenn ich berücksichtige, wie lange sie sich wahrscheinlich schon im All befinden und wie viel sie beim Start verbraucht haben, dann sollten sie in der Lage sein, 0,01 Licht zu erreichen.«
»Das hilft uns zwar, aber es reicht nicht. Die Flotte müsste immer noch abbremsen.« Desjani schüttelte den Kopf. »Selbst wenn wir uns den Verbrauch an Brennstoffzellen leisten könnten, kostet das nach wie vor zu viel Zeit. Außerdem sind die meisten unserer Schiffe ohnehin fast schon überbelegt. Wenn sie noch mehr Personal an Bord nehmen, dann könnte das problematisch werden, falls diese Schiffe bei Varandal evakuiert werden müssen. Dann sind nicht genug Rettungskapseln vorhanden. Was wir brauchen, sind zwei Flotten.« Ihr Blick wanderte zum Display, da eine Warnlampe zu blinken begann. »Vor drei Stunden und fünfundvierzig Minuten ist die Syndik-Reserveflotte nach Varandal gesprungen.«
»Zu schade, dass wir nicht vier Stunden früher hier eingetroffen sind. Hätten sie uns vor dem Sprung bemerkt, wären sie womöglich hier geblieben. Das hätte uns das Ganze viel leichter gemacht.« Geary musterte das Display, das den Flottenstatus anzeigte. »Zwei Flotten. Vielleicht ist das ja die Lösung. Ich lasse einen Teil hier, der die Kapseln einsammelt, die anderen fliegen weiter.«
»Auf wen können wir verzichten?«
»Eigentlich auf kein Schiff. Aber einige von ihnen werden ohnehin Schwierigkeiten haben, mit der Flotte mitzuhalten.« Die Wahl schien einfach zu sein, doch das Ganze war nicht nur eine Frage der Physik. Er rief die Illustrious. »Captain Badaya, ich habe eine Bitte an Sie.«
Sechs Sekunden später meldete sich Badaya bei ihm. Er sah erschöpft aus, aber das war auch kein Wunder, hatte er sich und seine Crew doch dazu angetrieben, rund um die Uhr zu arbeiten, damit die Schäden an der Illustrious vor der zu erwartenden Schlacht so gut wie möglich behoben wurden. Dass mit diesen Reparaturen nur das Notwendigste zu schaffen war, das war allen Beteiligten klar. »Was brauchen Sie, Captain Geary?«
»Die Rettungskapseln der Allianz müssen eingesammelt werden, aber ich kann es mir nicht leisten, die gesamte Flotte dafür abbremsen zu lassen. Auf dem Weg zum Sprungpunkt nach Varandal können wir die Gefahr eliminieren, die von den verbliebenen Syndik-Schiffen ausgeht, doch jeder von uns, der langsamer wird, um die Kapseln zu bergen, benötigt dennoch genug Feuerkraft, um sie zu beschützen, falls sich noch irgendetwas Unvorhergesehenes ereignet.«
Nach sechs Sekunden nickte Captain Badaya. »An wen dachten Sie, Captain Geary?«
»An die Hilfsschiffe Orion, Incredible und Resolution, an die am schwersten beschädigten Eskortschiffe, und an die Illustrious, weil diese Schiffe einen zuverlässigen und fähigen Commander benötigen.«
Wieder nickte Badaya. »Wir haben unser Bestes gegeben, die Illustrious wieder zusammenzuflicken, aber sie wird in einem Gefecht nach wie vor im Nachteil sein. Ich verstehe Ihre Logik. Allerdings fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass wir die Schlacht bei Varandal versäumen werden.«
»Ich weiß.« Badaya hatte seine Fehler, aber er hatte sich das Recht verdient, dass sein Stolz und seine Ehre nicht übergangen wurden. »Darum bitte ich Sie ja auch, diesen Auftrag zu übernehmen. Wenn Syndik-Schiffe den Sprungpunkt nach Varandal verlassen, bevor Sie ihn erreichen, werden Sie sich den Weg freischießen müssen. Diese Streitmacht muss jemand befehligen, von dem ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Außerdem überlasse ich Ihnen zwei Schlachtschiffe und zwei Schlachtkreuzer, damit Sie sich vernünftig verteidigen können.« Er musste Badaya nicht erst darauf hinweisen, dass diese vier beschädigten Schiffe nicht mal zusammengerechnet die Gefechtsfähigkeit eines einzelnen unbeschädigten Schlachtschiffs besaßen.
»Die Chancen stehen nicht gut, dass irgendwelche Syndiks hier auftauchen, bevor wir das System verlassen«, meinte Badaya, »auch wenn es nicht auszuschließen ist. Aber wenn Sie die Syndiks bei Varandal ordentlich in die Mangel nehmen, dann werden einige vielleicht versuchen, zum Sprungpunkt zu entkommen, und da können wir uns ihnen dann in den Weg stellen und sie ausradieren.«
»Ja, das stimmt.«
»Das ist ein ehrenvoller Auftrag«, folgerte Badaya. »Wir werden keine Allianz-Soldaten hier zurücklassen, die Illustrious wird die anderen Schiffe dieser Flotte nicht aufhalten, und wir folgen der Flotte mit genügend Abstand, um die Syndiks zu stoppen, die aus Varandal entkommen wollen. Danke für Ihr Vertrauen, Captain Geary.«
»Das haben Sie sich verdient, Captain Badaya.« Das entsprach voll und ganz der Wahrheit. Von dieser fixen Idee abgesehen, ihn zum Diktator zu machen, war Badaya gar kein so übler befehlshabender Offizier. Er neigte zwar dazu, mehr auf Impulse von außen zu reagieren, anstatt eigene Vorschläge ins Spiel zu bringen, aber wenn man ihm einen Befehl erteilte, führte er ihn auch aus. Vor allem glaubte Badaya mittlerweile so sehr an ihn, dass er jetzt einen Auftrag übernahm, den er vor sechs Monaten vermutlich noch abgelehnt hätte.
»Vielen Dank, Captain Geary«, wiederholte er. »Wegen dieser anderen Sache, über die wir gesprochen haben und die die Optionen nach der Heimkehr betrifft, möchte ich Sie wissen lassen, dass alle Eingeweihten über Ihre Wünsche informiert worden sind und zugesichert haben, sich nicht darüber hinwegzusetzen. Selbst wenn die Illustrious es nicht nach Varandal schaffen sollte, wird nichts gegen Ihren Willen geschehen.«