»Warum sollte sich die Syndik-Bürokratie nicht dagegen sperren, unsere Sicherheitssysteme zu installieren?«, wunderte sich Desjani.
»Oh, dagegen sträuben werden sie sich ganz sicher. Und sie würden sogar noch beharrlicher schweigen und alles vertuschen, während ein System nach dem anderen ausgelöscht wird. Dann müssten die Syndik-Führer so tun, als hätte sie niemand gewarnt und sie hätten keine Ahnung, was da geschieht. Bedauerlicherweise hat das ja bereits begonnen.« Duellos deutete auf Rione. »Aber was für die Allianz gut ist, funktioniert auch bei den Syndiks. Wenn wir eine Nachricht von den Ereignissen bei Lakota verbreiten, wie wir es ja schon zuvor gemacht haben, und wenn wir dazu noch die Pläne für die Sicherheitsvorrichtung mitsenden, wird sich das schnell herumsprechen. Lokale Führer werden Argumente finden, um die Installation des Systems zu rechtfertigen – entweder aus freien Stücken oder als Maßnahme, um Massenunruhen auf ihren Welten zu verhindern. Bis die Führer im Heimatsystem davon erfahren, werden die meisten Portale des Syndik-Hypernets bereits geschützt sein.«
»Werden die Syndiks unseren Konstruktionsplänen vertrauen?«, hakte Desjani nach.
»Jedes halbwegs fähige Ingenieursteam«, gab Cresida zurück, »wird erkennen können, dass es sich um ein geschlossenes System handelt, das genau das tut, was es tun soll. Vermutlich arbeiten die Syndiks bereits selbst an einem solchen System, aber wahrscheinlich steckt das in der Syndik-Bürokratie fest, die darauf versessen ist, alles geheimzuhalten, auch vor den eigenen Leuten.«
Desjani atmete gedehnt aus. »Dann bin ich dabei. Geben Sie es den Syndiks, weil die Entscheidung letztlich dem Schutz der Allianz dient.«
»Gut.« Geary sah sich um und wusste, was er zu tun hatte. »Danke, dass Sie sich freiwillig gemeldet haben, Captain Tulev, aber ich werde Sie nicht bitten, etwas zu tun, was in meine Verantwortung fällt. Ich werde …«
»Nein, das werden Sie nicht«, unterbrach Rione ihn und seufzte. »Ich sollte Sie eigentlich alle an Ihre Pflicht erinnern und daran, dass Sie einen Eid abgelegt haben. Aber ich bin Politikerin, und als solche kann ich anderen keine Vorhaltungen machen, dass sie ihrem Eid gerecht werden wollen. Ihnen allen hat man bereits genug abverlangt, indem man Ihnen und Ihren Vorfahren hundert Jahre Krieg aufgezwungen hat. Ich möchte den Beweis liefern, dass Ihre gewählten Führer nicht komplett vergessen haben, was das Wort Ehre bedeutet. Daher werde ich die Information an die Syndiks weitergeben.«
»Madam Co-Präsidentin«, begann Geary, während die anderen Rione überrascht ansahen.
»Ich unterstehe nicht Ihrem Befehl, Captain Geary. Sie können mir nicht befehlen, es nicht zu tun. Die vorgetragenen Argumente sind durchweg überzeugend, aber uns fehlt die Zeit, zunächst die heimischen Behörden zur gleichen Ansicht zu bringen. Nicht nur das Schicksal der Flotte hängt von einer schnellen Entscheidung ab, sondern auch das Leben von Milliarden oder Billionen Menschen. Wenn man es als Verrat auffasst, müssen Sie das Wohl für die Allianz bedenken. Wenn Sie nicht gerade bereit sind, mich festzunehmen und formell anzuklagen, dann werde ich machen, was ich gesagt habe.« Sie sah Cresida an. »Captain, befindet sich der Bauplan für Ihre Vorrichtung in der Datenbank der Flotte?«
Cresida nickte und betrachtete Rione. »Ja, Madam Co-Präsidentin. In meinem persönlichen Ordner.«
»Dann werde ich mir den Plan aneignen, ohne Ihre Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Damit haben Sie sich auch nicht die Hände schmutzig gemacht.«
»Aber wir wissen doch, dass Sie es machen werden«, warf Duellos ein.
»Nein, das wissen Sie nicht.«
»Sie haben es doch selbst gesagt.«
»Sie glauben das, was eine Politikerin sagt?« Rione lächelte in die Runde, dass man hätte meinen können, sie würde diese Unterhaltung genießen. »Für Sie gibt es keinen Grund zu glauben, dass ich in irgendeinem Punkt die Wahrheit sage. Vermutlich denken Sie, ich versuche Sie in eine Falle zu locken, indem ich nur vorgebe, das zu tun, was ich sage, damit Sie sich zum Handeln veranlasst sehen. Sie haben keinerlei Gewissheit, wie ich mich tatsächlich verhalten werde.«
Dann verließ sie schnell den Konferenzraum, bevor einer der anderen noch etwas sagen konnte. Plötzlich nickte Cresida nachdenklich, sah von Geary zur Luke, durch die Rione entschwunden war, und sagte: »Jetzt wird mir endlich klar, warum …« Abrupt verstummte sie, errötete leicht und gab sich alle Mühe, nicht Desjani anzusehen. Dann stand sie auf, salutierte hastig und verschwand.
Tulev stand mit ungewohnter Eile auf, salutierte gleichfalls und zog sich auch zurück.
»Ich muss auf die Brücke«, erklärte Desjani mit resignierter Miene.
»Aber …«, begann Geary.
»Wir sehen uns oben, Captain.« Auch sie salutierte vorschriftsmäßig und verließ den Konferenzraum.
Geary schaute ratlos zu Duellos. »Was war denn das gerade? Was wollte Cresida sagen?«
Anstatt zu antworten, hob Duellos abwehrend eine Hand. »Mich ziehen Sie da nicht hinein.«
»In was hinein?«
»Reden Sie mit Ihren Vorfahren. Irgendeiner von denen muss sich mit Frauen ausgekannt haben.« Duellos wollte ebenfalls gehen, schüttelte aber den Kopf. »Okay, ich kann Sie nicht dumm sterben lassen. Ich werde Ihnen auf die Sprünge helfen. Wenn zwei Leute eine Beziehung haben, auch wenn die von noch so kurzer Dauer ist, dann fragen sich andere Leute, die mindestens einen der beiden gut kennen, was die beiden wohl im jeweils anderen gesehen haben mögen.«
»Sie reden von Rione und mir? Sie haben sich alle gefragt, was ich in ihr gesehen habe?«
»Lieber Himmel, Mann, wie kann Sie das überraschen?« Duellos schaute vor sich aufs Deck. »Wir Menschen sind schon ein seltsamer Haufen. Da können wir es mit einer Bedrohung zu tun haben, die unsere gesamte Spezies auslöschen könnte, und trotzdem lassen wir uns einen Moment lang von den ältesten und kleinsten persönlichen Dramen ablenken.«
»Vielleicht versuchen wir auf diese Weise, den Problemen ein bisschen auszuweichen«, überlegte Geary. »Wir verdrängen die Konsequenzen, falls es nicht klappen sollte. Bislang bedeutete ein Scheitern unseren Tod, den Verlust unserer Schiffe und vielleicht sogar die Niederlage der Allianz. Aber nun geht es darum, dass alles ausgelöscht werden könnte. Wie schätzen Sie unsere Chancen ein?«
»Ich hätte ja nicht mal gedacht, dass wir auch nur halb so weit kommen«, machte Duellos ihm bewusst. »Absolut alles ist möglich.«
»Warum? Warum machen sie das?«
»Die Aliens? Tja, vielleicht bekommen wir ja noch die Gelegenheit, sie zu fragen.« Duellos Gesicht nahm einen für ihn untypisch harten Ausdruck an. »Und vielleicht können wir dabei ja auch ein paar Höllenspeer-Batterien auf sie richten, um sicherzustellen, dass wir auch eine Antwort bekommen.«
»Noch ein Krieg?«, fragte Geary.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Aliens scheinen direkte Konfrontationen zu scheuen.«
»Ganz im Gegensatz zu uns.«
»Richtig.« Duellos’ Lächeln hatte einen unangenehmen Zug an sich. »Möglicherweise sind sie deshalb bereits zur Tat geschritten, weil sie Angst bekommen haben.«
Noch sieben Stunden, bis der Sprungpunkt nach Varandal erreicht war. Gut sechs Stunden, bis die Flotte die Flugbahn des zweiten beschädigten Schweren Kreuzers der Syndiks überquerte, der von den letzten Salven der Intractable getroffen worden war. Geary schlenderte rastlos durch die Gänge der Dauntless. Er unterhielt sich hin und wieder mit Crewmitgliedern, während ihm die ganze Zeit über klar war, dass sich die Ereignisse auf entscheidende Weise zuspitzten. Ein erfolgreicher Verlauf der anstehenden Schlacht bei Varandal war der Schlüssel dafür, die Flotte und die Allianz zu retten, auch wenn die Rückkehr der Flotte ins Allianz-Gebiet an sich noch mit einigen Problemen behaftet war. Aber ohne den Sieg bei Varandal würde es keinen nächsten Schritt geben können. Also streifte er durch die längst vertrauten Korridore, unterhielt sich mit den Besatzungen der Höllenspeer-Batterien, mit Ingenieuren und Köchen, mit dem Verwaltungspersonal, den Spezialisten für alle Arten von Dingen und mit allen möglichen Personen, die die Dauntless zu einem lebenden Schiff machten.