Sie schüttelte den Kopf und ging zu einem Sessel, um sich hinzusetzen. »Ich habe sie lange Zeit einfach nur alle töten wollen. Sie alle. Um mich zu rächen und um sie davon abzuhalten, weiter zu morden. Aber es geht immer weiter hin und her. Man ist niemals quitt. Und wie viele Syndiks sollen ihr Leben lassen, um den Tod meines Bruders zu vergelten? Es ist egal, wie viele von ihnen sterben, Yuri kommt trotzdem nicht zu mir zurück. Und dann sah ich bei Wendig diesen Syndik-Jungen, der so war wie Yuri, und da habe ich mich gefragt, worin der Sinn besteht, den Bruder eines anderen zu ermorden, nur um Yuri zu rächen. Früher einmal war das für mich Grund genug. Es reichte, ihnen wehzutun. Inzwischen wünschte ich mir, dass kein Bruder und keine Schwester, kein Ehemann und keine Ehefrau, kein Vater und keine Mutter sterben müssten. Aber ich weiß nicht, was ich tun kann, um das zu erreichen.«
Geary nahm ihr gegenüber Platz. »Wir könnten die Chance dazu haben, wenn wir nach Hause zurückgekehrt sind. Und dann werden Sie eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, dass wir diese Chance überhaupt erst bekommen haben.«
»Wenn wir nach Hause zurückgekehrt sind, werden Sie mit anderen Dingen beschäftigt sein. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich das alles leichter machen könnte.«
»Danke.« Er schaute zur Seite. »Es kommt mir immer noch unwirklich vor, dass alle Menschen tot sind, die ich einmal kannte. Wenn ich zu Hause bin, muss ich mich dieser Tatsache wirklich stellen. Ich frage mich, ob ich dann die Syndiks genauso hassen werde, wie Sie es getan haben.«
Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Sie sollten besser sein als wir alle. Darum haben die lebenden Sterne Ihnen diesen Auftrag gegeben.«
»Das heißt, ich darf die Syndiks nicht hassen?«
»Nicht, wenn es Ihrer Mission im Weg steht.«
Er sah sie einen Moment lang forschend an. »Wissen Sie, Captain Desjani, mir ist gerade die Erkenntnis gekommen, dass Sie es sind, die mir von Zeit zu Zeit Befehle erteilt.«
Ihre Miene wurde noch grimmiger. »Ich erteile Ihnen keine Befehle, Captain Geary, ich sage Ihnen nur, was Sie tun müssen.«
»Ist das etwas anderes?«
»Natürlich ist das etwas anderes. Das ist doch offensichtlich.«
Er wartete eine Weile, aber Desjani äußerte sich nicht weiter zu dem, was ihrer Ansicht nach offensichtlich war. Da er nicht davon ausgehen konnte, diese Diskussion zu gewinnen, ließ er das Thema lieber auf sich beruhen. »Okay, aber …« Er zögerte, da er überlegte, ob er etwas ansprechen konnte, das ihn schon seit Langem verfolgte. Dann aber wurde ihm klar, wenn es einen geeigneten Zeitpunkt gab, um darauf zu sprechen zu kommen, dann war dieser Zeitpunkt jetzt und hier. »Ich bin besorgt, wie ich auf die Heimat reagieren werde. Ich glaube, es ist mir noch immer nicht in jeder Hinsicht so richtig bewusst. Als ich aus dem Kälteschlaf erwachte, da wurde ich von dieser Erfahrung überwältigt. Und als ich hörte, was geschehen war und wie lange ich im Tiefschlaf zugebracht hatte, da kam es mir so vor, als wäre mein ganzer Körper wie betäubt.«
»Sie sahen auch aus wie ein Zombie«, stimmte Desjani ihm in einem deutlich sanfteren Tonfall zu. »Ich weiß noch, wie ich mich gefragt habe, ob Black Jack tatsächlich noch lebte.«
»Wie es Black Jack ergangen ist, weiß ich nicht, aber ich habe tatsächlich noch gelebt.« Er betrachtete seine Hände und atmete tief durch, ehe er fortfuhr. »Ich musste all diese Dinge zurückstellen, als ich das Kommando über die Flotte übernahm. Ich habe sie zurückgestellt, aber wohl nie richtig verarbeitet. Was wird geschehen, wenn wir nach Hause kommen? Wenn mir klar wird, dass wirklich jeder tot ist, den ich gekannt habe? Wenn mir bewusst wird, dass ich ganz allein bin?«
Sehr leise entgegnete Desjani daraufhin: »Sie werden nicht allein sein.«
Diese Aussage bewegte sich bedenklich nahe an dem Thema, das sie nicht anschneiden konnten. Dem Thema, dessen Existenz sie sich nicht einmal eingestehen durften. Erschrocken hob er den Kopf und sah ihr in die Augen.
Desjani wich seinem Blick aus. »Sie mussten das von mir hören.« Dann stand sie auf und straffte die Schultern. »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich mich jetzt zurückziehen, sofern es nicht noch etwas zu besprechen gibt. Ich muss mich noch um verschiedene Dinge kümmern.«
»Ja, sicher. Vielen Dank, Captain Desjani.«
Nachdem sie gegangen war, sah er auf die Uhr. Noch fünf Stunden bis zum Sprung nach Varandal.
Das Wrack, das kurz zuvor noch der letzte Syndik-Schlachtkreuzer im Atalia-System gewesen war, trieb weit hinter der Allianz-Flotte, die sich dem Sprungpunkt nach Varandal näherte.
»Captain?« Das Gesicht des Offiziers für Systemsicherheit der Dauntless tauchte in einem Fenster vor Desjani auf. »Es wurden nicht freigegebene Nachrichten von unserem Schiff aus übertragen.«
»Nicht freigegebene Nachrichten?«, wiederholte Desjani.
»Ja. Unverschlüsselte Mitteilungen an jeden in diesem Sternensystem. Ich versuche, die Quelle an Bord der Dauntless ausfindig zu machen.«
»Handelt es sich um geheime Informationen?«
Der Offizier blinzelte ein paar Mal, als er über diese Frage nachdachte. »Nein, Captain, nicht dass ich wüsste. Es ist keine formale Klassifizierung angehängt worden, und der Sicherheitsscan hat auch kein geheimes oder vertrauliches Material finden können.«
»Dann wüsste ich nicht, warum wir uns jetzt damit befassen sollten«, sagte Desjani. »Wir müssen sicherstellen, dass unsere Schiffssysteme bei der Ankunft in Varandal so gut wie irgend möglich arbeiten.«
»Aber … Captain, jede Mitteilung an den Feind ist verboten.«
»Ganz richtig«, bestätigte sie. »Aber da es nicht um geheime Informationen geht, wird die Schadenseinschätzung diesen Vorfall auf der Prioritätenliste ganz bestimmt weit unten ansiedeln. Konzentrieren wir uns also lieber auf die bevorstehende Schlacht, Commander.«
»Ähm … ja, Captain.«
Nachdem das Bild des Offiziers sich aufgelöst hatte, warf Desjani Geary einen rätselnden Blick zu. »Möchte wissen, um was es dabei gegangen sein könnte.«
»Vermutlich nichts Wichtiges, wie Sie ja schon sagten«, gab er zurück.
Einen Moment später warf sie einen Blick auf die Informationen, die der Offizier für Systemsicherheit ihr zugeschickt hatte. »Die gleiche Mitteilung über Lakota, die wir schon einmal verschickt haben, dazu eine Beschreibung von irgendeinem Vorfall bei Lakota. Außerdem irgendein Bauplan für irgendwelche Ausrüstung mitsamt erläuterndem Text. Kein Autorisierungscode bei der Übertragung.« Desjani tippte auf ihre Kontrollen. »Nichts, was mein Schiff oder die Flotte in Gefahr bringen könnte. Ich muss mich mit Wichtigerem beschäftigen.«
»Sehe ich auch so.« Geary fragte sich, wie es Rione gelungen war, das Komm-System der Dauntless so zu überlisten, dass eine Nachricht ohne Autorisierung das Schiff verlassen konnte. Auch wenn Rione bereits Verschiedenes zugegeben hatte, wozu sie die angeblich so sicheren Schiffssysteme benutzen konnte, war Geary davon überzeugt, dass sie zu noch viel mehr in der Lage war.
Er betrachtete sein Display, um einen letzten Blick auf die Situation in Atalia zu werfen. Die Gruppe um die Illustrious befand sich inzwischen gut zwei Lichtstunden hinter der Flotte und sammelte immer noch Rettungskapseln ein. Die Überlebenden der Intractable waren nicht weit von der Flotte entfernt, aber bei der Geschwindigkeit, mit der sie sich durch das System bewegten, wäre es unmöglich gewesen, sie an Bord zu holen. Sie würden alle warten müssen, bis die Illustrious mit den Begleitschiffen eintraf.
Die Brennstoffzellen bewegten sich auf den meisten Kriegsschiffen bei rund zwanzig Prozent, aber manche Schiffe, wie zum Beispiel die Rifle, lagen deutlich darunter. Nur drei Phantome waren in der gesamten Flotte noch vorhanden, und der Bestand an Kartätschen belief sich auf sechzig Prozent.