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Alles, was der ahnungslose Bilbo an diesem Morgen sehen konnte, war ein alter Mann mit einem Stab. Er trug einen spitzen blauen Hut, einen langen grauen Mantel, ein silberweißes Halstuch, über dem ein weißer Bart bis zum Gürtel herabhing, und große schwarze Stiefel.

»Einen schönen guten Morgen!«, sagte Bilbo, und genau so meinte er es auch. Die Sonne schien, und das Gras war grün. Aber Gandalf sah ihn, unter seinen buschigen Brauen, die weiter hervorstachen als die Krempe seines Hutes, scharf an.

»Wie meinen Sie das?«, sagte er. »Wünschen Sie mir einen guten Morgen, oder meinen Sie, dass es ein schöner Morgen ist, egal was wir wünschen; oder dass Sie an diesem Morgen alles schön und gut finden, oder dass man an diesem Morgen gut oder schön sein muss?«

»Alles zugleich«, sagte Bilbo. »Und außerdem genau die richtige Zeit, um vor der Tür eine Pfeife zu rauchen. Wenn Sie eine Pfeife dabeihaben, setzen Sie sich doch her und stopfen Sie sich eine mit meinem Tabak! Wir haben keine Eile, der ganze Tag liegt noch vor uns!« Dann setzte Bilbo sich auf die Bank vor seiner Tür, schlug die Beine übereinander und blies einen schönen grauen Rauchring, der in die Luft aufstieg, ohne zu zerreißen, und über den Bühl davonschwebte.

»Sehr nett!«, sagte Gandalf. »Aber heute Morgen habe ich keine Zeit, Rauchringe zu blasen. Ich stecke in den Vorbereitungen für ein Abenteuer und suche jemanden, der noch mitmacht. Es ist sehr schwer, jemanden zu finden.«

»Kann ich mir denken – hier in der Gegend. Wir sind alles einfache, ruhige Leute und haben für Abenteuer nichts übrig. Dabei hat man nur Ärger und Scherereien! Man kommt nicht mal mehr rechtzeitig zum Essen! Ich versteh nicht, was man daran finden kann«, sagte unser guter Bilbo Beutlin, klemmte einen Daumen hinter seinen Hosenträger und blies einen noch größeren Ring aus. Dann nahm er sich die Post vor, die am Morgen gekommen war, und fing an zu lesen, als ob der alte Mann nicht mehr da wäre. Er fand, das war kein Umgang für ihn; hoffentlich ginge der Kerl nun weiter. Aber der rührte sich nicht. Er stand da, auf seinen Stock gestützt, und schaute den Hobbit an, ohne etwas zu sagen, bis Bilbo ganz nervös und ein bisschen ungehalten wurde.

»Guten Morgen!«, sagte er schließlich. »Für Abenteuer haben wir hier keine Verwendung, nein danke! Versuchen Sie’s doch mal hinter dem Bühl oder drüben jenseits der Wässer.« Damit wollte er sagen, dass er das Gespräch für beendet hielt.

»Was Sie mit einem Guten Morgen alles sagen können!«, sagte Gandalf. »Jetzt bedeutet es, dass Sie mich loswerden wollen und dass der Morgen erst gut werden kann, wenn ich fort bin.«

»Aber nicht doch, keineswegs, mein werter Herr – ach, ich weiß gar nicht, wie war doch Ihr Name?«

»Ja, ja, mein werter Herr! – aber Ihren Namen weiß ich, Herr Bilbo Beutlin. Und Sie kennen meinen Namen auch, Sie wissen nur nicht, dass er zu mir gehört. Ich bin Gandalf, Gandalf bin ich! Dass ich das noch erleben muss: Belladonna Tuks Sohn will mich mit einem Guten Morgen abwimmeln wie einen Hausierer, der Knöpfe verkauft!«

»Gandalf, Gandalf! Du liebe Güte, doch nicht der Wanderzauberer, von dem der Alte Tuk die magischen Manschettenknöpfe aus Diamant bekommen hat, die sich von selbst einhakten und nur auf Befehl wieder aufgingen? Doch nicht der alte Knabe, der an den Festtagen immer so wundervolle Geschichten erzählt hat, von Drachen, Orks, Riesen, von geretteten Prinzessinnen und vom unverhofften Glück armer Witwensöhne? Und der immer so ein unglaubliches Feuerwerk gemacht hat! Das weiß ich noch! Der Alte Tuk ließ immer zur Sommersonnenwende eines abbrennen. Herrlich! Das stieg auf wie große Lilien von Feuer, wie Löwenmaul und Goldregen, und hing den ganzen Abend am Himmel.« Ihr werdet schon bemerkt haben, dass Herr Beutlin nicht ganz so prosaisch war, wie er selbst gern glaubte, und dass er ein Blumenfreund war. »Du lieber Himmel!«, fuhr er fort. »Doch nicht der Gandalf, der schuld war, dass so viele ganz vernünftige Jungen und Mädchen ins Blaue hinein auf verrückte Abenteuer auszogen, angefangen beim Herumklettern auf Bäumen bis hin zu Besuchen bei den Elben oder Seereisen zu fremden Küsten! Mein lieber Mann, das war schon ein ganz inter… ich meine, Sie haben dann und wann hier in der Gegend allerhand Staub aufgewirbelt. Ich bitte um Verzeihung, aber ich hatte keine Ahnung, dass Sie immer noch im Geschäft sind.«

»Wo sollte ich sonst sein?«, sagte der Zauberer. »Trotzdem, es freut mich, dass Sie mich noch nicht ganz vergessen haben. Meine Feuerwerke wenigstens scheinen Ihnen in guter Erinnerung geblieben zu sein, und das lässt ein wenig hoffen. Und um Ihres seligen Großvaters Tuk und der armen Belladonna willen gewähre ich Ihnen, was Sie erbeten haben.«

»Verzeihen Sie, ich habe doch nichts erbeten!«

»Doch, eben schon zum zweiten Mal! Meine Verzeihung. Die haben Sie. Ich will sogar noch weiter gehn und Sie auf dieses Abenteuer mitnehmen. Wird sehr lustig für mich und sehr gut für Sie – und einträglich auch, sehr wahrscheinlich, wenn Sie’s überleben.«

»Tut mir leid! Ich wünsche keine Abenteuer, nein danke! Heute nicht. Guten Morgen! Aber bitte kommen Sie doch mal zum Tee – jederzeit, wenn es Ihnen passt! Warum nicht morgen? Kommen Sie doch morgen! Wiedersehn.« Und damit drehte der Hobbit sich um, huschte hinter seine runde grüne Tür und machte sie so schnell zu, wie er es glaubte riskieren zu können, ohne unhöflich zu erscheinen. Bei Zauberern konnte man nie wissen.

»Warum in aller Welt habe ich ihn bloß zum Tee eingeladen?«, sagte er zu sich selbst, als er in die Speisekammer ging. Er hatte zwar eben erst gefrühstückt, fand aber, dass ein paar Kekse und etwas zu trinken ihm nach dem Schreck guttun würden.

Unterdessen stand Gandalf immer noch draußen vor der Tür und lachte lange still in sich hinein. Nach einer Weile trat er näher an die schöne grüne Tür des Hobbits heran und kratzte mit der Spitze seines Stabes ein sonderbares Zeichen hinein. Dann ging er fort, als Bilbo eben seinen zweiten Keks verzehrt hatte und sich allmählich bei dem Gedanken beruhigte, dass die Abenteuer noch mal an ihm vorübergegangen waren.

Am nächsten Tag hatte er Gandalf fast vergessen. Er behielt solche Dinge meistens nur, wenn er sie in seinen Terminkalender eintrug, etwa so: Gandalf Tee Mittwoch. Daran hatte er gestern in seiner Aufregung nicht gedacht.

Erst kurz vor der Teestunde, als es stürmisch an der Tür klingelte, fiel es ihm wieder ein! Er setzte rasch den Kessel auf, stellte eine zweite Tasse und Untertasse und ein paar Kekse mehr auf den Tisch und rannte zur Tür.

»Tut mir ja so leid, dass ich Sie warten lassen musste!«, wollte er gerade sagen, als er sah, dass es nicht Gandalf war, der vor ihm stand. Es war ein Zwerg mit blauem, unter einem goldenen Gürtel festgesteckten Bart und sehr hell leuchtenden Augen unter einer dunkelgrünen Kapuze. Sobald die Tür auf war, schob er sich herein, als glaubte er, erwartet zu werden.

Er hängte seinen Kapuzenmantel an den nächsten Haken. »Dwalin, zu Diensten!«, sagte er mit einer tiefen Verbeugung.

»Bilbo Beutlin, zu Diensten!«, sagte der Hobbit, zu verblüfft fürs Erste, um irgendwelche Fragen zu stellen. Als das Schweigen, das nun eintrat, drückend wurde, fügte er hinzu: »Ich bin grad beim Tee, bitte kommen Sie doch rein und nehmen Sie etwas zu sich!« Ein bisschen steif vielleicht, aber er meinte es freundlich. Und was würdet ihr tun, wenn ein uneingeladener Zwerg plötzlich vor eurer Tür stünde und ohne ein Wort der Erklärung seine Sachen in eurer Diele aufhängte?

Sie saßen noch nicht lange bei Tisch, waren kaum beim dritten Keks angelangt, als es schon wieder klingelte, lauter als das erste Mal.

»Entschuldigen Sie!«, sagte der Hobbit und ging zur Tür.

»Na, da sind Sie ja endlich!«, wollte er nun zu Gandalf sagen. Aber es war wieder nicht Gandalf. Sondern ein sehr alter Zwerg mit weißem Bart und scharlachroter Kapuze; und auch er kam gleich herein, als wäre er eingeladen.