»Ich denke, Sie bleiben doch alle zum Abendessen?«, fragte er allerhöflichst, so dass sich niemand gedrängt fühlte.
»Selbstverständlich«, sagte Thorin. »Und noch länger. Es wird spät werden, bis wir fertig sind, und jetzt brauchen wir erst mal ein bisschen Musik. Jetzt wird abgetragen!«
Sofort sprangen die zwölf Zwerge auf – nicht Thorin, der war zu wichtig und blieb da, um mit Gandalf zu plaudern – und türmten alles Geschirr zu hohen Stapeln auf. Schon gingen sie los, ohne sich mit den Tabletts aufzuhalten, balancierten Säulen von Tellern mit einer Flasche obendrauf in einer Hand, während der Hobbit ihnen, fast kreischend vor Entsetzen, nachrannte. »Bitte Vorsicht! Bitte, machen Sie sich doch nicht die Mühe! Ich schaff es schon selbst.« Aber da fingen die Zwerge nur an zu singen:
Aber natürlich verübten sie keine von diesen Schandtaten wirklich, sondern blitzschnell wurde alles abgewaschen und ordentlich wieder an seinen Platz gestellt, während sich der Hobbit in der Mitte der Küche im Kreis drehte, um sie im Auge zu behalten. Als sie wieder ins Besuchszimmer kamen, saß Thorin am Kamin, die Füße aufs Gitter gestützt, und rauchte eine Pfeife. Er blies gewaltige Rauchringe und konnte sie schicken, wohin er wollte – in den Rauchfang, hinter die Uhr auf dem Kaminsims, unter den Tisch oder in eine Kreisbahn unter der Decke; aber wohin sie auch flogen, sie waren nicht schnell und wendig genug, um Gandalf zu entkommen. Popp! schickte er einen kleineren Ring aus seiner kurzen Tonpfeife durch jeden einzelnen von Thorins Ringen. Dann wurde Gandalfs Ring grün, kehrte zu dem Zauberer zurück und blieb über seinem Kopf in der Schwebe. Er war schon von einer ganzen Wolke umgeben, und in dem trüben Licht sah er damit wie ein wahrer Hexenmeister aus. Bilbo stand regungslos da und schaute ihm zu – er liebte Rauchringe –, und er errötete bei dem Gedanken, wie stolz er gestern Morgen auf die Ringe gewesen war, die er mit dem Wind über den Bühl geschickt hatte.
»Und jetzt ein bisschen Musik!«, sagte Thorin. »Holt die Instrumente!«
Kili und Fili liefen hinaus zu ihren Säcken und kamen mit zwei kleinen Geigen zurück; Dori, Nori und Ori fischten aus ihren Mänteln jeder eine Flöte; Bombur brachte aus der Diele eine Trommel herein; Bifur und Bofur holten Klarinetten, die sie zwischen Bilbos Spazierstöcken abgestellt hatten. Dwalin und Balin sagten: »Entschuldigt bitte, ich habe meines draußen vor der Tür gelassen.« – »Dann bringt meines auch gleich mit!«, sagte Thorin. Zurück kamen sie mit zwei Bratschen, so groß wie sie selber, und mit Thorins Harfe, die in ein grünes Tuch eingewickelt war. Es war eine schöne goldene Harfe, und als Thorin sie anschlug, setzte die Musik mit einem Mal ein, so lieblich, dass Bilbo alles andere vergaß und davongetragen wurde in dunkle Lande unter fremden Monden, weit jenseits der Wässer und fern von seiner Hobbithöhle unter dem Bühl.
Durch das kleine Fenster im Hang des Bühls kroch die Dunkelheit ins Zimmer; das Feuer im Kamin warf ein flackerndes Licht – es war April –, und sie spielten und spielten, während der Schatten von Gandalfs Bart an der Wand tanzte.
Die Dunkelheit erfüllte den ganzen Raum, das Feuer brannte nieder, die Schatten verblassten, und sie spielten noch immer. Und plötzlich, erst einer, dann ein anderer, begannen sie, während sie spielten, auch zu singen; tiefkehliger Zwergengesang, wie aus den tiefen Kammern ihrer alten Wohnstätten erschallend; und dies ist vielleicht ein Stück aus ihrem Lied, soweit es ihrem Gesang nahekommen kann, ohne dass man die Musik hört.
Bei diesem Gesang spürte der Hobbit, wie die Liebe zu den schönen, von geschickter und zauberkräftiger Hand gefertigten Dingen auch ihn ergriff, eine grimmige, eifersüchtige Liebe, die Herzensbegierde der Zwerge. Da erwachte etwas in ihm, das er von den Tuks haben musste, und er wünschte sich, mit fortzuziehen und die hohen Berge zu sehen, die Kiefernwälder und die Wasserfälle rauschen zu hören, die Höhlen zu erkunden und statt des Spazierstocks ein Schwert bei sich zu tragen. Er blickte aus dem Fenster. Die Sterne standen am dunklen Himmel über den Bäumen. Er dachte an die schimmernden Edelsteine der Zwerge in ihren dunklen Höhlen. Plötzlich leuchtete im Wald am andern Flussufer eine Flamme auf – wahrscheinlich machte jemand ein Lagerfeuer –, und er dachte an raubgierige Drachen, die auf seinen kleinen Hügel herabstießen und alles in Brand steckten. Er erschauerte, und gleich darauf war er wieder der solide Herr Beutlin von Beutelsend unter dem Bühl.
Zitternd stand er auf. Er war sich nicht recht im Klaren, ob er eine Lampe holen sollte, aber überaus klar war ihm, dass er unter diesem Vorwand hinausgehen könnte, sich hinter den Bierfässern im Keller verstecken und erst wieder hervorkommen, wenn die Zwerge alle fort wären. Plötzlich merkte er, dass die Musik und der Gesang aufgehört hatten und dass sie alle ihn anblickten, mit im Dunkeln leuchtenden Augen.
»Wo wollen Sie hin?«, fragte Thorin in einem Ton, der anzuzeigen schien, dass er sowohl den Gedanken wie den Hintergedanken des Hobbits erraten hatte.
»Wie wär’s, wenn wir ein bisschen Licht machten?«, sagte Bilbo schuldbewusst.
»Wir sind für Dunkelheit«, sagten die Zwerge alle auf einmal. »Dunkelheit bei dunklen Geschäften! Bis es wieder hell wird, haben wir noch viele Stunden.«
»Natürlich«, sagte Bilbo und setzte sich schnell wieder hin. Er verfehlte den Hocker und setzte sich stattdessen aufs Kamingitter, wobei er mit Gepolter die Schaufel und den Schürhaken umwarf.
»Pssst!«, sagte Gandalf. »Lasst Thorin reden!« Und dann setzte Thorin zu einer Rede an.