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»Verehrter Gandalf, liebe Mitzwerge, werter Herr Beutlin! Wir sind heute hier zusammengekommen im Hause unseres lieben Freundes und Mitverschworenen, dieses vortrefflichen und verwegenen Hobbits – mögen ihm die Haare auf den Zehen nie ausfallen! Und alle Achtung vor seinem Wein und Bier!« Er machte eine Pause, zum Atemholen und um dem Hobbit Gelegenheit zu einem höflichen Einwurf zu geben, aber er verschwendete seine Komplimente: Der arme Bilbo Beutlin machte den Mund auf und zu, aus Protest dagegen, dass man ihn als verwegen und, noch schlimmer, als Mitverschworenen bezeichnete, brachte aber keinen Ton heraus, so entgeistert war er. Darum fuhr Thorin fort:

»Wir sind zusammengekommen, um unsere Pläne zu erörtern, unsere Mittel und Vorgehensweisen, Strategie und Taktik. Bald, vor Tagesanbruch, werden wir zu unserer langen Reise aufbrechen, einer Reise, von der vielleicht manche von uns oder sogar alle (außer unserem Freund und Ratgeber, dem erfindungsreichen Zauberer Gandalf) nie zurückkehren werden. Dies ist ein historischer Moment. Unser Ziel, wie ich wohl annehmen darf, ist uns allen bekannt. Für unseren werten Herrn Beutlin und vielleicht auch für den einen oder anderen jungen Mann unter uns Zwergen (ich glaube, ich gehe nicht fehl, wenn ich hier zum Beispiel an Kili und Fili denke) könnte aber der genaue Stand der Dinge im Augenblick einer kurzen Erläuterung bedürfen …«

Das war Thorins Stil. Er war eben ein sehr wichtiger Zwerg. Hätte man ihn gelassen, so hätte er vermutlich so weitergeredet, bis ihm die Luft ausging, und doch nichts gesagt, das man nicht schon wusste. Aber er wurde rücksichtslos unterbrochen. Der arme Bilbo hielt es nicht länger aus. Bei den Worten nie zurückkehren spürte er, wie sich ein Schrei in ihm ballte, und gleich darauf brach er aus ihm hervor wie der Pfiff einer Lokomotive aus einem Tunnel. Alle Zwerge sprangen auf und stießen dabei den Tisch um. Gandalf schlug ein blaues Licht aus der Spitze seines Zauberstabs, in dessen gleißendem Schein man den Hobbit auf dem Kaminvorleger knien sah, zitternd wie ein Wackelpudding. Dann fiel er platt zu Boden und rief »vom Blitz getroffen, vom Blitz getroffen!« – immer wieder; und das war für eine ganze Weile das Einzige, was sie aus ihm herausbekamen. Darum brachten sie ihn ins Nebenzimmer und legten ihn auf ein Sofa, stellten ihm ein Getränk in Reichweite und ließen ihn dann allein, um sich wieder ihren dunklen Geschäften zuzuwenden.

»Leicht erregbar, das Kerlchen«, sagte Gandalf, als sie sich gesetzt hatten. »Kriegt so komische Anfälle, ist aber einer der Besten, einer der Besten – rabiat wie ein Drache mit dem Rücken zur Wand.«

Wenn ihr je einen Drachen mit dem Rücken zur Wand gesehen habt, dann wird euch klar sein, dass man dies ohne poetische Übertreibung wohl von keinem Hobbit sagen konnte, nicht einmal von Bullenrassler Tuk, dem Urgroßonkel des Alten Tuk, der ein solcher Hüne war (für einen Hobbit), dass er auf einem Pferd reiten konnte. Der drang in der Schlacht bei Grünfeld in die Reihen der Orks vom Gramberg ein und schlug ihrem König Golfimbul mit einer Holzkeule glatt den Kopf ab, dass der hundert Schritte weit durch die Luft flog und in ein Kaninchenloch fiel. Auf diese Weise wurde die Schlacht gewonnen und das Golfspiel erfunden.

Bullenrasslers zahmerer Nachkomme jedoch musste sich im Wohnzimmer erst mal eine Weile von seinem Schreck erholen. Nachdem er etwas getrunken hatte, schlich er ängstlich an die Tür zum Besuchszimmer. Er hörte, wie Gloin gerade sagte: »Mhmh!« (oder so ähnlich). »Ob das wohl gehn wird, mit dem? Was meint ihr? Schön und gut, wenn Gandalf behauptet, das sei ein ganz rabiater Bursche, aber ein einziger Schrei wie dieser im falschen Augenblick, und er weckt den Drachen mit seiner ganzen Sippschaft. Das wäre das Ende für uns alle. Ich finde auch, es hörte sich mehr wie ein Angstschrei als wie ein Kampfruf an. Überhaupt, wäre das Zeichen nicht an der Tür gewesen, so wäre ich mir sicher, dass wir ins falsche Haus geraten sind. Als ich das Kerlchen auf der Türmatte herumhüpfen sah, kamen mir gleich Zweifel. Das soll ein Meisterdieb sein? Er sieht mir eher wie ein Krämer aus.«

Da drehte Herr Beutlin den Türknopf und trat ein. Der Tuk in ihm hatte gesiegt. Er fand plötzlich, um für einen rabiaten Burschen gehalten zu werden, könnte er sogar auf sein Bett und sein Frühstück verzichten, wenn es nötig sein sollte. Und bei dem Kerlchen, das auf der Türmatte herumhüpfte, wurde er beinahe wirklich rabiat. Seine Beutlinsche Hälfte bedauerte später noch oft, was er jetzt tat: »Bilbo, du Trottel!«, sagte er sich dann. »Wie konntest du nur sehenden Auges in diese Geschichte hineintappen?«

»Verzeihen Sie«, sagte er, »wenn ich mitgehört habe, was Sie eben sagten. Ich behaupte nicht, verstanden zu haben, wovon Sie reden, oder was das mit dem Meisterdieb heißen soll, aber ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme« (dies fand er sehr würdevoll ausgedrückt), »dass Sie mir nichts zutrauen. Sie sollen mich kennenlernen! Ich habe zwar keine Zeichen an der Tür – sie wurde vor einer Woche erst frisch gestrichen – und bin ganz sicher, dass Sie ins falsche Haus geraten sind. Als ich Ihre komischen Gesichter vor meiner Tür sah, kamen mir gleich Zweifel. Aber nehmen Sie es jetzt als das richtige. Sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann, und ich werde es versuchen, und wenn ich von hier bis in den östlichsten Osten marschieren und es mit den rabiatesten Werwürmern in der letzten Wüste am Ende der Welt aufnehmen müsste! Ich hatte nämlich einst einen Ururgroßonkel namens Bullenrassler Tuk, und der –«

»Ja, ja, aber das ist lange her«, sagte Gloin. »Ich habe über Sie gesprochen. Und ich versichere Ihnen, das Zeichen steht an Ihrer Tür, das in diesem Beruf übliche, oder zumindest war es früher so üblich. Meisterdieb sucht lohnende Aufgaben – und einige Abenteuer bei angemessener Bezahlung, so wird das Zeichen gewöhnlich verstanden. Für Meisterdieb können Sie, wenn Sie wollen, auch Schatzsucher mit langjähriger Berufserfahrung sagen; manche hören das lieber. Uns ist es egal. Gandalf hat uns gesagt, hier in der Gegend soll es einen Mann dieses Schlages geben, der kurzfristig einen Auftrag übernehmen kann, und er hat hier für diesen Mittwoch zur Teestunde ein Treffen mit ihm verabredet.«

»Natürlich steht das Zeichen da«, sagte Gandalf. »Ich habe es selbst an die Tür gekratzt. Und das aus sehr guten Gründen. Ihr habt mich gebeten, den vierzehnten Mann für eure Expedition ausfindig zu machen, und ich habe mich für Herrn Beutlin entschieden. Soll nur einer sagen, ich hätte den Falschen oder das falsche Haus ausgesucht, dann könnt ihr von mir aus dreizehn bleiben und euer Unglück herausfordern, oder ihr geht wieder Kohle schürfen!«

Er funkelte Gloin so wütend an, dass der Zwerg auf seinem Stuhl ganz klein wurde; und als Bilbo den Mund aufmachte, um eine Frage zu stellen, da funkelte er ihn ebenso an und streckte seine buschigen Augenbrauen weit heraus, bis Bilbo den Mund wieder zuklappte. »So ist’s recht«, sagte Gandalf. »Schluss jetzt mit dem Streit! Ich habe Bilbo Beutlin ausgesucht, und das sollte euch genügen. Wenn ich sage, er ist ein Meisterdieb, dann ist er ein Meisterdieb, oder wird einer sein, wenn die Zeit gekommen ist. In ihm steckt mehr, als ihr erraten könnt, und sogar noch einiges mehr, als er selber ahnt. Ihr werdet es (möglicherweise) alle noch erleben und mir dankbar sein. Und jetzt, Bilbo, mein Junge, brauchen wir eine Lampe, damit wir das hier ein bisschen genauer ansehen können.«

Und im Schein einer großen Lampe mit rotem Schirm breitete er ein Blatt Pergament auf dem Tisch aus, das ganz wie eine Landkarte aussah.

»Die hat dein Großvater Thror gezeichnet, Thorin«, antwortete er auf die erregten Fragen der Zwerge. »Es ist eine Karte vom Einsamen Berg.«

»Ich glaube nicht, dass sie uns viel nützen wird«, sagte Thorin enttäuscht, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte. »An den Berg und die Länder ringsum erinnere ich mich noch gut. Und ich weiß auch, wo der Düsterwald ist und die Verdorrte Heide, wo die großen Drachen brüten.«