Ein schwirrendes Geräusch kam näher. Ein roter Lichtschein fiel auf die Felsspitzen. Der Drache.
Ihre Bündel hinter sich herziehend und -schleifend, hatten sie kaum Zeit, in den Tunnel zu flüchten, als Smaug von Norden herangebraust kam und die Berghänge mit Flammen bestrich. Sein gewaltiger Flügelschlag hörte sich an wie ein brüllender Sturm. Sein heißer Atem verbrannte das Gras vor der Tür, schlug durch den Spalt herein, den sie offengelassen hatten, und versengte einige, die dort lagen. Flammen loderten auf, und schwarze Felsschatten tanzten wild umher. Dann wurde es wieder dunkel, als er weiterflog. Die Ponys wieherten vor Entsetzen, zerrissen ihre Seile und galoppierten in Panik davon. Der Drache drehte eine Kurve und stieß ins Tal hinab, um sie zu verfolgen. Er war fort.
»Das wird das Ende unserer armen Tiere sein«, sagte Thorin. »Niemand kann Smaug entkommen, wenn der ihn einmal gesehen hat. Da sitzen wir also! Wir werden hier bleiben müssen, es sei denn, jemand hat Lust, die vielen Meilen durchs offene Gelände bis zum Fluss zurückzulaufen, während Smaug durch die Gegend streift.«
Es war kein verlockender Gedanke. Sie krochen tiefer in den Tunnel hinab, und obwohl es warm und stickig war, lagen sie dort und zitterten, bis ein blasser Morgenschimmer durch den Türspalt zu sehen war. Die ganze Nacht hindurch hörten sie ab und zu das brausende Fluggeräusch, wie es näher kam und vorüberzog. Der Drache kreiste immer noch um die Berghänge.
An den Ponys und an den Lagerspuren, die er entdeckte, erkannte er, dass Menschen vom See den Fluss heraufgekommen sein mussten und von dem Tal aus, wo die Ponys gestanden hatten, den Berghang erstiegen hatten; aber die geheime Tür war seinem Blick entgangen, und die kleine, von hohen Felswänden umschlossene Nische hatte seine heißesten Flammen abgehalten. Lange hatte er vergeblich gejagt, bis der Morgen seinen Zorn abkühlte und er auf sein goldenes Bett zurückkehrte, um zu schlafen – und neue Kraft zu schöpfen. Den Diebstahl aber würde er nie vergeben und vergessen sein lassen, und wenn er in tausend Jahren darüber zu einem schwelenden Stein werden sollte: Er konnte warten! Ganz still und langsam kroch er wieder in sein Lager und schloss die Augen, aber nur halb.
Gegen Morgen erholten sich die Zwerge von ihrem Schreck. Sie sahen ein, dass dergleichen Gefahren nun einmal nicht zu vermeiden waren, wenn man es mit einem Drachen zu tun hatte, und dass es nicht anging, ihr Unternehmen jetzt schon abzubrechen. Außerdem konnten sie vorläufig gar nicht fort, wie Thorin schon erklärt hatte. Ihre Ponys waren fort oder tot, und sie würden einige Zeit warten müssen, bis Smaugs Wachsamkeit so weit nachließe, dass sie es wagen könnten, sich zu Fuß auf den langen Weg zu machen. Zum Glück hatten sie von ihren Vorräten so viel in Sicherheit gebracht, dass sie es noch eine ganze Weile aushalten konnten.
Lange berieten sie, was zu tun sei, aber es fiel ihnen einfach nichts dazu ein, wie Smaug aus dem Wege zu räumen wäre – schon von Anfang an ein schwacher Punkt in ihren Plänen, wie Bilbo sich anzumerken erlaubte. Dann, wie es ganz und gar ratlose Leute zu tun pflegen, begannen sie zu schimpfen, und zwar auf den Hobbit, dem sie nun zum Vorwurf machten, was sie zuerst so erfreut hatte: dass er den Pokal mitgenommen und damit so frühzeitig den Zorn des Drachen erregt hatte.
»Was denkt ihr denn, wozu ein Meisterdieb da ist?«, sagte Bilbo wütend. »Ihr habt mich nicht als Drachentöter engagiert, das wäre Sache eines Kriegers, sondern zum Stehlen. Ich habe so gut es ging angefangen, die Schätze zu stehlen. Habt ihr vielleicht erwartet, dass ich mit Thrors gesamtem Hort auf dem Buckel zu euch zurückgetrabt komme? Wenn hier irgendwer Grund zu Beschwerden hat, dann ich. Ihr hättet fünfhundert Diebe mitnehmen sollen und nicht nur einen. Dass ihr mir dieses Ausmaß des Schatzes, so sehr es euren Großvater ehren mag, je deutlich gemacht hättet, könnt ihr nicht behaupten. Ich würde hundert Jahre brauchen, um alles heraufzuschleppen, selbst wenn ich fünfzigmal größer und Smaug zahm wie ein Kaninchen wäre.«
Natürlich baten ihn die Zwerge daraufhin um Verzeihung. »Was also meinst du, sollen wir tun, Herr Bilbo Beutlin?«, fragte Thorin sehr höflich.
»Ich habe einstweilen keine Ahnung – wenn du meinst, wie wir den Schatz wegschaffen sollen. Dazu müssten wir offenbar noch einmal Glück haben und Smaug auf irgendeine Weise aus dem Weg räumen. Wie man einen Drachen aus dem Weg räumt, davon versteh ich gar nichts, aber ich will mir Mühe geben und drüber nachdenken. Ich für mein Teil mache mir gar keine Hoffnungen und wünsche mir bloß, ich wäre wohlbehalten wieder daheim.«
»Davon für den Augenblick mal abgesehen! Aber was tun wir jetzt, heute?«
»Also, wenn ihr meinen Rat hören wollt, würd ich sagen, wir tun am besten erst mal gar nichts und bleiben, wo wir sind. Bei Tage können wir sicher ohne Gefahr draußen ein wenig Luft schnappen. Vielleicht können wir bald einen oder zwei von uns zum Lager am Fluss schicken, um neue Vorräte zu holen. Aber einstweilen sollten wir nachts lieber alle im Tunnel bleiben.
Und eines kann ich euch noch anbieten: Ich habe ja meinen Ring und könnte gleich heute Mittag – denn wann sonst wird Smaug ein Nickerchen machen? – noch mal hinunterschleichen und sehen, was er macht. Vielleicht kommt etwas dabei heraus. ›Jeder Drache hat seinen wunden Punkt‹, wie mein Vater immer sagte, allerdings sicher nicht aufgrund persönlicher Erfahrung.«
Selbstverständlich gingen die Zwerge auf sein Anerbieten mit Freuden ein. Schon lange hatten sie vor Bilbo großen Respekt; nun aber wurde er der wahre Anführer ihres Unternehmens. Nun hatte er auch seine eigenen Pläne und Ideen. Gegen Mittag machte er sich bereit, von neuem in den Berg hinabzusteigen. Gern tat er es nicht, aber er fand es nicht mehr so schlimm, weil er nun mehr oder weniger wusste, was ihn erwartete. Wäre er über Drachen und ihre Tücken genauer im Bilde gewesen, hätte er wohl mehr Bedenken und weniger Hoffnung gehabt, Smaug bei einem Nickerchen anzutreffen.
Draußen schien die Sonne, als er losging, aber im Tunnel war es schwarz wie die Nacht. Das Licht von der fast geschlossenen Tür schwand schnell. Ein Rauchschwaden oder ein Windhauch hätten nicht leiser sein können als seine Schritte, und er erlaubte sich, ein wenig stolz auf sich zu sein, als er dem unteren Ende des Tunnels näher kam. Nur ein klein wenig Glut war zu sehen.
»Der alte Herr ist müde und schläft«, dachte er. »Sehen kann er mich nicht und hören auch nicht, also keine Sorge, Bilbo!« Er hatte vergessen oder vielleicht nie gehört, was Drachen für einen Geruchssinn haben. Außerdem bleibt es eine leidige Tatsache, dass sie im Schlaf ein wachsames halbes Auge offenhalten können, wenn sie misstrauisch sind.
Smaug sah zwar so aus, als ob er fest schliefe, fast wie tot und erloschen, so leise schnarchend, dass kaum mehr als ein Fädchen unsichtbaren Dampfes von ihm aufstieg, als Bilbo zum zweiten Mal vom Eingang hereinlugte. Er wollte eben weiter vortreten, als er unversehens einen dünnen, bohrenden roten Strahl bemerkte, der unter dem tief herabhängenden Lid von Smaugs linkem Auge hervorkam. Der Drache stellte sich nur schlafend! Er beobachtete den Tunneleingang! Hastig trat Bilbo zurück und war heilfroh, dass er den Ring aufgesteckt hatte. Dann sprach Smaug.
»Sei gegrüßt, Dieb! Ich kann dich riechen. Ich kann deinen Luftzug spüren. Ich kann deinen Atem hören. Tritt nur näher! Bediene dich abermals, es ist noch genug da!«
Aber ganz so unbeschlagen in der Drachenkunde war Bilbo denn doch nicht, und wenn Smaug gehofft haben sollte, ihn so leicht zum Nähertreten bewegen zu können, so wurde er enttäuscht. »Nein, danke, o Smaug, du Gewaltiger!«, antwortete er. »Ich komme nicht, um Geschenke zu empfangen. Ich wollte dich nur anschauen und mit eigenen Augen sehen, ob du wirklich so groß bist, wie es in den Geschichten heißt. Ich hatte es nicht geglaubt.«