Es war ihm offenbar so ernst damit, dass die Zwerge schließlich taten, was er wollte; nur mit dem Schließen der Tür zögerten sie noch: Es schien eine Verzweiflungstat zu sein, denn keiner wusste, ob oder wie sie von innen wieder zu öffnen wäre, und den Gedanken, an einem Ort eingeschlossen zu sein, von dem der einzige Ausweg durch das Schlafzimmer des Drachen führte, fanden sie nicht verlockend. Außerdem schien alles ruhig zu sein, sowohl draußen als auch unten im Tunnel. Längere Zeit saßen sie darum drinnen nicht weit von der halboffenen Tür und redeten weiter.
Das Gespräch kam auf die bösen Worte, die der Drache über die Zwerge gesagt hatte. Bilbo wünschte sich, er hätte sie nie gehört. Konnte er ganz sicher sein, dass die Zwerge vollkommen aufrichtig waren, wenn sie nun behaupteten, überhaupt noch nie bedacht zu haben, was dann wäre, wenn sie den Schatz erst gewonnen hätten? »Wir wussten, dass es ein riskantes Unternehmen ist«, sagte Thorin, »und das wissen wir immer noch; und ich glaube immer noch, wenn es uns gelungen ist, wird es früh genug sein, zu überlegen, was wir mit dem Schatz anfangen. Was deinen Anteil betrifft, Bilbo Beutlin, so versichere ich dir, dass wir dir mehr als dankbar sein werden und dass du dir dein Vierzehntel aussuchen kannst, sobald wir etwas zu verteilen haben. Es tut mir leid, dass du wegen des Transports Bedenken hast, und, zugegeben, die Schwierigkeiten sind beträchtlich – die Länder werden nicht sicherer im Laufe der Zeit, eher das Gegenteil –, aber wir werden für dich tun, was wir können, und auch unseren Teil zu den Kosten beitragen, wenn es so weit ist. Glaub es mir, oder glaub es nicht!«
Von da aus wandte sich das Gespräch dem großen Hort selbst zu und den Gegenständen, an die Thorin und Balin sich erinnerten. Sie fragten sich, ob sie alle noch unbeschädigt dort unten in der Halle lägen: Die Speere, die einst für das Heer des großen Königs Bladorthin (er war schon lange tot) geschmiedet wurden, jeder mit dreifach gehärteter Spitze und mit kunstvollen Einlegearbeiten aus Gold in den Schäften, aber niemals abgeliefert oder bezahlt; Schilde für längst verblichene Krieger; Thrors großer Goldpokal, zweihenklig, gehämmert und graviert mit Vögeln und Blumen, deren Augen und Blütenblätter aus Juwelen bestanden; Panzerhemden, vergoldet, versilbert und undurchdringlich; das Halsband Fürst Girions von Thal, bestehend aus fünfhundert grasgrünen Smaragden, das der Fürst für die Rüstung seines ältesten Sohnes hergegeben hatte, ein Panzerhemd aus engverschlungenen Ringen, wie es noch nie zuvor geschmiedet worden war, denn es war von reinem Silber, doch von der Festigkeit dreifach gehärteten Stahls. Das Kostbarste von allem aber war der große weiße Edelstein, den die Zwerge unter den Wurzeln des Berges gefunden hatten, das Herz des Berges, Thrains Arkenstein.
»Der Arkenstein, der Arkenstein!«, murmelte Thorin im Dunkeln, halb träumend, das Kinn auf den Knien. »Er war wie eine Kugel mit tausend Facetten; er leuchtete wie Silber im Feuerschein, wie Wasser in der Sonne, wie Schnee unter den Sternen, wie Regen bei Mondlicht!«
Aber von Bilbo war der Zauber, der ihn den Schatz hatte begehren lassen, abgefallen. Die ganze Zeit, während sie redeten, hörte er nur halb zu. Er saß gleich neben der Tür, das eine Ohr gespitzt nach Geräuschen von draußen, um jedes gleich im Anflug zu erkennen, mit dem anderen über das Gemurmel der Zwerge hinweg nach leisen Echos aus dem Tunnel horchend.
Die Dunkelheit wurde dichter, und er wurde immer nervöser. »Schließt doch bitte die Tür!«, bat er die Zwerge. »Mir geht die Angst vor diesem Drachen durch Mark und Bein. Diese Stille gefällt mir noch weniger als sein Krawall letzte Nacht. Schließt die Tür, bevor es zu spät ist!«
Etwas in seiner Stimme machte auch die Zwerge nervös. Langsam löste sich Thorin aus seinen Träumen, stand auf und stieß den Stein weg, der die Tür offen hielt. Dann drückten sie gegen die Tür, und sie schloss sich mit einem lauten, schnappenden Ton. Innen war keine Spur von einem Schlüsselloch. Sie hatten sich in den Berg eingeschlossen!
Und keinen Augenblick zu früh. Kaum waren sie ein Stück weit in den Tunnel hineingegangen, als ein Schlag gegen den Berghang krachte, wie der Aufprall eines von Riesen geschwungenen Rammbocks aus Eichenstämmen. Der Fels dröhnte, die Wände knackten, und von der Decke fielen Steine auf sie herab. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätten sie die Tür noch offen gelassen. Sie flüchteten weiter in den Tunnel hinab, froh, dass sie noch am Leben waren, und hörten, wie Smaug draußen tobte und wütete. Er schlug Felsen in Stücke, zerschmetterte Wände und Klippen mit den Peitschenhieben seines gewaltigen Schwanzes, bis ihr kleiner oberer Lagerplatz mit dem verbrannten Gras, dem Drosselstein und den Schnecken an den Wänden und der schmale Felssims davor ein einziger Haufen Trümmer waren und eine Lawine von Felssplittern über die Klippe zu Tal stürzte.
Smaug war in aller Stille von seinem Lager aufgestanden, hatte sich leise in die Luft aufgeschwungen und war in schwerfälligem, langsamem Schwebeflug wie eine ungeheure Krähe auf dem Westhang des Berges niedergegangen, in der Hoffnung, dort jemanden oder etwas zu überraschen und den Ausgang des Tunnels zu erkennen, den der Dieb benutzt hatte. Dann, als er dort nichts und niemanden sah, selbst dort nicht, wo seiner Vermutung nach der Ausgang sein musste, ließ er seiner Wut freien Lauf.
Nachdem er sich ausgetobt hatte, war ihm wohler. Von dieser Seite, so glaubte er fest, war keine Störung mehr zu befürchten. Aber noch eine Rechnung war zu begleichen. »Fassreiter!«, schnob er. »Deine Füße kamen vom Wasser her, und ohne Zweifel bist du den Wasserlauf heraufgekommen. Deinen Geruch kenn ich nicht, aber wenn du auch keiner von diesen Seemenschen bist, dann haben sie dir doch geholfen. Die sollen mich kennenlernen, damit sie nicht vergessen, wer der wahre König unter dem Berge ist!«
Und flammensprühend schwang er sich in die Luft auf und flog nach Süden, in die Richtung des Flusses.
XIII
Nicht daheim
Unterdessen saßen die Zwerge im Dunkeln, und tiefe Stille umgab sie. Sie aßen wenig, sprachen wenig, konnten die Stunden nicht zählen und wagten kaum, sich zu rühren, denn schon das leiseste Geflüster hallte und schwirrte weit durch den Tunnel. Wenn sie eingeschlafen waren und erwachten, war es immer noch genauso dunkel, immer noch genauso still. Endlich, nach Tagen über Tagen des Wartens, wie es ihnen vorkam, halb erstickt und benommen aus Mangel an frischer Luft, hielten sie es nicht mehr aus. Geräusche von unten, die ihnen die Rückkehr des Drachen anzeigten, wären ihnen beinah willkommen gewesen. Sie befürchteten, dass die Stille vielleicht nur eine seiner hinterlistigen Teufeleien war, aber sie konnten nicht ewig hier sitzen bleiben.
Thorin nahm das Wort: »Sehen wir uns mal die Tür an!«, sagte er. »Ich muss bald wieder den Wind im Gesicht spüren, oder ich komme um. Ich glaube, ich lasse mich lieber im Freien von Smaug niedermachen, als dass ich hier drinnen ersticke.« Mehrere von den Zwergen standen auf und tasteten sich dahin zurück, wo die Tür gewesen war. Aber sie fanden das obere Tunnelende zertrümmert und mit Felsgeröll verschüttet. Weder der Schlüssel noch die Magie, der diese Tür einst gehorcht hatte, konnten sie je wieder öffnen.
»Wir sind gefangen!«, stöhnten sie. »Das ist das Ende. Hier kommen wir nicht lebend hinaus.«
Aber gerade wenn die Zwerge am tiefsten verzweifelt waren, wurde es Bilbo immer irgendwie leichter ums Herz, wie wenn ihm unter seiner Weste ein schweres Gewicht abgenommen worden wäre.
»Hört auf zu jammern!«, sagte er. »Wo Leben ist, da ist auch Hoffnung, hat mein Vater immer gesagt, und, wie er auch gesagt hat, aller guten Dinge sind drei. Ich gehe noch mal den Tunnel hinunter. Ich bin den Weg schon zweimal gegangen, als ich wusste, dass am andern Ende ein Drache liegt, also kann ich es zum dritten Mal riskieren, wenn ich gar nicht sicher bin, dass er da ist. Ohnehin führt unser einziger Ausweg nach unten. Und ich glaube, diesmal solltet ihr alle lieber mitkommen.«