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»Du hast …«, setzt Erik an und hört seine eigene Stimme zittern. »Du hast vorher deinen Vater getroffen.«

»Ja, am Fußballplatz«, antwortet Josef.

Er verstummt, scheint sich zu wundern, starrt mit schlafendem Blick ins Leere.

Erik sieht, dass Josefs Puls schneller wird, und begreift, dass gleichzeitig der Blutdruck fällt.

»Ich möchte, dass du tiefer sinkst«, sagt Erik gedämpft. »Du sinkst, fühlst dich ruhiger, wohliger und …«

»Mama nicht?«, fragt der Junge mit kläglicher Stimme.

»Josef, erzähl mir, hast du auch deine große Schwester Evelyn getroffen?«

Erik beobachtet Josefs Gesicht und ist sich bewusst, dass seine Vermutung zu einem Problem, einem Riss in der Hypnose führen könnte, falls sich herausstellen sollte, dass er sich irrt. Aber er muss diese jähe Kehrtwende machen, denn die Zeit wird knapp, er muss die Hypnose jeden Moment abbrechen, der Zustand des Patienten ist wieder kritisch.

»Was ist passiert, als du Evelyn getroffen hast?«, fragt er.

»Ich hätte niemals zu ihr fahren sollen.«

»War das gestern?«

»Sie hat sich im Sommerhaus versteckt«, flüstert der Junge lächelnd.

»In welchem Sommerhaus?«

»Tante Sonjas«, sagt er müde.

»Kannst du beschreiben, was in dem Sommerhaus passiert ist?«

»Ich stehe nur da, und Evelyn freut sich überhaupt nicht, ich weiß, was sie denkt«, murmelt er. »Ich bin für sie nur ein Hund, ich bin nichts wert …«

Josef weint, sein Mund zittert.

»Sagt Evelyn das zu dir?«

»Ich will nicht, ich brauche das nicht, ich will nicht«, jammert Josef.

»Was willst du nicht?«

Seine Lider beginnen, unkontrolliert zu zittern.

»Was passiert jetzt, Josef?«

»Sie sagt, dass ich beißen, immer weiter zubeißen muss, um meine Belohnung zu bekommen.«

»Wen sollst du beißen?«

»In dem Sommerhaus gibt es ein Bild, ein Bild in einem Rahmen, der aussieht wie ein Fliegenpilz … da sind Papa, Mama und Lisa, aber …«

Sein Körper ist plötzlich angespannt, seine Beine bewegen sich schnell und schwer, er löst sich aus der ganz tiefen Hypnose. Erik lenkt ihn vorsichtig ab, beruhigt ihn und hebt den Patienten einige Bewusstseinsstufen höher. Sorgsam schließt er die Türen zu allen Erinnerungen an den Vortag und zu allen Erinnerungen an die Hypnose. Keine von ihnen darf offen stehen, wenn er den vorsichtigen Prozess des Aufweckens beginnt.

Als Erik Josef verlässt, liegt der Junge lächelnd im Bett. Der Kriminalkommissar steht von seinem Stuhl in der Ecke auf, verlässt gemeinsam mit Erik das Zimmer und geht zum Kaffeeautomaten.

»Ich bin beeindruckt«, sagt Joona leise und zieht sein Handy heraus.

Ein trostloses Gefühl übermannt Erik, die Vorahnung, dass etwas unwiderruflich schiefgegangen ist.

»Bevor Sie telefonieren, möchte ich eins betonen«, sagt Erik. »Der Patient sagt unter Hypnose immer die Wahrheit, aber es ist seine Wahrheit, er spricht nur über das, was er selbst als Wahrheit auffasst, er beschreibt also nur seine eigenen subjektiven Erinnerungen und nicht …«

»Das ist mir durchaus bewusst«, unterbricht Joona ihn.

»Ich habe schizophrene Menschen hypnotisiert«, fährt Erik fort.

»Was wollen Sie mir damit sagen?«

»Josef hat von seiner Schwester gesprochen …«

»Ja, dass sie von ihm verlangt hat, zu beißen wie ein Hund und so weiter«, sagt Joona.

Er wählt eine Nummer und hält sich das Handy ans Ohr.

»Es muss nicht stimmen, dass seine Schwester ihm gesagt hat, er soll das tun«, erklärt Erik.

»Aber sie könnte es getan haben«, erwidert Joona und hält eine Hand hoch, um Erik zum Schweigen zu bringen. »Anja, mein Goldstück …«

Man ahnt eine sanfte Stimme am anderen Ende.

»Könntest du bitte etwas für mich nachschauen? Ja, genau. Josef Ek hat eine Tante namens Sonja, die irgendwo ein Haus oder ein Sommerhaus hat und … Ja … das ist lieb von dir.«

Joona blickt zu Erik auf.

»Entschuldigung, Sie wollten noch etwas sagen.«

»Nur noch eins, es ist ebenso wenig sicher, dass Josef seine Familie ermordet hat.«

»Ist es denn eigentlich möglich, dass er sich selbst all diese Wunden zugefügt hat? Kann er sich so verwundet haben? Was denken Sie?«

»Eigentlich nicht, aber andererseits – theoretisch schon«, antwortet Erik.

»Wenn das so ist, glaube ich in der Tat, dass da drinnen unser Täter liegt«, sagt Joona.

»Das denke ich auch.«

»Kann er in seinem Zustand aus dem Krankenhaus abhauen?«

»Nein«, antwortet Erik überrascht lächelnd.

Joona geht in Richtung Flur.

»Wollen Sie zum Haus der Tante fahren?«, fragt Erik.

»Ja.«

»Ich könnte Sie begleiten«, sagt Erik und folgt Joona. »Seine Schwester könnte verletzt sein oder unter Schock stehen.«

9.

Dienstagmittag, der achte Dezember

Simone sitzt in der Bahn und sieht aus dem Fenster. Sie ist immer noch verschwitzt, nachdem sie die leere Wohnung verlassen hat und bis zur U-Bahn-Haltestelle gelaufen ist.

Jetzt steht der Zug in Huvudsta.

Sie denkt, dass sie besser ein Taxi genommen hätte, versucht sich jedoch einzureden, dass nichts passiert ist.

Sie wirft erneut einen Blick auf ihr Handy und fragt sich, ob die seltsame Frau, mit der sie gesprochen hat, Aidas Mutter war und ob es wirklich stimmte, dass Aida in einem Tattoo-Studio im Zentrum von Tensta war.

Die Türen schließen sich, gehen aber sofort wieder auf. Weiter vorn hört man Rufe, dann gleiten die Türen erneut zu, und der Zug setzt sich endlich in Bewegung.

Ihr gegenüber raschelt ein Mann mit Zeitungen. Er sammelt sie, breitet sie auf dem Sitz neben sich aus, scheint etwas zu vergleichen, faltet sie wieder zusammen. Über das Spiegelbild im Fenster sieht sie, dass er von Zeit zu Zeit zu ihr hinüberschielt. Sie überlegt, sich woanders hinzusetzen, bleibt aber sitzen, als ein Klingelton ihres Handys anzeigt, dass sie eine SMS bekommen hat. Sie ist von Ylva in der Galerie. Simone kann sich nicht dazu aufraffen, die Nachricht zu öffnen. Sie hat gehofft, dass es eine Nachricht von Erik ist. Sie weiß nicht, wie oft sie es schon versucht hat, ruft ihn aber trotzdem noch einmal auf dem Handy an. Sie lauscht den dumpfen Tönen und der plötzlichen Weiterleitung auf die Mailbox.

»Sie da«, sagt der Mann ihr gegenüber mit spöttisch drängelnder Stimme.

Sie gibt sich den Anschein, als könnte sie ihn nicht hören, schaut aus dem Fenster und tut so, als würde sie jemandem am Telefon lauschen.

»Hallo-o?«, sagt der Mann.

Sie sieht ein, dass er erst Ruhe geben wird, wenn sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkt. Wie so viele andere Männer auch scheint er nicht zu verstehen, dass Frauen ein eigenes Leben führen, eigenen Gedanken nachhängen und nicht in der ständigen Bereitschaft leben, Männern zuzuhören.

»He, Sie, hören Sie nicht, dass ich mit Ihnen rede«, wiederholt der Mann.

Simone wendet sich ihm zu.

»Ich höre Sie sehr gut«, sagt sie ruhig.

»Warum antworten Sie mir dann nicht?«, fragt er.

»Ich antworte Ihnen jetzt.«

Er zwinkert zweimal, und dann kommt es:

»Sie sind eine Frau, stimmt’s?«

Simone schluckt und denkt, dass er bestimmt zu der Sorte Männer gehört, die einen zwingen will, seinen Namen zu nennen und zu erzählen, ob man verheiratet ist, und einen so lange provoziert, bis man richtig unfreundlich wird.

»Sind Sie eine Frau?«

»Ist das alles, was Sie wissen wollen?«, fragt sie kurz und wendet sich erneut dem Fenster zu.

Er steht auf und setzt sich neben sie.

»Jetzt hören Sie mir mal zu … Ich hatte eine Frau, und meine Frau, meine Frau …«

Simone spürt, dass Speichelspritzer auf ihrer Wange landen.

»Sie war wie Elizabeth Taylor«, fährt der Mann fort. »Wissen Sie, wer das ist?«