Volker murmelte ein kurzes Gebet und blickte zu Belliesa. Die Franken hatten ihr einen Knebel angelegt, so, als schienen sie selbst jetzt noch ihre Worte zu fürchten. Die Bardin wirkte blaß. Als sie bemerkte, daß er zu ihr hinübersah, nickte sie ihm kurz zu. Ob der Franke im Recht war? Konnte sich hinter soviel Schönheit eine finstere Zauberin verbergen?
Der Burgunde leckte sich nervös über die Lippen. »Ich bin bereit, Heliodromus.«
Der Magister Equitum machte keine Anstalten anzugreifen. Ruhig stand er vor dem Scheiterhaufen, das Schwert leicht erhoben, und wartete auf Volker. Der Spielmann schluckte. Er haßte es, wenn seine Gegner sich in der Darstellung gelassener Selbstsicherheit präsentierten. Offenbar fehlte dem Franken die Phantasie, sich überhaupt nur vorstellen zu können, daß er im Schwertkampf auch einmal unterliegen könnte...
Mit einem plötzlichen Satz nach vorne griff Volker an, das Schwert weit vorgestreckt, um es dem Statthalter geradewegs durch den Leib zu rammen. Ein leises Raunen ging durch die Menge. Erst im allerletzten Moment machte der Franke einen Schritt zur Seite. Seine Klinge fuhr in einem blitzenden Halbkreis hinab und verfehlte den Kopf des Barden, der sich hastig duckte, um weniger als einen Fingerbreit. Deutlich hatte Volker den Luftzug der Waffe gespürt. Mit zwei schnellen Schritten brachte er sich außer Reichweite des Kriegers. Statt ihm nachzusetzen, nahm Heliodromus wieder seine abwartende Stellung ein. Volker krampfte wütend seine Faust um den Schwertgriff. Der Franke wollte ihn nicht allein besiegen, er wollte ihn vorführen, demütigen...
Volker zwang sich zur Ruhe. Wie man einen Auftritt in Szene setzte, wußte er mit Sicherheit besser. Der Spielmann drehte sein Langschwert, so daß es mit der Spitze zum Boden zeigte. In der Rechten hielt er den Schwertgriff nur noch zwischen Daumen und Zeigefinger. Seine linke Hand legte der Spielmann auf den fein ziselierten Scheibenknauf seiner Waffe. Er hatte diese ungewöhnliche Schwerthaltung erst in einigen Übungsstunden mit Hagen erprobt, doch selbst den finsteren Recken hatte er damit zu beeindrucken vermocht. Kein vernünftiger Mensch hielt seine Waffe auf diese Art...
Heliodromus schien irritiert. Volker wünschte, er könne durch die eiserne Maske hindurch das Gesicht seines Gegners sehen. Die kalten, ebenmäßigen Züge der Maske verbargen jede Regung seines Gegenübers. Sie unterstrichen die zur Schau gestellte Gelassenheit. Ein blechernes Lachen erklang. »Sollte ich dich am Kopf getroffen haben, daß du nicht mehr weißt, wie man ein Schwert in Händen hält, Barde.« Der Statthalter ernte mit seiner Bemerkung einige Lacher. Die meisten Zuschauer jedoch blieben ruhig. Es schien, als sei der Franke nicht sonderlich beliebt in der Stadt.
»Komm her und lehre mich, wie ich eine Waffe zu führen habe. Oder bist du mit dem Boden verwachsen, Heliodromus?«
Der Krieger verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Einen Augenblick lang schien er unschlüssig. Das Schwert zur Parade erhoben, kam der Recke langsam näher. In gespannter Unruhe folgte Volker jeder Bewegung. Heliodromus war ein gewandter Schwertkämpfer. Nicht einen Atemzug lang gab er sich eine Blöße. Volker fluchte innerlich. Könnte er nur das Gesicht des Franken sehen! Den meisten Kriegern sah man es an, wenn sie sich zu einem überraschenden Angriff entschlossen. Sie preßten die Lippen aufeinander, ihr Blick wurde härter... Es gab Dutzende kleiner Vorzeichen, die den Gedanken an einen Schwerthieb einen halben Herzschlag, bevor er erfolgte, verrieten. Doch Heliodromus war nichts anzumerken, bis er plötzlich vorwärtsschnellte. Wie ein Pfeil, der von der Sehne eines Bogens flog, kam die funkelnde Schwertklinge des Franken auf Volker zugeschossen.
Statt auszuweichen drückte Volker die Hand auf seinem Schwertknauf herunter, und gleich einem stählernen Stachel ragte die Waffe nun waagerecht dem Franken entgegen, wobei die Spitze dicht unterhalb des Halses auf sein Brustbein zielte. Erschrocken zuckte Heliodromus zurück. Volker machte einen Ausfallschritt nach vorne. Seine Schwertspitze schrammte über das Kettenhemd des Franken, der fast das Gleichgewicht verlor und sich taumelnd außer Reichweite der Waffe brachte. Mit einer schnellen Drehung riß der Burgunde sein Schwert herum und führte einen Schlag nach dem Kopf des Statthalters. Heliodromus versuchte seine Klinge zur Parade hochzureißen, doch er war zu langsam. Funken stoben, als Volkers Schwertspitze kreischend über die eiserne Gesichtsmaske schrammte. So als habe ihn die Faust eines Riesen getroffen, schwankte der Statthalter und brach dann in die Knie. In der eisernen Maske klaffte ein Schnitt, der von der Schläfe bis zum Kinn reichte. Dunkles Blut floß über das polierte Metall. Heliodromus fiel die Waffe aus den Händen. Im Licht der Fackel, die er vor Beginn des Kampfes zu Boden gelegt hatte, blinkte ein Ring mit einem goldenen Löwenkopf. Ein ungewöhnlicher Schmuck für einen Kämpfer...
Einige Herzschläge lang herrschte atemlose Stille auf dem Marktplatz. Dann eilten einige der Krieger des Statthalters herbei, um den Magister Equitum aufzuheben und fortzutragen. Volker schob sein Schwert in die Scheide und dankte Gott in einem stummen Gebet.
Ein Krieger mit einem Maskenhelm, über dem sich ein breiter Federkamm erhob, trat vor den Barden. »Für heute hast du gewonnen, Burgunde. Nimm die Zauberin und sieh, daß du davonkommst. Heliodromus hat dir versprochen, daß der Sieger freies Geleit bekommt. Ich werde sein Wort nicht in Frage stellen, doch glaube ich nicht, daß du auf ehrliche Weise gewonnen hast. Jeder konnte sehen, auf welch wunderliche Art du dein Schwert führst, Burgunde. Das haben dich Dämonen gelehrt! In ehrbarem Kampf hättest du den Statthalter niemals besiegt. Wisse also, daß ich dich der schändlichen Zauberei anklage, und von morgen an werden meine Männer dich jagen und dich und die Deinen töten, wo immer sie dich finden.«
Volker bedachte den Offizier mit einem abfälligen Blick, dann zog er seinen Dolch und stieg auf den Scheiterhaufen, um die Fesseln der Bardin zu lösen. Belliesa nickte ihm dankbar zu und massierte einen Augenblick lang ihre blutunterlaufenen Handgelenke. Dann löste sie den Knebel und sprang mit einem Satz von dem Holzstoß. Der Spielmann sah ihr verwundert nach. Er hatte nicht gerade erwartet, daß sie ihm um den Hals fiel und küßte, aber mit etwas mehr Dank für ihre Rettung hatte er schon gerechnet. Belliesa ging auf ihr Pferd zu, holte einen langen schwarzen Umhang aus den Satteltaschen und legte ihn sich um die Schultern. Mit einem Satz war sie im Sattel und blickte zu ihm. »Kommt, Barde, wir haben noch einen weiten Weg bis zur Dämmerung.«
Volker wollte etwas sagen, biß sich aber im letzten Moment auf die Lippen. Wenn er jetzt etwas auf ihre Frechheiten erwiderte, würde die ganze Sache peinlich für ihn. Wie konnte sie es wagen, einfach die Führung an sich zu reißen? Jeder, der zugesehen hatte, mußte denken, er sei ihr Lakai! Wütend stieg er in den Sattel. Belliesa verbeugte sich vor den Städtern, die den weiten Platz umstanden, so daß man meinen könnte, das Ganze sei eine Schmierenkomödie, aufgeführt von einer fahrenden Gauklertruppe. Dem Spielmann blieb nicht verborgen, daß viele der Einwohner Icorigiums offenbar froh darüber waren, daß die Bardin dem Scheiterhaufen entkommen war. Wer war diese Frau?
Belliesa hob die Rechte und winkte Volker zu, ihr zu folgen. Dann gab sie ihrer prächtigen Stute die Sporen und preschte auf das Ende des Platzes zu, an dem Golo wartete. Eine breite Gasse bildete sich zwischen den Zuschauern. »Möge Gott seine schützende Hand über dich halten, Belliesa«, ertönte aus den Gedränge die Stimme einer jungen Frau.