»Was ist das?«, stammelte der Spielmann leise. Seine Zunge war wie taub. Die Federn! Es waren dieselben, wie sie der Märchenerzähler am Hof von Burgund als Beweis für die Wahrheit seiner Geschichte vom Feuervogel vorgezeigt hatte.
»Mein Glücksbringer. Ich lege ihn niemals ab.«
»Woher... woher hast du das? Die Federn...«
»Vielleicht habe ich sie ganz in der Nähe des Ortes gefunden, an dem Ricchars Falke aus dem Himmel gestürzt ist?«
»Hast du ihn also auch gesehen? Den Feuervogel... Weißt du, wo er ist?«
»Kann man einer Märchengestalt begegnen?« fragte sie spöttisch. »Du glaubst doch, daß meine Lieder nur erfunden sind. Du bist kein guter Poet, Volker. Dein Blick ist in die Ferne gerichtet, und du siehst nicht, was vor dir steht!«
Der Spielmann verkniff sich eine zynische Antwort. Es war besser, die Bardin nicht zu erzürnen. Offenbar war es tatsächlich kein Zufall, daß das Schicksal es so gefügt hatte, daß ihrer beide Wege sich kreuzten. Sie wußte etwas über den Feuervogel... Und er würde herausfinden, was es war! Vielleicht ließen sich dieser Suche sogar ganz angenehme Seiten abgewinnen. Schließlich war sie schön... Eigenwillig, aber durchaus auch begehrenswert. Volker setzte sein charmantestes Lächeln auf.
»Ich gebe mich im Duell der Worte geschlagen. Wie es scheint, habe ich meine Meisterin gefunden, zumindest für heute abend. Doch vielleicht magst du uns nun ein wenig mit deiner Sangeskunst unterhalten, denn ich bin neugierig, ob deine Stimme von gleichem Liebreiz wie dein Antlitz ist.«
Golo verdrehte die Augen, so als habe man ihm einen fauligen Fisch aufgetischt, doch Belliesa nickte zustimmend. »Du hast recht. Laßt uns das Streitgespräch beenden! Für heute zumindest. Nachdem ihr alle euer Leben riskiert habt, um mich zu retten, solltet ihr zumindest die Lieder kennen, deretwegen man mich zum Tode verurteilt hat.«
7. KAPITEL
Hinter ein Gebüsch geduckt, beobachtete Golo, wie eine Gruppe dunkler Schatten durch die Regenschleier glitt. Es goß wie aus Eimern, und er mußte die Lippen aufeinanderpressen, um sich nicht durch Zähneklappern zu verraten. Seit Stunden regnete es schon. Er trug keinen trockenen Faden mehr am Leib. Ihre Reise stand unter einem schlechten Stern. Hoffentlich hatte Belliesa keinen Fehler gemacht!
Allein dem Regen, der auf dem schlammigen Boden ihre Spuren gelöscht hatte, war es zu verdanken, daß sie gestern den Jägern des Grafen entgangen waren. Ein Trupp von zehn Bewaffneten war keine zweihundert Schritt unterhalb ihres Nachtlagers vorbeigeritten. Danach waren sie sich alle einig gewesen, daß sie weiter von den Wegen und Pfaden fortmußten, die für Pferde gangbar waren. Belliesa hatte ihnen angeboten, sie zu einer kleinen Stadt zu führen, wo sie Freunde hatte. Dort wollte sie die Reittiere verkaufen und frischen Proviant besorgen. Castra Corona nannte sich die befestige Stadt, die sich über den langgezogenen Hügelrücken am anderen Ende des Tals erstreckte. Sie war durch hohe steinerne Mauern geschützt, die von fast einem Dutzend massiger Wehrtürme überragt wurden.
Volker hatte sich geweigert, sich der Stadt auf mehr als fünfhundert Schritt zu nähern. So war Belliesa in der Nacht alleine davongeschlichen, um ihre Gewährsleute zu finden. Golo betrachtete die Gestalten, die nun auf ihn zukamen, mit gemischten Gefühlen. Er wußte nicht, ob man ihnen trauen durfte. Und dann dieser Regen! Wenn es nun Soldaten wären, die ihre Waffen und Rüstungen unter weiten Mänteln verbargen... Der junge Ritter kniff die Augen zusammen. Die Fremden waren dem Waldrand, wo Belliesa auf sie wartete, jetzt bis auf zehn Schritt nahe gekommen. Die Bardin trat aus ihrem Versteck hinter einem mächtigen Eichenstamm und grüßte die Männer. Der Anführer des Trupps schloß sie herzlich in die Arme. Golo atmete erleichtert auf. Soldaten konnten das nicht sein! Sobald Belliesa das verabredete Zeichen gab, würde er die Pferde die Bergflanke hinabbringen.
Die Männer standen jetzt im Halbkreis um die Bardin, die heftig gestikulierte und auf die Fremden einredete. Ob sie über den Preis für die Pferde feilschten? Belliesa deutete zum Hang hinauf. Sie sollte das lieber lassen. Auch wenn Volker sie höflich behandelte und mit Komplimenten um ihre Gunst buhlte, wußte Golo, daß der Spielmann ihrer Gefährtin im Grunde noch immer mißtrauisch gegenüberstand. Dabei hatte sie sich in den letzten Tagen als gute Führerin erwiesen. Ohne ihre Hilfe wären sie den Soldaten Ricchars mit Sicherheit nicht entkommen! Von Ferne hatten die Gefährten immer wieder Suchtrupps sehen können, und an jeder größeren Wegkreuzung gab es Wachposten. Doch Belliesa hatte sie bei Nacht und Nebel sicher über die bewaldete Hochebene geführt. Die Bardin war nicht zum ersten Mal auf der Flucht, und sie kannte die Berge so gut, als sei sie hier geboren worden.
Warum das Gespräch mit dem Pferdehändler und seinen Knechten nur so lange dauerte? Golo trat unruhig von einem Bein auf das andere. Er wünschte, der Handel wäre schon abgeschlossen. Belliesa redete noch immer auf die Kerle ein. Was da wohl vor sich gehen mochte?
Der junge Recke hätte nur zu gerne gewußt, was ihre Gefährtin hierher in die Berge verschlagen hatte. Sie schien kaum länger als ein Jahr hier zu sein. Woher sie kam, hatte sie ihnen bislang nicht verraten. Vielleicht stimmte die Anklage gegen sie sogar, und sie war tatsächlich eine Zauberin. Gestern abend war die Bardin allein bei den Pferden im Lager geblieben, während die anderen losgezogen waren, um Pilze zu sammeln und trockenes Holz für ein Feuer zu sammeln. Golo war als erster zurückgekommen, und da hatte er gesehen, wie sie ihre Hände beschirmend über die neue Feuerstelle gehalten hatte und plötzlich Flammen aus dem nassen Holz schlugen. Golo hatte das bislang für sich behalten. Er wollte die anderen nicht beunruhigen, doch war er sich sicher, das dies nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Überhaupt war es unerhört, daß eine Frau ganz allein reiste. Wo hatte man je so etwas gehört! Und doch schien sie keinerlei Schwierigkeiten zu haben.
Belliesa hob die Rechte und winkte. Das war das verabredete Zeichen. Der junge Ritter nahm die Pferde beim Zügel und führte sie den Hang hinunter. Es fiel ihm schwer, sich von seiner Stute zu trennen. Seit mehr als einem halben Jahr war er das Tier geritten. Sie hatten sich gerade aneinander gewöhnt.
Als er aus dem Wald trat, starrten ihn die Männer rund um Belliesa eigenartig an. Golo hatte das Gefühl, daß sie ihn in einer Mischung aus Scheu und Ehrfurcht musterten. Der Anführer der Fremden, ein großer schwarzbärtiger Kerl, flüsterte etwas zur Bardin, woraufhin Belliesa leise lachte.
»Nein, das ist er nicht. Es ist sein Gefährte, Golo.« Sie zeigte mit theatralischer Geste auf den Bärtigen. »Darf ich euch bekanntmachen! Vor dir steht Claudius Marcellinus. Wenn man ihm glaubt, waren seine Ahnen einst bedeutende Senatoren in Rom. Mit Sicherheit jedoch ist er der gerissenste Pferdehändler des nördlichen Galliens. Wann immer du einen Gaul brauchst, ist Marcellinus dein Mann, Golo. Er versteht sich darauf, wie aus dem Nichts Pferde herbeizuzaubern.« Belliesa bedachte den hünenhaften Kerl mit einem schelmischen Blick. »Freilich ist es manchmal nicht allzu klug, Fragen über die Herkunft der Tiere zu stellen oder allzu lange an dem Ort zu verweilen, wo man sie von Claudius gekauft hat, aber diese Sorge haben wir heute ja nicht. Mein Freund versteht sich übrigens genausogut darauf, Pferde verschwinden zu lassen. Wenn wir sie ihm anvertrauen, brauchen wir uns keine Gedanken mehr darüber zu machen, daß die Franken uns auf die Spur kommen werden. Im Umgang mit Reittieren verfügt Claudius geradezu über magische Fähigkeiten. So konnte ich selbst schon miterleben, wie ein Hengst, dessen er sich angenommen hatte, über Nacht von einem Fuchs zu einem Rappen wurde.«
Golo musterte den Kerl mißtrauisch. Der Römer hatte Hände, groß wie Heugabeln, und ein Kreuz wie ein Stier. Seine Augen waren schwarz wie die Nacht, und zwischen den buschigen Locken, die ihm bis in den Nacken fielen, schimmerte ein goldener Ohrring. Bei ihm hätte er wohl kaum ein Pferd gekauft, dachte Golo bei sich. »Wieviel hat er geboten?«