Golo leckte sich nervös über die Lippen. Volkers Stimme klang absolut zuversichtlich, so, als sei er sich völlig sicher, daß sie die Franken mit Leichtigkeit besiegen würden. Woher nahm er nur diesen Mut? Der junge Ritter wünschte, er könnte auch so denken... Zwei gegen acht... Es war klar, wie das enden würde.
»Ihr glaubt wohl, Burgunden seien unsterblich! Wie Ihr wollt! Ich hatte schon letztes Jahr das Vergnügen, einem Ritter Eures Königs zu zeigen, welche Farbe seine Eingeweide haben. Heute werden es die Hunde tun!« Der Krieger riß den Arm hoch, und im selben Augenblick ließen seine Männer die Hunde los.
»Ich hasse große Hunde!« Golo hob seine Axt. Die Bestien waren deutlich größer als Wölfe und konnten einem ausgewachsenen Mann mit Sicherheit mühelos die Pfoten auf die Schultern legen, wenn sie sich auf die Hinterbeine stellten.
»Sag ihnen das, vielleicht gehen sie dann wieder«, murmelte der Spielmann zynisch. Volker stand breitbeinig vor den Baumstämmen. Er hielt sein Schwert gesenkt, und es schien ihn nicht im mindesten zu beunruhigen, die vier Bestien auf sich zukommen zu sehen. Golo wünschte, er hätte das gleiche Gottvertrauen. Er hatte das Gefühl, daß in seinem Magen ein riesiger Stein lag, der ihn auf die Knie hinabzog. Ängstlich sah er den Hunden zu, wie sie über die Stämme der gestürzten Bäume hinwegsetzten, die kreuz und quer auf der Lichtung lagen. Der Speichel tropfte ihnen in langen Fäden von den Lefzen, so, als könnten sie es kaum erwarten, Blut zu schmecken. Mit einem letzten Satz sprangen sie über die verloschene Feuergrube hinweg und waren dann über ihnen.
Wie der Stoß eines Rammbocks traf Golo der Schlag, als der erste der Hunde gegen seinen Schild sprang. In flachem Bogen schwang seine Streitaxt herab. Ein schrilles Heulen ertönte. Um ein Haar hätte einer der anderen Köter seine Hand erwischt.
Die Bestien zogen sich zurück. Einer der Hunde lag ausgestreckt vor Volker. Ein anderer hatte einen langen blutigen Schnitt über der Schulter und hinkte. Drohend knurrend, blieben sie etwa fünf Schritt entfernt stehen. Sie hatten die Schwänze zwischen die Hinterbeine geklemmt.
Golo atmete erleichtert auf. Einer der Wolfshunde hatte die gebratenen Waldhühner neben der Feuergrube entdeckt und machte sich darüber her. Mit einem einzigen Happen verschwand das erste Huhn in seiner gewaltigen Schnauze. Die anderen beiden Hunde kamen hinzu, um sich ihren Teil von der Beute zu holen.
»Mögt ihr an den Knochen ersticken, ihr Ausgeburten der Hölle. Werkzeuge Satans und...«
»Spar dir lieber deinen Atem, Golo! Die Hunde waren nur das Vorgeplänkel. Jetzt geht der Tanz erst richtig los.« Die Franken hatten sich zu einem Halbkreis aufgefächert und waren nur noch weniger als zehn Schritt entfernt. Jeder von ihnen hatte eine Francisca in der Hand.
»Jetzt!« brüllte der Anführer der Krieger.
Golo duckte sich hinter seinen Schild. Kaum einen Atemzug später prallten die Äxte krachend in das zähe Holz. Nur wenige Fingerbreit über seinem Arm hatte die Spitze einer Axt den Schild durchschlagen. Der junge Ritter atmete langsam aus und erhob sich wieder. Ein kleines Stück tiefer, und der blinkende Stahl würde in seinem Fleisch stecken. Golo schüttelte sich. Für solche Überlegungen war jetzt keine Zeit mehr! Die Franken hatten ihre Schwerter gezogen und stürmten auf sie ein.
»Wir müssen Schulter an Schulter bleiben«, rief Volker, »dann können sie uns nicht mit mehr als zweien gleichzeitig angreifen, jedenfalls nicht, solange wir das Holz im Rücken haben.«
Statt eine Antwort zu geben, ließ Golo seine Axt auf den Vordersten der Angreifer niedersausen. Der Franke parierte den Hieb mit seinem Schild und die Schneide der Waffe grub sich krachend zwei Fingerbreit ins Holz. Mit einem Ruck riß Golo die Axt zurück und entging nur um Haaresbreite einem Schwertstreich, der auf sein Handgelenk gezielt hatte.
Dicht wie Hagelschlag prasselten die Schwerthiebe der Franken auf seinen Schild, und die Wucht ihres Angriffs drängte ihn um einen halben Schritt zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Holzstämme stieß. Golo fluchte leise. So eingeengt konnte er mit seiner Axt nicht mehr richtig ausholen.
Mit einem Schmerzensschrei taumelte einer von Volkers Gegnern zurück. Wie die Sichel, die ins Heu fährt, zog die Klinge des Spielmanns blitzende Bögen und hielt die Angreifer auf Abstand.
Wieder führte der junge Ritter einen Hieb seitlich an seinem Schild vorbei. Einer der Angreifer machte einen Satz zurück. Mit einem Ruck bremste Golo die Waffe und führte einen Rückhandschlag. Klirrend traf die Schneide der Axt das Schwert des zweiten Angreifers. Der Arm des Mannes wurde zur Seite geprellt. Golo machte einen Schritt nach vorne und rammte seinem Gegner das spitze Ende seines Schildes gegen die Knie. Der Franke strauchelte. Er taumelte nach hinten und stürzte so unglücklich, daß er dabei auf seinem Schild landete. Noch einmal sauste Golos Axt nach vorne, und als er die Waffe mit einem Ruck zurückriß, war ihre Schneide mit dunklem Blut bedeckt.
Ein Schwerthieb traf ihn an der Schulter und glitt an seinem Kettenhemd ab. Er hatte sich zu weit vorgewagt, und seine Seite war nicht mehr durch Volker gedeckt. Wütend biß sich Golo auf die Lippen und trat zurück. Der getroffene Arm war wie taub. Golo konnte die Axt nicht mehr heben. Erneut prasselten Schwerthiebe auf seinen Schild. Neben ihm schrie einer der Franken auf. Aus den Augenwinkeln sah er, wie einer der Krieger sich die Hände auf den Bauch preßte und langsam in die Knie ging.
Etwas schnappte nach seinem Bein. Die Hunde! Eine der Bestien hatte ein Loch in seine Hosen gerissen. Golo verpaßte dem Wolfshund einen derben Stoß mit der Schildkante, und der Köter zog sich jaulend zurück. Endlich spürte der junge Ritter, wie mit einem Prickeln das Gefühl in seinen Arm zurückkehrte. Ein paar Augenblicke noch...
Mit dumpfem Schlag prallte etwas gegen seinen Helm und fiel zu Boden. Ein schwerer Ast hatte ihn gestreift. Erschrocken blickte Golo nach oben. Einer der Franken war auf den Holzstoß in ihrem Rücken gestiegen und schlug mit seinem Sachs auf die Zweige ein, um dann die dicksten Äste als Wurfgeschosse zu verwenden. Ein Schlag traf Golo dicht oberhalb der Hüfte. Er stöhnte vor Schmerz. Der kurze Blick nach oben hätte ihn fast das Leben gekostet! Blut sickerte durch die Panzerringe seines Kettenhemdes. Es waren zu viele! Die Franken würden sie in Stücke schneiden! Alles war verloren! Und das wegen eines Märchens... Wegen eines Vogels, den es nicht einmal gab! Wenn er schon sterben sollte, dann würde er mindestens noch einen Franken mit sich nehmen. Wenn er für ein Fabeltier sein Leben verschenkte, dann würde er diese Posse auch bis zum Ende treiben!
»Für den Feuervogel!« Golo stürmte vorwärts. Der Schmerz in seinem Arm erlaubte es ihm nicht, die Axt bis hoch über den Kopf zu heben, doch war es ihm möglich, in flachem Bogen seitlich Hiebe zu führen. Krachend rammte er seinen Schild gegen den des Franken, der unmittelbar vor ihm stand. Durch die Wucht des Aufpralls gerieten beide Männer für einen Atemzug ins Taumeln. Hinter dem Burgunden ertönte das Splittern brechender Äste, und etwas Schweres schlug dort, wo er noch einen Atemzug zuvor gestanden hatte, auf den Boden. Doch Golo achtete nicht weiter darauf.
Er hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden und verpaßte dem Mann vor ihm erneut einen Stoß mit dem Schild, während er mit der Axt einen Schwerthieb parierte, der auf seinen rechten Oberschenkel zielte. Mit einer raschen Drehung wand er dem unvorsichtigen Angreifer die Waffe aus der Hand und ließ noch aus derselben Bewegung heraus das stumpfe Ende der Waffe gegen den Rippenbogen des Kriegers krachen.
»Für den Feuervogel!« Wie glühende Wellen brandete die Kampfeswut durch seinen Leib. Golo spürte jetzt keinerlei Schmerz mehr und konnte seine Axt auch wieder hoch über den Kopf heben. Vor sich sah er zwei angstweite graue Augen. Die Waffe senkte sich und grub sich tief in das Fleisch eines der Franken. Golo riß die Axt zurück und rannte weiter. Er wollte Blut! Sie sollten dafür büßen, daß sie ihn töten wollten. Viele würden ihr Leben dafür geben müssen!