»Weg mit euch stinkenden Hurensöhnen!« tönte die dunkle Stimme des Ebers über die Lichtung. »Sehe ich vielleicht aus wie ein frischgeborenes Rehkitz, das Hilfe braucht, um auf die Beine zu kommen.« Leicht schwankend erhob sich der stämmige Krieger und blickte dann mit wutblitzenden Augen in ihre Richtung. »Ich weiß nicht, mit was für einem schändlichen Trick es dir gelungen ist, mich zu besiegen, Ritter, aber ich werde mein Wort halten. Ich schenke dir dein jämmerliches Leben. Ihr beide seid meine Gefangenen und kommt mit in unser Lager. Mal sehen, wer mehr für euch zahlt, die Burgunden in Treveris oder aber unser liebenswerter Graf.«
»Das ist gegen die Vereinbarung«, brauste Golo wütend auf.
Der Eber schüttelte unwillig den Kopf. »Ich kann mich nicht erinnern, irgendeinem Handel zugestimmt zu haben.« Dann lächelte er böse. »Liegt vielleicht an dem Schlag vor den Kopf, wenn ich etwas vergessen haben sollte.«
»Du...«
»Wir nehmen gerne deine Gastfreundschaft an«, erklärte Volker laut und fuhr dann leise zu Golo gewandt fort. »Laß es gut sein, mein Freund. Er hat zehn Bogenschützen. Wir können nicht gewinnen. Aber solange sie mit uns beschäftigt sind, werden sie Belliesa und Mechthild nicht auf die Spur kommen.«
9. KAPITEL
Das Lager, von dem der Eber gesprochen hatte, entpuppte sich als ein regelrechtes Wehrdorf. Es lag auf der Kuppe eines langen, steil ansteigenden Bergrückens, dessen Rückseite eine fast senkrechte, merkwürdig zerklüftete Felswand bildete. Hier und dort waren Höhlungen zu sehen, ganz so, als würden auch dort Menschen hausen.
Das Dorf war mit einer drei Schritt hohen hölzernen Palisade umgeben. Den Hang unterhalb der Wehranlage hatte man größtenteils von Büschen und Bäumen gesäubert, so daß die Verteidiger über ein freies Schußfeld verfügten. Nur hier und dort ragten ein paar Felsfinger zwischen dem Gras empor. Ein gewundener Weg führte den Berghang empor. Auf einzelnen Parzellen des Hanges weideten Kühe und scheckige Hausschweine. Auf anderen hingegen wuchs das Gras fast hüfthoch, so als habe man den ganzen Sommer über kein Vieh dorthin getrieben.
Noch bevor sie die Bergkuppe erreichten, öffnete sich das schmale Tor im Wall, und eine Schar von Frauen und Kindern kam herausgeeilt. Die lockere Marschordnung der Räuber um den Eber löste sich nun vollends auf. Einige Männer eilten den Hang hinauf. Volker sah, wie der Leichenfledderer, der noch am vorigen Tag den Anführer der Franken verstümmelt hatte, nun einen kleinen Jungen umarmte und auf seine Schultern hob. Die kaltblütigen Mörder, die der Eber um sich geschart hatte, führten sich plötzlich wie ganz normale Familienväter auf. Männer, die einem Reisenden schon für ein schlichtes Kupferarmband die Kehle durchgeschnitten hätten! Überall ertönte ausgelassenes Lachen.
Auf dem Wall lungerten einige Männer mit Bögen herum, die ihren Kameraden lässig zuwinkten. Der Spielmann versuchte abzuschätzen, wie viele Krieger der Eber hier oben versammelt haben mochte. Vielleicht würde dieser Berg eines Tages zu Burgund gehören, wenn es noch einmal Krieg mit den Franken gab und die Ritter König Gunthers erneut den Rhein hinaufzogen, um die Grenzen des Reiches nach Norden auszudehnen. Hagen würde niemals ein solches Räubernest innerhalb der Grenzen Burgunds dulden. Mit Sicherheit würde man eine Schar Ritter und Waffenknechte ausschicken, um das Übel des Bandenunwesens von der Wurzel her auszurotten.
Volkers Blicke glitten über die Befestigungen. Man müßte wohl mindestens hundert Streiter aufbieten, um das Bergdorf einzunehmen. Vielleicht auch mehr, wenn die Verteidiger entschlossen genug waren...
Hinter der Umwallung lagen zwei Dutzend einfacher Lehmhäuser mit Dächern aus Holzschindeln oder Stroh. Dazu kamen einige kleine Lagerhäuser, die aus schweren Balken gezimmert worden waren, und eine lange Halle, die offenbar das Festhaus des Dorfes war. Das auffälligste Bauwerk jedoch war ein steinerner Turm, der dicht am Steilhang lag. Ursprünglich halb verfallen, hatte man ihn nun notdürftig wieder aufgebaut. Eine schmale Treppe führte an seiner Außenwand bis zum ersten Geschoß, wo eine kleine Tür als Eingang diente. Das halbverfallene zweite Geschoß war mit Brettern und Balken wieder instand gesetzt worden, und auf dem flachen Dach des Wehrbaus standen zwei Bogenschützen, die von dort einen guten Ausblick auf das umliegende Bergland hatten.
»Das ist meine Burg«, erklärte der Eber, der neben Volker ins Dorf marschiert war. Niemand war gekommen, um den Anführer der Räuber in die Arme zu schließen. Offenbar gab es weder Kinder noch eine Frau, die auf ihn warteten. Den wenigen Männern, die ihn im Vorbeigehen grüßten, nickte er unwirsch zu.
»Du hast hier ja fast eine kleine Armee versammelt.«
»Sind verdammt viele Mäuler zu stopfen, und die Vorratshäuser sind nicht einmal halb voll. War ein Fehler, meinen Männern zu erlauben, ihre Weiber mitzuschleppen.«
Volker blickte zu einer Gruppe halbwüchsiger Jungen, die sich mit einem schlacksigen Krieger balgten, der zu den Heimkehrern gehörte. Das kleine Dorf war voller Leben. Überall standen Frauen und junge Mädchen in den Türen. Auf den schlammigen Gassen liefen gackernde Hühner und buntgescheckte Ziegen. Doch dort, wo der Eber vorbeiging, verstummte das Lachen.
»Ihr beide werdet Quartier in meiner Burg beziehen, bis ich einen guten Preis für deinen Kopf erzielt habe, Spielmann.«
»Du bist ein Ausbund an Charme, Eber. Deine Leute wirken so richtig begeistert, wenn sie dich wiedersehen.«
»Ich wüßte nicht, daß wir Freunde sind, Ritter. Warum sollte ich mir also die Mühe machen, freundlich zu dir zu sein?« entgegnete der Räuber ruppig. »Und was meine Leute angeht... Ich sorge dafür, daß getan wird, was notwendig ist. Damit macht man sich nicht immer beliebt.«
»Und als nächstes ist es notwendig, hundert Goldstücke Kopfgeld für die Schatzkammer in deiner Burg zu besorgen, während der Winter näherrückt und deine Vorratshäuser nicht gefüllt sind.«
»Was geht dich das an!« grollte der Krieger. »Für das Gold kann man Rinder und Getreide kaufen...«
»Wenn du den Handel vor Einbruch des Winters abschließt... Sollten die Pässe aber schon verschneit sein, wirst du keine Waren mehr hier hinaufbekommen. Was glaubst du, wann du dann die Rationen für die Frauen und Kinder und all die anderen, die du nicht als Krieger gebrauchen kannst, strenger einteilen mußt? Schon im Januar? Oder wird es bis Februar reichen?« Volker zeigte zu einer Frau mit einem Neugeborenen auf dem Arm, die am Wegesrand stand. »Glaubst du, der Kleine wird den nächsten Frühling erleben? Was wird sein Vater von dir denken, wenn er ein Loch in den vereisten Boden schlagen muß, um seinen Sohn zu begraben. Du hast schon recht... Es sind verdammt viele Mäuler zu stopfen.«
Der Eber fuhr herum und packte Volker am Waffenrock. »Ich kann dir auch gleich jetzt den Kopf abschneiden und ihn in Salz einlegen lassen. Oder ich reiß dir nur Zunge heraus, dann muß ich mir dein dummes Geschwätz nicht weiter anhören. Tu doch nicht so, als würde dir das Wohl meiner Männer am Herzen liegen. Für einen wie dich sind wir doch allesamt nur Strauchdiebe, die man am besten an der nächsten Eiche aufknüpfen sollte.«
Volker lächelte dünn. »Das trifft mein Bild von dir ganz gut. Trotzdem habe ich dir einen Handel vorzuschlagen.«
Der Eber ließ ihn wieder los und lachte lauthals. »Du willst mir ein Angebot machen? Ich glaube, du verkennst die Lage, in der du bist!«
»Und wenn ich wüßte, wie man deine Lagerhäuser bis unter die Dachsparren füllen könnte? Der Preis dafür wäre allerdings, daß du mir sicheres Geleit bis vor die Tore von Treveris gewährst.«