»Nun, so wie du aussiehst, Jäger, ist dir klingendes Gold in der Tasche lieber als die Gewißheit, ein Günstling des Gottes zu sein. Mernog!« Der Statthalter drehte sich zu den beiden Kriegern an der Tür um. »Geh und weck den Schreiber. Er soll dir hundert Goldstücke aus der Soldkasse auszahlen.«
Der Krieger nickte stumm und verschwand durch die Tür.
»Du bist in der Tat so häßlich, wie man sagt, Bastard. Die Hure, die dich geboren hat, ist wohl von einem schwarzen Eber besprungen worden. Wahrscheinlich war sie so scheußlich, daß es nicht einmal die Besoffenen mit ihr treiben mochten. Die Welt wird ein schönerer Ort sein, wenn Graf Ricchar dich hat hinrichten lassen.«
Der Statthalter stand jetzt dicht vor dem Eber. Volker machte einen Schritt zur Seite und näherte sich der Tür. Er mußte den Wachtposten erwischen, bevor er Alarm geben konnte. Es war ein junger Kerl, der offensichtlich amüsiert den Beschimpfungen des Statthalters lauschte.
»Wie ist das, wenn du auf einer Frau liegst, Eber, und sie, selbst wenn sie eine bezahlte Hure ist, das Entsetzen in ihren Augen nicht verbergen kann, weil sie dir ins Angesicht sehen muß.«
»Ich genieße es.« Die Stimme des Ebers war kalt wie Eis. Volker machte noch einen Schritt in Richtung des Wachsoldaten. Lange würde es nicht mehr dauern, bis der Eber die Klinge zückte, die er hinter seinem Rücken verbarg. Vielleicht wäre es besser, wenn er das Zeichen zum Angriff gab. Die Hand des Burgunden glitt zum Schwertknauf. Sie brauchten den Statthalter lebend! Das würde einiges erleichtern. In einer fließenden Bewegung riß Volker sein Schwert aus der Scheide und versetzte dem Krieger an der Tür mit der flachen Seite einen Schlag gegen die Schläfe. Der Franke ging sofort zu Boden.
Aus den Augenwinkeln sah der Spielmann, wie der Eber den Schwertarm des Statthalters packte und herumdrehte, bis ein trockenes Krachen, so wie von einem zerbrechenden Ast zu hören war. Die Waffe des Offiziers fiel zu Boden. Der junge Krieger war leichenblaß, aber er gab keinen Laut von sich.
»Du hättest meine Mutter keine Hure nennen sollen...« Der Eber hielt dem Franken das Messer an die Kehle.
»Laß ihn leben! Wir werden ihn als Geisel brauchen!« Volker wollte nach der Klinge greifen, doch der Eber stieß ihn zur Seite.
»Ihr kommt hier niemals heraus«, stöhnte der Statthalter leise. »Das einzige Tor ist verschlossen und von sechs Kriegern bewacht. Ihr werdet beide sterben in dieser Nacht.«
Der Eber lachte leise. »Aber wir werden nicht die ersten sein. Auf Wiedersehen in der Hölle, Ketzer.« Mit einem kräftigen Ruck zog er dem Offizier das Messer über die Kehle.
»Warum...« Volker blickte den Räuber fassungslos an.
Der Eber packte den Statthalter beim Gürtel und hob ihn hoch, so daß seine Füße ein paar Zoll über dem Boden pendelten. Der Franke röchelte. Er hatte die Augen zur Decke hin verdreht, so daß nur noch das Weiße zu sehen war. In pulsierenden Stößen spritzte ihm Blut aus der klaffenden Halswunde.
»Was willst du, Ritter? Draußen ist es dunkel. Ich werde den Kerl vor mir hertragen. Wir lassen einfach niemanden nahe genug heran. Dann werden sie schon nicht merken, daß dieses Drecksstück nicht mehr lebt.«
»Und wenn ihn jemand etwas fragt?«
»Dann halte ich meine Hand auf seinen Mund, so als wollte ich verhindern, daß er antwortet...«
Volker zuckte resignierend mit den Schultern. Es war sinnlos, mit dem Eber zu reden. Der Räuber hatte das Schwert des Statthalters vom Boden aufgehoben und trat zur Tür.
»Ich glaube, es ist besser, wenn du vorgehst, Ritter.«
Der Spielmann schob sein Schwert in die Scheide zurück. Er war sicher, daß er auf sich allein gestellt aus dem Kastell entkommen könnte, doch mit diesem Halsabschneider im Nacken... Er verfluchte den Tag, an dem er dem Eber den Vorschlag gemacht hatte, die Garnison zu überfallen.
Vor dem Zimmer des Statthalters führte ein langer Flur zum Eingang des Praetoriums. Ganz am Ende des Ganges brannte eine Laterne. Ansonsten war es dunkel. Nirgends waren Wachen zu sehen... Der Spielmann wartete noch einen Moment, dann trat er durch die Tür und gab dem Eber einen Wink, ihm zu folgen. Zu lange sollten sie nicht mehr verweilen. Mernog, der Krieger, den der Statthalter ausgesandt hatte, um das Kopfgeld für den Eber zu holen, mußte jeden Augenblick zurückkommen.
»Verdammt, der lebt ja noch!«
»Was?«
Volker drehte sich um und sah den Eber über dem niedergeschlagenen Türposten kauern. »Wo hast du nur das Kriegshandwerk gelernt, Ritter. Du hast ihn nicht richtig getroffen.« Der Räuber schob sein blutiges Messer in den Gürtel zurück. »Der Kerl wird uns nicht mehr in den Rücken fallen. Ich habe deine Arbeit zu Ende geführt.«
Einen Moment lang war Volker versucht, sein Schwert zu ziehen und diesen Unhold einfach niederzustechen. Er hatte in seinem Leben schon viele Schurken getroffen, aber jemand wie der Eber war ihm bislang noch nicht begegnet. Der Burgunde war sich sicher, daß der Räuber genau wußte, daß er den Franken mit seinem Schwerthieb nicht versehentlich nur schlecht getroffen hatte, sondern daß er das Leben des jungen Kriegers hatte schonen wollen. Gnade und Edelmut schienen dieser Bestie in Menschengestalt unerträglich zu sein!
Volker konzentrierte sich auf das Licht der Fackel am Ende des Ganges und lauschte auf Geräusche hinter den Türen, an denen sie vorbeikamen, doch es gelang ihm nicht, den Eber völlig aus seinen Gedanken zu verbannen.
Am Portal des Praetoriums standen keine Wachen. Auch der Hof der Garnison war menschenleer und dunkel. Aus einem der Kasernenbauten drang Lärm, so, als würde dort ein Fest gefeiert. Durch die schmalen Fenster der beiden Türme, die das Tor flankierten, schimmerte fahles Licht.
Wahrscheinlich saßen die Soldaten dort beisammen und vertrieben sich die langen Stunden der Nacht mit Würfelspielen und Geschichten. Oder sie haderten mit ihrem Schicksal, weil sie von dem Fest ihrer Kameraden ausgeschlossen waren. Wie sollten sie auch ahnen, was im Praetorium geschehen war?
Volker entschied, daß es zu gefährlich war, den Hof in gerader Linie zu überqueren. Der Nachthimmel war klar, und der Mond stand hoch am Himmel. Es war hell genug, daß man sie hätte erkennen können. Er gab dem Eber ein Zeichen und hielt sich dann links. Sie würden im Schatten der Kasernen und Stallungen bis zum Tor schleichen und dann... Vielleicht gelang es ihnen ja, die Wachen zu überraschen oder sogar völlig unbemerkt das Tor zu öffnen. Der Spielmann starrte angestrengt zur dunklen Höhlung des Torbogens. Es schien, als stünde dort niemand auf Posten.
Sie hatten schon mehr als die Hälfte des Weges um den Hof geschafft, als ein Geräusch Volker herumfahren ließ. Ein Mann mit einer Laterne in der Hand war aus einer der Kasernen getreten. Mernog!
»Dort wandert mein Kopfgeld durch die Nacht. Ich finde, der Kerl sieht einsam aus. Er sollte Gesellschaft bekommen.« Der Eber ließ die Leiche des Statthalter zu Boden gleiten. »Er darf nicht bis ins Praetorium kommen. Gib mir deinen Bogen!«
Der Eber riß Volker die Waffe aus der Hand und legte einen Pfeil auf die Sehne. »Eulenfedern tragen lautlos den Tod durch die Nacht«, murmelte der Räuber leise und zog die Sehne zurück.
»Halt! Wer da!« Ein Krieger mit Schild und Speer trat aus dem Schatten des Torbogens.
Mernog blieb stehen und hob die Fackel, so daß ihr Licht auf sein Gesicht fiel. »War dein Vater ein blinder Maulwurf, Childiger, das du auf zwanzig Schritt deine Kameraden nicht mehr erkennst? Ich bin es, Mernog!«
»Ist ja schon gut...« Die Wache trat in den Schatten des Torbogens zurück.
Der Eber ließ den Bogen sinken. »Wenn ich ihn jetzt abschieße, wird der andere es merken. Ich werde Mernog ins Praetorium folgen. Kümmere du dich inzwischen um den Torposten.«
Der Spielmann nahm den Bogen zurück und blickte dem Eber nach, der wie ein Schatten entlang der Hauswände glitt. Nur wenige Herzschläge nachdem Mernog durch das Portal des Praetoriums getreten war, langte auch der Räuber dort an. Volker wandte sich ab. Er war sicher, daß der Franke nicht mehr dazu kommen würde, einen Laut von sich zu geben. Gedankenverloren blickte der Spielmann dem Räuber nach. Sich selbst das Kopfgeld zu holen, das auf ihn ausgesetzt war, war etwas, was dem Räuber sicher gefiel. Doch was wäre, wenn man ihn schnappte. Im Praetorium waren die Schlafgemächer der Garnisonsoffiziere. Wenn sie den Eber erwischten, war es der Wille Gottes! Er würde nicht umkehren, um ihm zu helfen, dachte Volker. Es wäre sinnlos, sich zu zweit gegen die ganze Garnison zu stellen.