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Der Spielmann zog sein Schwert. Ein Ritter zu sein hieß meistens, sich für die unvernünftigere von zwei Möglichkeiten zu entscheiden.

»Für den Feuervogel!«

Einen Moment lang kamen die Reihen der Franken ins Wanken, als der Spielmann ihnen in den Rücken fiel. Doch als die Krieger erkannten, daß sie es nur mit zwei Feinden zu tun hatten, kämpften sie mit neuem Mut.

Volker konnte sehen, wie der Eber unter den Schwertstreichen seiner Gegner zu Boden ging. Selbst als er stürzte, schlug er noch nach den Beinen der Krieger. Verzweifelt wehrte Volker die Angriffe der Übermacht ab. Er stand jetzt mit dem Rücken zu den Pferdeställen.

»Für den Feuervogel!« tönte ein Schlachtruf vom Tor. Es war die Stimme Golos!

Der Krieger, gegen den Volker gerade kämpfte, erstarrte. Eine blutige Pfeilspitze ragte aus seiner Brust. Unter den Franken brach Panik aus. Ein Offizier brüllte Befehle und versuchte, wieder Ordnung in seine Männer zu bringen. Dann stürzte auch er mit einem Pfeil im Rücken zu Boden.

»Ergebt euch, und ich werde euch das Leben schenken!« schallte Volkers Stimme über das Chaos. »Und ihr hört auf zu schießen!« Vor dem Tor hatten sich mehr als zwanzig Bogenschützen versammelt. Eine dunkle Gestalt löste sich aus dem Pulk und kam auf den Spielmann zugelaufen.

»Den Heiligen sei Dank! Du lebst!« Überschwenglich schloß Golo ihn in die Arme. Der Atem des jungen Ritters roch nach Bier. Volker stutzte. Wann hatte sein Freund an diesem Abend Gelegenheit gehabt, Bier zu trinken?

Klirrend schlugen die Schwerter der Franken auf das Pflaster des Hofs. Die Überlebenden hatten ihre Arme gehoben und drängten sich vor dem Portal des Praetoriums.

Volker löste sich aus der Umarmung Golos. Der Eber lag inmitten eines Haufens von Toten und Verwundeten. Seine beiden Schwerter hatten reiche Ernte gehalten. Der Burgunde kniete neben dem Räuber nieder. Sanft strich er ihm mit der Hand übers Gesicht, um seine Augen zu schließen.

»Laß das... Ich bin... noch nicht... in der... Hölle!« keuchte der Eber schwach.

»Du lebst?« Volker traute seinen Augen kaum.

»Mögen die Wölfe dich... zerfleischen, Spielmann... damit ich nie wieder... auf einen deiner wahnsinnigen... Pläne höre.«

Der Burgunde lachte leise. Dann winkte er die Männer des Ebers herbei.

»Haben... haben wir... gewonnen?« Die Stimme des Räubers wurde schwächer.

»Ja. Wir werden deine Vorratshäuser bis unter die Dachsparren füllen. Die Garnison und die Stadt gehören uns.«

»Gut.«

10. KAPITEL

Der Eber hatte Wort gehalten. Nachdem sie die Vorratslager der Garnison von Castra Corona geplündert hatten, waren sie zunächst mit ihrer Beute in seine Bergfestung zurückgekehrt. Obwohl der schwerverletzte Anführer der Räuber sich kaum aufrecht auf seinem Thron am Ende des Langhauses halten konnte, hatte es ein großes Fest gegeben, und am nächsten Morgen durften Volker und Golo das Bergdorf verlassen.

Begleitet von zwei Räubern schlugen sie einen weiten Bogen durch die Berge, um den fränkischen Patrouillen aus dem Weg zu gehen. Sie mieden jede Siedlung, und obwohl das Wetter immer schlechter wurde, verbrachten sie jede Nacht im Freien. Weit im Norden von Treveris hatten sie die Mosel an einer seichten Stelle überquert und sich dann wieder nach Süden gewandt. Nach der Flußüberquerung hatten sich die beiden Jäger von ihnen getrennt, und Golo war nicht traurig, endlich wieder mit Volker allein zu sein. Die zwei waren ihnen auf dem Weg durch die Berge gute Gefährten gewesen, und das war es, was Golo beunruhigte. Er hatte angefangen, sie zu mögen. Sein Bild von den grausamen, herzlosen Halsabschneidern war ins Wanken geraten. Womöglich waren die beiden dabeigewesen, als der Hof von Mechthilds Eltern überfallen worden war. Sie hatten während der ganzen Reise nicht darüber gesprochen... Der junge Ritter erschauerte. Immer wieder hatte er auf der Reise daran denken müssen, ob er mit zweien der Männer, die dem Mädchen Gewalt angetan hatten, am gleichen Feuer saß.

Was wohl aus Mechthild geworden war? Um die beiden Frauen nicht zu verraten, hatten sie nie von ihnen gesprochen. Doch Golo vermißte die Kleine. Sie hatten nie viel miteinander gesprochen, doch in den wenigen Tagen, die sie miteinander gereist waren, war ihm das Mädchen sehr vertraut geworden. Manchmal hatte er das Gefühl gehabt, daß sie nur Blicke brauchten, um einander zu verstehen. Ob sie bei Belliesa wohl in guter Obhut war? Die Bardin war ihm nicht ganz geheuer! Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie sie nicht gerettet hätten. Der junge Ritter dachte daran, wie er sie heimlich beim Feuermachen beobachtet hatte. Ob Belliesa wirklich eine Zauberin war, wie die Franken behauptet hatten? Und was für einen Einfluß sie wohl auf die kleine Mechthild haben mochte? Sicher würde sie das Mädchen in ihre Geheimnisse einweihen und so ihr Seelenheil gefährden.

Golo seufzte. Wahrscheinlich würde er Mechthild niemals wiedersehen. Er blickte auf die Straße. Sie war gepflastert und führte schnurgerade auf ein riesiges Tor zu. Rechts und links von ihr standen große Grabsteine. Viele zeigten Reliefs von Kriegern oder Beamten, die einst mächtig gewesen waren. Sogar ganze Schiffe mit Weinfässern hatten die Alten aus Stein geschlagen. Von den meisten Monumenten war die Farbe abgeblättert. Nur das Rot, mit dem die eingemeißelten Buchstaben unterlegt waren, hatte sich besser gehalten. Die Römer waren ein seltsames Volk gewesen, dachte Golo. Wann immer man eine ihrer Metropolen betreten wollte, mußte man zunächst eine Totenstadt durchqueren. Alle Gräber lagen außerhalb der Mauern entlang der großen Straßen. So wurde man jedesmal, wenn man eine Reise antrat oder wieder zurückkehrte, an jene erinnert, die ihre letzte Reise angetreten hatten. Die ganzen Grabsteine ließen die jungen Ritter melancholisch werden. Für ihn würde es sicherlich keinen Stein geben, auf dem sein Namen stand. Doch wozu auch? Wer würde sich an ihn schon erinnern?

Die Stadt, die vor ihnen lag, hatte gewaltige Ausmaße. Sie war viel größer als Worms, wo König Gunther regierte. Allein das Tor war schon eine kleine Festung für sich und prächtiger geschmückt als die meisten Kirchen, die der junge Ritter bisher gesehen hatte. Über dem Doppeltor erhoben sich zwei Etagen mit runden Fensterbögen, die von Säulen flankiert waren. Rechts und links sprangen zwei halbrunde Tortürme vor. Auch sie zeigten zahlreiche Bogenfenster, aus denen die Wachtposten bis weit über das Land sehen konnten. An beide Seiten des Tores schloß sich eine massige Mauer an, die wohl mindestens sieben Schritt hoch sein mochte. Das ganze Tor war aus schwärzlichen Steinen gebaut und wirkte gleichermaßen bedrohlich und erhaben, so als wolle es jeden verhöhnen, der sich mit feindlichen Absichten dieser mächtigen Stadt näherte.

Im Osten, zum Moselufer hin, konnte man hohe Kräne erkennen, die ihre langen Arme noch hoch über die Dächer der Speicherhäuser erhoben. Die Masten der Flußschiffe an den Kais wirkten im Vergleich zu ihnen geradezu klein und zerbrechlich. Auf sieben Pfeilern spannte sich dort eine prächtige Brücke über den Fluß, getragen von Rundbögen, die so hoch waren, daß die meisten Flußkähne wohl unter ihnen hindurchfahren konnten.

Golo fragte sich, wie die Franken es geschafft haben mochten, den Römern diese gewaltige Stadt zu entreißen. Und wie konnte es sein, daß das Volk, daß solche Wunder vollbringen konnte, von Barbaren vertrieben wurde. War es, weil sie zu lange in den Mauern ihrer Städte heidnische Götzen verehrt hatten? Konnte es eine andere Erklärung für ihren Untergang geben als die, daß sie den Zorn Gottes auf sich gezogen hatten?

Verlegen klopfte sich der junge Ritter ein wenig Schmutz von der Tunika. Mehr als zwei Wochen hatten sie ihre Kleider nicht gewechselt oder auch nur gereinigt. In der Wildnis waren Volker und ihm Bärte gewachsen, ihr Haar war strähnig und verfilzt. Wie zwei Strauchdiebe mußten sie aussehen! Womöglich würde man sie gar nicht in die Stadt hineinlassen?