»Was?« Volker konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte.
»In Castra Bonna ist es geschehen. Die Geschichte ist in aller Munde. Auch die Wachen des Gaugrafen Ricchar haben den Erzengel in deinem Zimmer gesehen. In jener Nacht hast du beschlossen, dem Frankenfürsten die Fehde zu erklären. Nur von Golo und einem kleinen Mädchen begleitet, bist du in eine Stadt voller Krieger geritten, um eine Bardin zu retten, die zu Unrecht zum Tode verurteilt war. Und du hast den dämonischen Krieger, der der Herr dieser Stadt war, besiegt und die eherne Maske zerschlagen, hinter der er sein vom Teufel gezeichnetes Antlitz verborgen hat. Man erzählt sich auch, daß du...«
Volker spürte, wie sich sein Magen krampfhaft zusammenzog. Was ging hier vor? Wer verbreitete solche Geschichten über ihn? Und worauf würde das alles hinauslaufen?
»...bis du schließlich an der Spitze der Rebellenarmee Castra Corona erobert hast?«
»Rebellenarmee!« Volker war aufgesprungen. »Mein Fürst, hier liegt ein schreckliches Mißverständnis vor. Ihr seid einer Lüge aufgesessen.«
»Du bist zu bescheiden, Volker. Wer sollte mich denn belügen? Die Händler aus Castra Corona, die von deinem tollkühnen Angriff auf die Garnison berichtet haben? Oder vielleicht die Bardin, die zu deinem höheren Ruhm Lieder über deine Heldentaten dichtet.«
»Bardin?« Volker kam ein schrecklicher Verdacht. »Etwa eine ausnehmend hübsche rothaarige Frau?«
Giselher grinste anzüglich. »Gibt es eigentlich schöne Frauen, die du nicht kennst? Sie ist nicht sonderlich groß... aber ja, deine Beschreibung trifft durchaus auf sie zu. Sie heißt Belliesa und ist seit zwei Tagen zu Gast an meinem Hof.«
Der Spielmann griff nach dem Handtuch, das über den Rand des Zubers hing. Dieses verdammte Luder! Was wollte sie mit ihrem Spiel erreichen? Wenn das ein Spaß sein sollte, dann war es höchste Zeit, daß er ihr sagte, daß er ihn nicht komisch fand.
»Wohin willst du, Volker?«
Der Spielmann blickte Giselher ein wenig irritiert an. »Ich... ich muß eine dringende Angelegenheit erledigen. Ich hoffe, du kannst für ein oder zwei Stunden auf mich verzichten. Danach werde ich für den Rest des Herbstes zu deiner Verfügung stehen.«
Der Fürst packte ihn beim Arm. »Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um mit einem deiner Weiber ins Bett zu steigen. Es gilt, ein paar wichtige Dinge zu besprechen! Was du dort im Gau des Grafen Ricchar begonnen hast, beginnt weite Kreise zu ziehen. Wir sollten in aller Ruhe dein Vorgehen in den nächsten Wochen besprechen. Leider können wir dir keine direkte Unterstützung geben, Volker, das würde umgehend zu Krieg mit den Franken führen, aber dennoch hast du mehr Verbündete, als du vielleicht denkst. Gestern habe ich einen Botenreiter zu meinem Bruder nach Worms geschickt. Ich rechne damit, daß ich in drei Tagen Antwort von ihm erhalte. Ich habe einen ausführlichen Bericht über dich und die Rebellenarmee verfaßt und auch vom Angriff auf Castra Corona geschrieben.«
»Aber das alles ist doch nicht wahr!« Volker ließ sich resignierend auf einem Hocker neben dem Badezuber nieder.
Auf Giselhers Stirn zeigten sich steile Falten. »Was heißt hier nicht wahr? Im ganzen Bergland spricht man von dir und deinen Heldentaten! Sollen das vielleicht alles erfundene Geschichten sein? Willst du mir erzählen, du hättest keinen Angriff auf Castra Corona angeführt? Es sind Männer in der Stadt, die dich selbst gesehen haben, als du den Abtransport der Beute organisiert hast. Bist du dir darüber im klaren, was du in den Bergen begonnen hast? Erst gestern haben mich einige meiner jungen Ritter gefragt, ob sie in die Berge reiten dürfen, um sich dir anzuschließen. Du bist ein Held, und dein Name ist in diesen Tagen in aller Munde.«
Der Spielmann nickte müde. Er wußte nicht, was er dazu noch sagen sollte. Er hatte das Gefühl, in einem Heldenepos gefangen zu sein, das ein fremder Dichter ersonnen hatte, und er fühlte sich von Mächten bestimmt, auf die er keinen Einfluß hatte.
»Du weißt, was für eine Gefahr Fürst Ricchar für Burgund darstellt?«
Der Barde zuckte mit den Schultern. »Er ist ein guter Krieger. Ich habe an seiner Seite gestritten und gesehen, mit welch unbeugsamem Mut er kämpft. Seine Männer vergöttern ihn.«
»Und er ist ein überaus gefährlicher General. Ich habe gegen ihn gekämpft und mußte mit ansehen, wie er mit einem Reiterkeil meine Männer auseinandergetrieben hat, obwohl wir mehr als dreimal so viele Krieger waren. König Merowech ist alt, und es gibt Stimmen, die munkeln, daß Ricchar vielleicht die Macht hat, nach Merowechs Tod den Thron der Franken an sich zu reißen. Viele Kriegsfürsten würden ihn dabei unterstützen. Man sagt, Ricchar habe noch nie eine Schlacht verloren... Das macht ihn unter den Soldaten beliebt. Sie glauben, daß er ihnen Ruhm und Gold bringen wird. Nur einen Fehler hat unser Franke gemacht... Hätte er nicht das Christentum abgelegt, so wäre er schon jetzt unangreifbar. So jedoch hat er sich mächtige Feinde gemacht. Die Bischöfe des Frankenreichs stehen in offener Opposition zu ihm, und sie scheuen sich nicht, Ricchar selbst am Hofe des Königs einen Ketzer zu nennen. Durch sie wissen wir, daß Ricchar im Kampf gegen die Rebellen in seinem Gau keine Unterstützung durch den König erhalten wird, und sollte der Ketzerfürst in einem dieser Gefechte fallen, dann wird sein Ruhm so schnell verblassen wie die Sterne beim Morgengrauen.« Einen Moment lang starrten die Männer einander schweigend an. Dann murmelte Giselher leise: »Du weißt jetzt also, was dein König von dir erwartet.«
»Aber ich war Gast an seiner Tafel... Er hat mich zuvorkommend behandelt, und ich würde mich wie ein Verräter fühlen, wenn ich mein Schwert gegen ihn erheben würde, um...«
»Wem gilt deine Treue eigentlich?« herrschte der Fürst ihn an. »Siehst du nicht, welche Gefahr für Burgund Ricchar werden wird, wenn ihn niemand aufhält? Noch ist sein Aufstieg zu verhindern! Du weißt, daß König Merowech seit Monaten kränkelt... Viele rechnen damit, daß er noch in diesem Winter stirbt. Wenn das geschieht, dann ist es zu spät! Von meinen Spitzeln weiß ich, daß Ricchar Waffen hortet. Angeblich kann er schon jetzt zehntausend Fußkämpfer und tausend schwere Reiter ausrüsten. Wenn er erst einmal auf dem Königsthron sitzt, dann wird ihn niemand mehr aufhalten können. Ich habe von den fränkischen Bischöfen ein geheimes Schreiben erhalten, in dem sie mir berichten, daß Ricchar von der Errichtung eines heidnischen Königreiches träumt und daß er das Christentum ausrotten will. In den letzten Monaten sind mehr als hundert Priester und Mönche aus seinem Gau hierhergeflohen und haben sich unter den Schutz unseres Bischofs gestellt. Sie erzählen, daß der Ketzer die Priester foltern und hinrichten läßt, wenn sie dem wahren Glauben nicht abschwören und sich seinem Stiergott unterwerfen. Es ist deine Pflicht als Christ, diesen Mann zu bekämpfen!«
Volker mußte an den Eber denken. Der Räuber war ein Christ! Was hatte der Glaube schon zu bedeuten, wenn die Seele eines Menschen verdorben war. Im Vergleich zu diesem Halsabschneider war Fürst Ricchar wie ein leuchtender Stern in der Finsternis. Der Frankenfürst hatte eine Vision... Volker war sich sicher, daß Giselher mit der Behauptung recht hatte, daß Ricchar Krieg führen würde, falls er König würde... Doch das Ziel des Franken war Frieden. Dessen war sich der Spielmann völlig sicher. Warum sollte er gegen diesen Mann kämpfen? Vielleicht würde der Tag kommen, wenn Ricchar Burgund angriff... Aber jetzt? Außerdem würde es nicht mehr lange dauern, bis der erste Schnee in den Bergen fiel. Kein Feldherr mit Verstand führte Krieg im Winter. In dieser Jahreszeit würden mehr Krieger an der Kälte und an Krankheiten sterben als in der Schlacht.
»Nun, Volker! Hast du es dir überlegt?« Giselher schaute ihn erwartungsvoll an. »Wie lautet deine Antwort?«