»Und was ist so schlecht daran, wenn ein Mann Visionen hat. Er will letzten Endes Frieden, und er will, daß die Zivilisation der Alten zurückkehrt. Hast du das zerstörte Theater in Castra Bonna gesehen, Belliesa? Dort war Platz für Hunderte, die den Epen der Dichter ihrer Zeit gelauscht haben! Wie kümmerlich sind wir dagegen, die einen Marktplatz oder manchmal auch einen kleinen Fürstenhof als Bühne haben. Ricchar ist ein Dichter! Er wird all dies wieder erstehen lassen.«
»Und es wird auf den Ruinen des Burgundenreiches erstehen. Dein König wird sein erstes Opfer sein, wenn Ricchar zum Herrscher der Franken werden sollte. Das ist dir doch wohl klar, Volker!«
Der Spielmann wußte, daß sie recht hatte. Aber es gab ja noch die Bischöfe. Ricchar war auch unter den Franken nicht unumstritten. Vielleicht würde er niemals Herrscher sein. »Was hat er dir getan, daß du ihn so sehr haßt, Belliesa? Hat er dich zurückgewiesen? Dir den Platz an seiner Seite verweigert, nachdem er sich ein paar Nächte lang mit dir amüsierte? Hast du vielleicht geglaubt, ein Fürst, der dichtet, würde eine fahrende Sängerin an seiner Seite dulden?«
Für einen Augenblick erwartete Volker, daß Belliesa ihn ohrfeigen würde. Er sah, wie sich ihre Wangenmuskeln spannten. Doch fast sofort hatte die Sängerin sich wieder in der Gewalt. »Nach allem, was ich über dich gehört habe, hätte ich gedacht, daß du die Frauen besser kennst, Spielmann.« Sie blickte ihn an und wirkte unendlich enttäuscht.
Volker biß sich auf die Lippen. Dieser eine Blick wühlte ihn mehr auf als all ihre Worte zuvor.
»Geh deiner Wege, Spielmann! Wenn du glaubst, du könntest deinem Schicksal davonlaufen, dann tu es. Paß gut auf dich auf! Du trägst eine tödliche Kälte in deinem Herzen. Ich hatte geglaubt, sie von dort vertreiben zu können... Ich wollte dich auf den Weg zurückführen, den du einst in den Sümpfen verloren hast. Doch du bist dein eigener Herr! Ich hoffe, du begreifst, daß du in diesen Tagen am Wegekreuz deines Schicksals angelangt bist. Du vermagst kaum über die Spitzen deiner Stiefel hinauszusehen... So kannst du dich bei deiner Wahl nur auf dein Herz verlassen. Höre gut auf das, was es dir sagt!«
Der Spielmann schluckte. »Rede nicht so mit mir! Du bist nicht die Pythia aus dem Orakel von Delphi. Also maße dir nicht an, mir meine Zukunft zu prophezeien.«
Die Bardin blickte ihn traurig an. Dann nickte sie. »Du hast recht. Es gibt nichts mehr zu sagen zwischen uns.« Ihr Gesicht war wie versteinert. Sie wandte sich ab und ging den dunklen Gang hinauf.
Stumm starrte ihr Volker nach. Seine Wut war verraucht. Jetzt hatte er das Gefühl, etwas verloren zu haben. Hatte sie recht, wenn sie ihm vorwarf, daß sein Herz in Kälte erstarrt war? Was geschah mit ihm? War er vielleicht wirklich blind dafür, daß er auserwählt war?
12. KAPITEL
Ein Schlag hatte ihn am Knie getroffen. Golo riß den Stock herunter, um sich zu verteidigen, und im selben Augenblick traf ihn ein zweiter Streich am rechten Ellenbogen.
Lachend warf er seine Waffe fort und ließ sich rücklings in einen der Heuhafen fallen. »Das war’s. Du hast deinem Meister eine Lektion erteilt. Ich fürchte, ich kann dir von heute an nichts mehr beibringen.«
Mechthild kniete sich neben ihm ins Heu. In den letzten drei Wochen hatten sie sehr viel Zeit miteinander verbracht. Belliesa hatte am Abend, nachdem sie in Treveris angekommen waren, die Stadt verlassen. Die Bardin hatte sich von niemandem verabschiedet. Nicht einmal von Mechthild. Keiner wußte, wohin sie geritten war, doch Golo war sich sicher, daß sie jetzt wieder in den Bergen war. Drei Tage später war Volker nach Worms aufgebrochen. König Gunther hatte den Spielmann an seinen Hof zitiert.
Sein Freund war sich sicher gewesen, daß er nach Treveris zurückkehren würde. Deshalb wollte er nicht, daß Golo ihn begleitete. Der junge Ritter blickte zu Mechthild und lächelte. Er war Volker dankbar, daß er ihm diese Reise erspart hatte. Die vergangenen Wochen mit Mechthild waren sehr schön gewesen. Das Mädchen sprach zwar immer noch kaum ein Wort, doch es war auch nicht mehr nötig, miteinander zu reden. Er hatte gelernt, in ihren Blicken zu lesen.
In ihren Augen stand keine Freude darüber, daß sie ihn besiegt hatte. Sie wußte genau, daß er morgen gehen mußte. Der König hatte Volker befohlen, in die Berge zurückzukehren und den Aufstand gegen Ricchar anzuführen. In der Dämmerung des nächsten Morgens würden sie bei Schwaych die Mosel überqueren... Zwölf Ritter und zwanzig Waffenknechte, die den berühmtesten Kriegsherrn der Franken herausfordern würden.
»Glaubst du vielleicht, ich hätte dich absichtlich gewinnen lassen, weil ich morgen gehen werde?«
Sie nickte.
Golo zog eine Grimasse. »Ich bin enttäuscht, daß du mich so schlecht kennst. Ich bin viel zu ehrgeizig, um freiwillig einen Sieg verschenken zu können und...« Sie sah ihn so traurig an, daß er plötzlich nicht mehr wußte, was er noch sagen sollte. Er hätte niemals gedacht, daß ihm der Abschied so schwerfallen würde. Warum hatte er Volker nicht einfach ziehen lassen? Sein Freund hätte niemals von ihm verlangt, daß er ihn bei diesem aberwitzigen Unternehmen begleitete.
»Weißt du, ich werde dafür sorgen, daß du hier gut untergebracht bist. Du wirst es gut haben am Hof Giselhers. Ich bin sicher, ich kann dir einen Platz unter den Küchenmägden verschaffen. Eine Küche ist ein ausgezeichneter Ort, um dort den Winter zu verbringen. Du kannst mir glauben, daß ich auch lieber dort wäre als in den kalten Bergen. Im Frühjahr werden wir zurückkehren. Weißt du, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Volker hat immer Glück... An seiner Seite kann mir gar nichts passieren und...«
Mechthild legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen, und ihr Blick gebot ihm zu schweigen. Mit der anderen Hand begann sie die Verschnürung ihrer Lederweste zu öffnen.
Golo spürte, wie sein Mund plötzlich trocken wurde. Nervös leckte er sich über die Lippen. Auf einmal wußte er nicht mehr, was er tun sollte. Sie war doch noch ein Mädchen! Sicher hatte er manchmal daran gedacht, daß er in ein oder zwei Jahren... Wenn sie eine Frau war! Sie war anders als die anderen, neben denen er bislang gelegen hatte. Auf ihre stumme Art hatte sie ihn besser kennengelernt als irgend jemand zuvor. Vielleicht lag es daran, daß es keine Worte gab, die ihnen im Wege standen. Er wußte genau, daß es ihr egal war, daß er dem Ritterstand angehörte. Und er wußte auch, daß sie niemals einen Gedanken an seine Herkunft aus einem Bauerndorf verschwendete. Für sie war unwichtig, daß er als Unfreier geboren worden war. Sie wollte nur ihn, Golo.
Mechthild streifte die Weste über ihren Kopf und zog den Saum der Tunika aus ihrer Hose. Manche hatten darüber gespottet, daß sie wie Belliesa eine Hose trug, obwohl sie eine Frau war. Einige der Stallburschen hatten sich dafür eine blutige Nase geholt. Wenn sie wütend wurde, war das Mädchen wie eine Wildkatze. Dann fürchtete sie nichts und niemanden. Nicht einmal einen Kerl, der zwei Köpfe größer war und doppelt so schwer wie sie. Ihre Wut verhalf ihr trotzdem zum Sieg.