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Golo beobachtete einen jungen rothaarigen Bauern, der mit einem der Waffenknechte Speerkampfübungen durchführte. Die übrigen Männer der Einheit hatten sich im Halbkreis um die zwei aufgestellt und sahen ihnen zu. Mit nur zwei Finten brachte der Soldat den Bauern in eine ungünstige Stellung und stieß dem Rothaarigen dann die stumpfe Spitze des Holzspeers in den Leib. Noch zweimal wiederholte er das Spiel, ohne daß der Bauer auch nur ein einziges Mal Gelegenheit zu einem Gegenangriff hatte.

Golo seufzte. Das waren Lämmer, die sie zur Schlachtbank führten. Wenn sie mit dieser Armee gegen Ricchar bestehen wollten, dann brauchten sie wahrlich die Hilfe eines Erzengels. Unten vor der Stadtmauer begann der Waffenknecht eine neue Übungsrunde mit dem Rothaarigen. Wieder führte er einen Stich gegen den Leib des Mannes. Diesmal ließ der Bauer seinen Speer fallen. Geschickt griff er nach dem Schaft der Waffe des Soldaten und riß den Krieger mit einem Ruck auf sich zu, um ihm dann einen Kinnhaken zu versetzen. Die Männer im Halbkreis lachten. Taumelnd kam der Ausbilder wieder auf die Beine. Noch immer hielt er den Übungsspeer in Händen. Völlig überraschend versetzte er dem Bauern einen Stoß, der diesen wie vom Blitz gefällt in den Schnee stürzen ließ.

Golo biß sich auf die Lippen. Das Lachen unten war verstummt. Der Soldat wandte sich seinen Leuten zu und erklärte irgend etwas. Mit versteinerten Gesichtern hörten ihm die Männer zu. Zwei kümmerten sich um den Bewußtlosen. Golo konnte sich denken, was der Ausbilder jetzt sagte. Der Rothaarige hatte ihn zwar zu Boden geschlagen, aber die Gelegenheit dann nicht genutzt, ihm mit dem Holzspeer oder auf eine beliebige andere Art den Todesstoß zu versetzen. In einer Schlacht wäre das ein verhängnisvoller Fehler. Aber das hätte er den Bauern auch auf andere Art klarmachen können. Von jetzt an würde diese Gruppe ihren Ausbilder hassen. Er sollte den Mann gegen einen anderen austauschen. Es war nicht gut, wenn Krieger, die in die Schlacht zogen, heimlich dafür beteten, daß die Feinde ihren Anführer umbrachten. Golo fluchte. Er wünschte, er wäre mit Volker in den Bergen!

14. KAPITEL

Als Volker erwachte, war er in einer Kammer, die einzig vom matten Schein einiger glühender Scheite im Kamin erleuchtet wurde. Er ruhte auf einem Lager aus Fellen. Neben seinem Bett kauerte eine alte Frau, die eingeschlafen war. Ihr Gesicht war von Falten durchzogen. Wangen und Lippen waren eingefallen, so als habe sie keine Zähne mehr. Sie mochte vielleicht vierzig Jahre sein, vielleicht war sie auch jünger. Das Leben in den Bergen und unter den Räubern hatte sie ausgezehrt. Die wenigen grauen Strähnen in ihren langen, dunklen Haaren verrieten, daß sie noch nicht allzu alt sein konnte. Noch konnte man ahnen, daß ihr Gesicht einmal fein geschnitten und hübsch gewesen war.

Volker erinnerte sich nicht, wie er hierhergekommen war. Auf dem Weg zum Dorf des Ebers war ein Schneesturm aufgezogen. Er wußte noch, daß er das Tor erreicht hatte und mit dem Knauf seines Dolches dagegengehämmert hatte. Doch es war niemand auf Wachtposten gewesen, und seine Rufe waren im Heulen des Sturmes untergegangen. Schließlich mußte er völlig entkräftet vor dem Tor zusammengebrochen sein. Wie lange er dort wohl gelegen hatte? Oder war er am Ende gar nicht in dem Dorf?

Und was hatte die Kälte ihm angetan? Vorsichtig streckte er die Glieder. Er fühlte keine Schmerzen. Nur unendlich müde war er. Und doch... Er dachte an Geschichten von Männern, denen die eisige Winterkälte Finger oder Zehen fortgefressen hatte. Angeblich fühlte man nicht einmal etwas dabei, und man konnte die Glieder abbrechen, als seien sie aus Glas.

Unbehaglich blickte Volker auf den Fellmantel, der über ihn gebreitet war. Er konnte seine Hände nicht sehen. Ob er einen seiner Finger verloren hatte. Oder vielleicht sogar mehrere. Er versuchte, sich auf seine Hände zu konzentrieren und die Finger einzeln zu bewegen, doch es mochte ihm nicht gelingen. Ein eisiger Schauer kroch ihm den Rücken hinab. Seine Hände waren bandagiert! Selbst wenn er nur die Kuppe eines Fingers verloren hätte, würde er nie wieder die Laute schlagen können. Womöglich könnte er auch kein Schwert mehr führen. Vorsichtig schob er den Fellmantel mit den Füßen zurück. Sie waren nicht verbunden. Seinen Zehen schien also nichts geschehen zu sein.

Als er die Decke so weit zurückgestreift hatte, daß sie nur noch wenige Zoll oberhalb der Handgelenke lag, hielt er inne. Wollte er es wirklich wissen? Er dachte an die wunderbaren Abende am Hof zu Worms, an denen er den König und sein Gefolge mit Lautenspiel unterhalten hatte. Die Edeldamen, Dirnen oder Mägde, die an seinen Lippen gehangen hatten, wenn er zum Klang der Laute von der Liebe sang. War all dies nun für immer vorbei? Wie würde seine Zukunft aussehen? Er war ein Ritter, doch bei Hofe nannte ihn jeder nur den Spielmann. Würde man ihn bald schon hinter vorgehaltener Hand den Krüppel nennen? Würden die Frauen, deren Herzen er einst entflammt hatte, voller Mitleid auf seine verstümmelten Finger starren?

Mit einem Ruck zog er die Hände unter dem Pelz hervor. Sie waren dick mit Leinenstreifen umwickelt. Dunkle Flecken malten sich im hellen Stoff ab. Volker hielt seine Rechte ganz dicht vor sein Gesicht, um in dem schwachen Licht besser sehen zu können. Der Verband roch nach ranzigem Fett und nach Kräutern.

Der Ritter versuchte die Finger zu krümmen, doch das Leinen war so stramm gewickelt, daß es ihm kaum gelingen wollte. Er fluchte leise. Diese Stoffetzen mußten weg! Er wollte seine Finger sehen. Er mußte sicher sein, daß mit ihnen alles in Ordnung war!

Mit den bandagierten Händen konnte er den Verband nicht lösen. Also führte er die Rechte an seine Lippen und zerrte mit den Zähnen an den Leinenstreifen.

»Was tut Ihr, Herr?« Die Frau neben der Bettstatt hatte sich erhoben. »Ihr müßt den Verband in Ruhe lassen.«

»Was ist mit meinen Fingern!« herrschte Volker das Weib an. »Sag es mir auf der Stelle, und versuche nicht, mich zu belügen.«

»Sie sind... Der Biß des Winters hat Euch Wunden geschlagen. An den Händen war es am schlimmsten. Kudrun hat sich darum gekümmert. Sie ist bewandert im Umgang mit Salben, Herr. Aber sie hat gesagt, daß der Verband erst nach drei Tagen abgenommen werden darf.«

»Warum? Wie haben meine Hände ausgesehen? Muß ich um meine Finger fürchten?«

»An den Spitzen einiger Finger hatte sich die Haut dunkel verfärbt, Auserwählter. Aber Kudrun hat gesagt, daß die Engel Euch beschützen. Sie war erst vor einer Stunde hier, um an den Verbänden zu riechen. Sie meinte, daß alles gut sei.«

Volker hob die Rechte unter die Nase. Er fand nicht, daß der Verband gut roch. Hatte das Kräuterweib etwa Angst, daß seine Finger brandig wurden und abfaulten. Er schluckte.

»Wo ist diese Kudrun? Ich will sie sehen!«

»Fühlt Ihr Euch denn stark genug, um Euch zu erheben, Auserwählter?«

»Wenn du meinst, daß sie nicht zu mir kommen kann, sondern ich mich zu ihr begeben muß, dann ja. Ja, ich glaube ich kann laufen. Wie lange bin ich eigentlich schon hier?«

»Zwei Tage, Herr. Ihr habt die ganze Zeit geschlafen. Jetzt solltet Ihr erst einmal essen, und dann werde ich Euch zum Eber bringen. Er hat befohlen, daß Ihr sofort zu ihm kommen sollt, sobald Ihr wieder bei Kräften seid.«

»Ich will zuerst zu Kudrun, Weib. Sie soll mir sagen, wie es um mich steht.«

»Aber der Eber hat befohlen...« Die Stimme der Frau zitterte. Obwohl er nicht sehr laut sprach, hatte der Tonfall seiner Worte sie zusammenzucken lassen. »Kudrun wird auch in der Festhalle sein. Wenn ich Euch dorthin bringe, werdet Ihr auch sie sprechen können, Herr. Alle sind dort, um der Bardin zu lauschen.«

»Der Bardin!« Mit einem Ruck richtete sich Volker auf dem Lager auf. »Sie ist hier? Wann ist sie gekommen?«