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»Aber...« Rother blickte den Spielmann finster an.

Volker winkte ab. »Morgen. Wir brauchen unseren Schlaf, und ich möchte noch einmal in Ruhe überdenken, ob es vielleicht noch eine andere Möglichkeit gibt, gegen Ricchar vorzugehen.«

Die anderen gehorchten. Nur Golo blieb noch einmal in der Tür stehen und blickte zurück. »Ist alles in Ordnung?«

Der Spielmann nickte müde. »Ja.« Volker wollte allein sein. Als die Schritte seiner Gefährten auf der Treppe verklungen waren, stand er auf und folgte ihnen. Er mußte hinaus an die klare Nachtluft. In der engen Kammer hatte er das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.

Die Morgendämmerung war noch fern, als er allein durch die verschneiten Straßen ging. Er lauschte auf das Knirschen des Schnees unter seinen Sohlen und den Wind, der heulend um die Dachgiebel pfiff. Wäre er nur wirklich so sicher, wie er gegenüber den anderen aufgetreten war. Natürlich wußte er, wie riskant es war, das befestigte Lager in der Stadt zu schwächen. Aber sie konnten auch nicht einfach hierbleiben, bis der Frankenfürst sich stark genug fühlte, Icorigium zu belagern.

Der Spielmann erklomm eine der schmalen steinernen Treppen, die zur Stadtmauer hinaufführten. Die Befestigungsanlagen von Icorigium waren in einem guten Zustand. Es würde Ricchar nicht leichtfallen, die Stadt zu erobern. Doch sie würde untergehen... Im Grunde bräuchte der Frankenfürst nicht einmal anzugreifen. Er konnte einfach sein Heerlager vor den Mauern aufschlagen und darauf warten, daß der Hunger sie zwang, ihm die Tore zu öffnen. Sie würden von niemandem Unterstützung bekommen.

Volker erreichte den großen Turm am südlichen Ende der Mauer. Den Schuldturm. Hier waren jene Bewohner der Stadt eingekerkert, deren Sippen mit den fränkischen Besatzern verwandt waren. Dem Spielmann war es zuwider gewesen, Unschuldige hinter Kerkermauern verschwinden zu lassen, doch im Kriegsrat hatte man ihn überstimmt. Das Risiko, daß einer dieser Frankenfreunde nachts heimlich Ricchars Truppen die Tore öffnete, war einfach zu groß. Der Spielmann hatte dafür gesorgt, daß die Zellen in dem aus weißen Steinen erbauten Turm so gemütlich wie möglich eingerichtet worden waren. Überall gab es Feuerbecken und Lampen, um Kälte und Finsternis aus dem abweisenden Gemäuer zu vertreiben.

Energisch klopfte er gegen das Tor des Turms. Einige Augenblicke verstrichen, bis schließlich geöffnet wurde. Der junge Mann, der auf Wache stand, war kaum dem Knabenalter entwachsen. Überrascht salutierte er vor Volker. Der Spielmann erwiderte den Gruß und erklomm dann die schmale Treppe, die zur Plattform des Turms führte. Dies war die höchste Stelle der Verteidigungsanlagen. In der Finsternis waren die Häuser unter ihm kaum noch zu erkennen. Dunkle Wolken verhüllten den Mond und die Sterne. Fast konnte man hier oben das Gefühl haben, von der Welt losgelöst durch die Dunkelheit zu schweben. Könnte er nur wirklich alles hinter sich lassen! Doch sein König hatte ihm den Kampf gegen Ricchar befohlen. Gunther fürchtete den Frankenfürsten...

Volker blickte nach Südosten. Dort irgendwo hinter den Bergen, die sich in der Nacht verbargen, lag Ricchars Armee. Was für Gedanken der Frankenfürst wohl hegte. Ob er schlief? Vielleicht saß er auch über seinen Kartentisch gebeugt und brütete über den Untergang der Rebellen. Oder aber er wanderte, genau wie Volker es tat, schlaflos durch sein Heerlager.

Der Spielmann seufzte. Er hatte seinen Entschluß gefaßt.

17. KAPITEL

Golo war zu Tode erschöpft. Vier Tage hatte Volker sie quer über die Berge abseits von Straßen und Dörfern bis hin zum Totenmaar geführt. Sechshundert Mann, fast die Hälfte ihrer Armee, hatte er für den Überfall ausgewählt. Es waren nur solche dabei, die kräftig genug erschienen, um die Strapazen, die vor ihnen lagen, durchzustehen. Trotzdem waren dreiundzwanzig gestorben. Erfroren auf den eisigen Berghängen oder einfach vor Erschöpfung zusammengebrochen. Fast fünfzig waren desertiert. Golo mochte es ihnen nicht verdenken. Doch das eisige Wetter war auch ihr Schutz. Der Eber und seine Späher hatten kaum feindliche Kundschafter ausfindig machen können. Offenbar hatten sich die sächsischen Wölfe in ihre Höhlen zurückgezogen. Auch wenn ihm die Qualen der letzten Tage oft unerträglich erschienen waren, so erfüllte es Golo doch mit Stolz, daß sie bis hierher gekommen waren.

Mehr als eine Stunde warteten sie nun schon an den Geröllhängen der beiden kreisrunden dunklen Seen. Die Straße nach Dune verlief über den kaum mehr als hundert Schritt breiten Sattel, der die Maare voneinander trennte. Ein Drittel ihrer Streitmacht hatte an den steil zu den Seen abfallenden Hängen Posten bezogen. Die Männer trugen Mäntel aus hellem Leinen oder Schaffelle, so daß sie in der felsigen Schneelandschaft schon auf ein paar Schritt so gut wie unsichtbar waren.

Der Rest ihrer Armee hielt sich in zwei kleinen Wäldchen an den beiden Enden der Straße verborgen. Die Ruinen des Dorfes, die östlich des Totenmaars aufragten, hätten auch ein gutes Versteck geboten, doch war es unmöglich gewesen, die Krieger dazu zu bewegen, diesen Ort zu betreten.

Golo drehte sich um und blickte über den gefrorenen See zu den Ruinen. Grauer Dunst quoll aus den Rändern des nahegelegen Waldes, so daß unheimliche Schleier zwischen den Grabsteinen und den geborstenen Häuserwänden dahinzogen. Der junge Ritter schluckte. Es fiel nicht schwer, sich vorzustellen, daß es dort drüben am anderen Ufer nicht ganz geheuer war. Doch das würde ihnen diesmal zunutze kommen. Volker war sich sicher, daß Ricchars Männer es eilig hätten, am Dorf vorbei zu kommen, und daß sie in ihrer Hast nicht so gut auf den Weg achten würden, wie sie es sonst vielleicht getan hätten. Sie mußten einfach in die Falle gehen!

Die Späher des Ebers hatten berichtet, daß eine Kolonne von weniger als zweihundert Mann mit vielen Packtieren von der Mosel her auf der Straße in die Berge zog. Im Laufe des Morgens mußten sie an den Maaren vorbei. Dies war der einzige Weg, der von Süden nach Dune führte. Sie waren den Franken um das Dreifache überlegen und hatten auch noch den Vorteil, ihre Gegner überraschen zu können. Es war unmöglich, diese Schlacht zu verlieren. Wenn sie nur nicht so lange warten müßten! Golo hatte Mühe, seine Angst zu besiegen. Dabei war es nicht einmal sein erstes Gefecht. Wie es den anderen wohl gehen mochte? Wie viele ihrer Bauernkrieger jetzt wohl die Stunde verwünschten, in der sie sich Volkers Rebellenarmee angeschlossen hatten? Golo dachte an die Schlacht in den Sümpfen, als das Nachtvolk die Armee des Bischofs angegriffen hatte, und daran, wie Berengar an seiner Seite gestorben war. Er war einer der besten Ritter auf dem Feld gewesen, und doch hatte ihn seine Waffenkunst nicht vor dem verirrten Pfeil bewahren können, der seine Kehle durchschlug. Der Tod in der Schlacht kam schnell und meist überraschend. Niemand war davor gefeit. Wie viele der Männer, die er in den letzten Wochen ausgebildet hatte, heute abend wohl noch leben würden? Er sollte sich nicht solche Gedanken machen... Er hatte versucht zu vermeiden, mit den Männern Freundschaften einzugehen. Meistens war es ihm gelungen. Dennoch kannte er sie alle mit Namen und...

Vom südlichen Ende der Straße erklang ein Käutzchenruf. Das vereinbarte Signal! Er blickte über den Rand des Felsens, hinter dem er kauerte. Einer der Männer weiter vorne winkte ihm zu. Noch war nichts auf der Straße zu sehen, und doch hatte sich etwas verändert. Plötzlich schien eine fast greifbare Spannung in der Luft zu liegen. Golo spürte den leichten Wind auf dem Gesicht und glaubte, fast den Schnee mit den Spitzen seiner Zehen, durch die dicken Stiefel hindurch, ertasten zu können.