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In der Ferne erklang das empörte Schreien eines bockigen Maultiers. Es konnte keinen Zweifel mehr geben, sie kamen. Er preßte sich in die flache Mulde, die er hinter seinem Felsblock in den Schnee gewühlt hatte, und zog sein Schafsfell höher auf die Schultern. Nur noch wenige Augenblicke! Sie würden angreifen, sobald sich die ganze Marschkolonne auf dem Sattel zwischen den Maaren befand. Keiner der Franken durfte ihnen entkommen! Volker hatte ihnen befohlen, sich die Gesichter mit grauer Asche einzureiben. So sahen sie fast wie Tote aus. Die Franken würden vor Entsetzen wie gelähmt sein, wenn sie sich zwischen den zerklüfteten Felsen an den Steilhängen erhoben. Hoffentlich...

Wie eine kalte Hand fühlte Golo den Schnee auf seiner Wange. Jetzt war ihm die Kälte willkommen. Sie ließ ihn spüren, daß er noch lebte! Noch...

Angespannt lauschte er auf den Marschtritt der Soldaten. Doch der tiefe Schnee verschluckte die Geräusche. Statt dessen hörte man das Klappern der Kisten und Waffen, die auf die Packsättel der Maultiere geschnallt waren. Als die Franken näher kamen, waren auch einzelne Wortfetzen zu verstehen. Die Stimmen klangen gedämpft, so als wagten die Soldaten es nicht, an diesem Ort laut zu sprechen.

Obwohl Golo von seinem Versteck aus die Straße nicht einsehen konnte, hatte er das Gefühl, daß die Krieger dort oben in Eile waren. Auch sie spürten die seltsame Stimmung, die über dieser merkwürdigen Landschaft lag, und wollten dem Bannkreis der Maare so schnell wie möglich entgehen.

Golo mußte an den kleinen drahtigen Mann denken, mit dem er in der letzten Nacht am Feuer gesessen hatte. Er war ein Bauer aus der Nähe von Dune, der die Gegend hier gut kannte, und er hatte behauptet, daß die Seen, wenn das Eis auf ihrer Oberfläche geschmolzen war, an manchen Tagen so schwarz wie Kohle waren. Man sagte sich, sie seien Pforten in die Hölle, und manchmal, an windstillen Tagen, würde ihre Oberfläche von Gestalten, die aus der Tiefe emporstiegen, zu schäumenden Wellen aufgewühlt.

Wo Mechthild wohl steckte? Als die Gruppen für den Angriff eingeteilt wurden, war sie plötzlich verschwunden. Golo hatte versucht, ihr auszureden, an der Schlacht teilzunehmen. Sie war mittlerweile eine recht passable Schwertkämpferin geworden, doch in einer Schlacht zu kämpfen war etwas anderes, als ein Duell auszutragen. Hier gab es keine Regeln mehr. Selbst die besten Schwertkämpfer waren nicht vor einem Schlag in den Rücken oder einem Pfeil aus dem Hinterhalt sicher. Mechthild hatte genau gewußt, daß ihm keine Zeit mehr bleiben würde, nach ihr zu suchen. Es war ein Fehler gewesen, ihr das Kämpfen beizubringen...

Am Südende des Totenmaars ertönte ein Horn. Unheimlich hallte der Klang über das Eis. Für einen Herzschlag schienen alle anderen Geräusche verstummt zu sein. Golo sprang auf. Das war das Zeichen! Er riß seine Axt aus dem Gürtel. Rechts und links neben ihm stürmten schon die ersten Männer den Hang hinauf. Der hohe Schnee ließ sie immer wieder straucheln. Fluchend kämpfte auch Golo sich vorwärts. Ein Hagel von Pfeilen ging auf die Franken nieder. Das Krachen berstender Speerschäfte, die Schreie Sterbender und Verwundeter und das scharfe Klingen von Metall, das auf Metall schlug, lösten die winterliche Stille ab. Die Anführer der Franken hatten sich inzwischen vom ersten Schreck erholt. Mit lauten Stimmen übertönten sie das Schlachtengetöse und versuchten, ihre Männer in Formation zu bringen, um den Angriff abzuschlagen. Die Rebellen kamen jetzt von allen Seiten. Endlich war auch Golo auf der Straße.

»Keine Überlebenden!« gellte der Schlachtruf der Freischärler.

Der junge Ritter bückte sich und hob den großen Rundschild eines der toten Franken auf. Neben ihm stürzte ein junger Mann, der mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen blutigen Armstumpf umklammerte. Golo wandte sich ab. Das war nicht die Zeit, Mitleid zu haben. Wenn der junge Kerl die Schlacht überleben sollte, konnte man sich immer noch um ihn kümmern.

Wie aus dem Nichts erhob sich ein Krieger mit einem schwarzen Stierkopf auf dem Schild vor ihm. Nach kurzem Schlagabtausch drehte Golo ihm mit der Axt das Schwert aus der Hand. Offenbar hatte der Krieger nicht damit gerechnet, unter den Bauern und Holzfällern auf einen gleichwertigen Gegner zu treffen. Mit einem Rückhandschlag traf er den Franken am Knie. Der Soldat strauchelte. Noch einmal senkte sich die Axt. Ohne dem Sterbenden einen weiteren Blick zu schenken, machte sich Golo auf die Suche nach einem neuen Gegner. Aus den Augenwinkeln sah er, wie einige der Bauern flohen. Doch die meisten begegneten mutig den Schrecken der Schlacht.

Ein Speer durchbohrte Golos Schild. Ein paar Schritt links bildete ein kleiner Trupp Franken einen Verteidigungsring. Einer der Krieger hatte den Wurfspieß geschleudert. Der Ritter verzog keine Miene. Mit einem Axthieb zersplitterte er den Schaft der Waffe. Er würde sich nicht reizen lassen! Die Franken jetzt anzugreifen wäre töricht. Sie gaben sich gegenseitig Deckung. Er würde warten, bis Speerwerfer und Bogenschützen den Kampfesmut der Franken gebrochen hatten und... Nein! Auf der anderen Seite hatten Belliesa und Mechthild den Sattel erklommen. Ein kleiner Trupp Bergarbeiter mit schweren Spitzhacken begleitete sie. Die Bardin zog ihr Schwert und rief etwas, was Golo nicht verstand. Dann stürmte der Trupp den Franken entgegen.

Der junge Ritter fluchte. Er mußte Mechthild beschützen. Sie war zu klein und zu leicht. Ein erfahrener Krieger würde sie einfach mit seinem Schild niederstoßen und dann abstechen. Dazu durfte es nicht kommen. Golo faßte seine Axt fester und rannte los.

Müde schleppte sich Volker durch den aufgewühlten Schnee. Am Horizont waren die Wälle von Icorigium zu sehen. Noch zwei Meilen und sie hätten es geschafft. Fast eine Woche war vergangen, seit er mit seiner Armee die Stadt verlassen hatte. Der Angriff war nicht so erfolgreich verlaufen, wie er sich erhofft hatte. Zunächst war es ihnen zwar gelungen, die Kolonne der Franken zu zersplittern, und bei dem ersten Angriff waren viele Feinde umgekommen, doch die Überlebenden hatten sich dann zu Gruppen zusammengeschlossen, die erbittert bis zum Tod kämpften. In der zweiten Hälfte der Schlacht waren über hundert Mann gefallen. Noch einmal fünfzig hatten sie zurücklassen müssen, weil sie zu schwer verletzt gewesen waren, um den Weg nach Icorigium zu schaffen. Gegen den Rat des Ebers hatten sie doch Gefangene gemacht und sich auch um die verwundeten Franken gekümmert. So wurde für die Männer, die sie zurücklassen mußten, die Aussicht besser, von den Franken, die sie auf kurz oder lang aufspüren würden, nicht ermordet zu werden.

Sie mußten noch viel an der Ausbildung ihrer Freiwilligen tun. Im Kampf Mann gegen Mann waren sie Ricchars Leuten hoffnungslos unterlegen gewesen. Volker dachte an das gräßliche Bild des Schlachtfeldes. Der Schnee hatte alles noch schlimmer gemacht. Überdeutlich waren die großen Blutlachen unter den Toten und Verletzten zu sehen gewesen. Das Blut war in breiten Streifen die Hänge bis zu den Maaren hinabgelaufen. Auch der Gestank war ihm in der klaren Winterluft noch erstickender erschienen. Nun, wenigstens hatten sie mit den Maultieren viele Lebensmittel erbeutet. Sie würden die Vorräte noch bitter nötig haben!

»Das alles gefällt mir nicht!« Der Eber hatte zu ihm aufgeschlossen und rieb sich seine rote Nase. »Es ist viel zu glattgelaufen. Hier stimmt etwas nicht. Trotz des guten Wetters sind wir kaum von Ricchars Sachsen behelligt worden.«

»Kaum behelligt!« Volker dachte an den Mann, der gestern an seiner Seite gestorben war, als ihn ein Pfeil aus dem Hinterhalt getroffen hatte. Der Spielmann meinte zu wissen, daß dieses Geschoß eigentlich für ihn bestimmt gewesen war. »Was willst du damit sagen?«

»Daß es nicht normal ist, wie uns diese Barbaren in Frieden lassen. Spätestens einen Tag nach dem Überfall hätten wir die ganze Meute der sächsischen Wölfe auf den Fersen haben müssen. Und was geschieht? Abgesehen von ein paar Pfeilen aus dem Hinterhalt nichts! Das ist nicht Ricchars Art. Ich sage dir, dieser Bastard brütet irgend etwas aus. Ich würde lieber fünfhundert seiner Krieger vor mir sehen, als ständig darüber grübeln zu müssen, was dieser Hurensohn als nächstes tun wird!« Der Eber spuckte in den Schnee.