»Vielleicht ist es uns einfach geglückt, ihnen zu entkommen. Schließlich sind wir weit abseits der Wege marschiert, und deine Männer haben sich bemüht, unsere Spuren zu tilgen, um...«
»Ach Unsinn! Man kann die Fährte, die vierhundert Mann samt Maultieren hinterlassen, nicht wirklich verwischen. Jeder Jäger wäre in der Lage, uns ohne Schwierigkeiten aufzuspüren. Diese Sachsen, die Ricchar in seinen Sold genommen hat, mögen zwar Barbaren sein, doch heißt das nicht, daß sie auch Trottel sind. Der Graf hat uns seit der Schlacht nie wirklich aus den Augen verloren. Ein paar Sachsen waren immer in unserer Nähe.«
»Und wo sollten die anderen gewesen sein? Ricchar hat diese Bluthunde doch nur angeheuert, um mich aufzuspüren und umzubringen.« Volker ging die Schwarzseherei des Gesetzlosen auf die Nerven. Man konnte das Unglück auch herbeireden!
»Du hast keine Ahnung, Ritter. Ich glaube nicht, daß dieser Ketzer dich tot sehen will. Er führt etwas anderes im Schilde, und dazu braucht er seine Späher.«
Von den Mauern der Stadt erklang ein Hornsignal zum Gruß. Volker dachte daran, wie er ein heißes Bad nehmen würde. Im Zuber liegen und noch heißen Kräuterwein trinken. So ließe sich die Kälte aus den Knochen vertreiben. Er beschleunigte seinen Schritt ein wenig.
»Spürst du das auch?« Der Eber hielt ihn am Arm zurück.
»Was?«
»Wir werden beobachtet.«
Volker riß sich los. »Natürlich werden wir beobachtet! Auf den Türmen und den Mauern stehen Wachen!« Seiner gepreßten Stimme war die mühsam unterdrückte Wut anzuhören. Am liebsten hätte er den Eber einfach angeschnauzt und fortgeschickt, doch es wäre schlecht für die Moral der Truppe, wenn die Männer sahen, wie ihre Anführer miteinander stritten. Er würde den Gesetzlosen heute abend zu sich bestellen und unter vier Augen mit ihm darüber reden, was er von seinem Verhalten hielt.
»Warum haben die noch nicht das Tor geöffnet? Warum kommt uns keiner entgegen?« Der Eber spuckte wieder aus. »Laß mich vorgehen!«
»Gute Idee, und wenn du schon...« Das Tor der Stadt öffnete sich. Ein Trupp Reiter mit eisernen Masken kam ihnen entgegen. »Was...« Volker konnte nicht fassen, was er sah.
»Alarm! Bildet einen Speerwall! Die Bogenschützen ins zweite Glied!« Der Eber hatte sein Schwert gezogen und lief zu seinen Schützen.
Volker schluckte. Sie waren in eine Falle gelaufen. Ricchar hatte geahnt, daß sie die Stadt verlassen würden, wenn er ihnen den passenden Köder hinwarf. Und er... Er war zu dumm gewesen, es zu durchschauen. Der Spielmann fluchte. Er hatte sich hereinlegen lassen! Nun war es seine Sache zu retten, was noch zu retten war. Wenn er nur wüßte, mit wie starken Truppen der Frankenfürst bis Icorigium vorgestoßen war. Er hatte gewiß nicht seine ganze Armee bei sich. Volker drehte sich um. Der Eber rannte die Marschkolonne entlang und rief den Männer Befehle zu.
»Achtung! Auf den Wald zurückfallen!« Der Barde wies auf den Hügel schräg hinter ihnen. Dort wären seine Männer vor Reiterangriffen sicher. »Bleibt dicht beieinander!«
Aus dem Stadttor trabte eine ganze Reiterabteilung. Auch wenn der tiefe Schnee die Pferde behinderte, würde Ricchars Kavallerie sie erreichen, bevor sie am Waldrand waren. Der Burgunde fluchte. Hätte er nur mehr ausgebildete Krieger! Nur solange sie es schafften, eine Schlachtlinie beizubehalten, waren sie vor den Reitern halbwegs sicher. »Schnallt die Schilde von den Packtieren! Golo, Rother, sucht die besten Männer für die erste Reihe aus. Die Verwundeten nehmen die Zügel der Maultiere. Ich möchte nicht, daß diese störrischen Biester durchgehen, wenn wir angegriffen werden. Eber, du sicherst mit deinen Männern unseren Rücken. Nur für den Fall, daß unsere fränkischen Freunde auch im Wald sitzen. Sollte unsere Schlachtreihe zu wanken beginnen, kommst du zurück und gibst uns Deckung!«
Der Gesetzlose deutete einen militärischen Gruß an und grinste. »Jawohl, Auserwählter!« Dann sammelte er seine Schützen und eilte dem Wald entgegen.
Volker sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Er war sich fast sicher, daß der Räuber sie im Stich lassen würde, wenn die Schlacht ungünstig verlief. Mit einer Drehung ließ der Barde den Schild von seinem Rücken rutschen und überprüfte den Sitz der Lederriemen an dessen Innenseite. Seine Hand glitt zum Schwert. »Maria, heilige Mutter Gottes, schütze meine Männer, die bereit sind, ihr Leben zu geben, um diese Kirchenschänder aus den Tempeln deines Sohnes zu vertreiben.«
Die Reiter fächerten zu einer langen Linie auf. Es mochten an die hundert Mann sein. Über den Kriegern schimmerte golden der Kopf der Drachenstandarte. Neben dem Signifer mit dem Feldzeichen ritt ein Mann in besonders prächtiger Rüstung. Volker fragte sich, ob Ricchar selbst die Einheit kommandierte. Der Spielmann blickte die Reihe seiner Krieger entlang. Die meisten Männer hatten ihre Position eingenommen. Golo und Rother gingen die Schlachtreihe ab und sorgten dafür, daß sich die letzten Lücken im Schildwall schlossen.
Wenn Ricchar es geschafft hatte, auch seine Fußtruppen bis hierher zu bringen, dann waren sie verloren. Volker winkte einem jungen Krieger, ihm einen seiner leichten Wurfspeere abzugeben.
In leichtem Trab kamen Ricchars Reiter den Hang hinab. Ihre Hufe wirbelten den verharschten Schnee auf, so daß es fast schien, als schöben sie eine Welle vor sich her so wie ein Boot, das gegen die Strömung fährt. Keiner der Krieger fiel aus der Reihe. Es gab keine Kommandos oder Hornsignale. Nur das drohende Donnern der Hufe. Volker betete, daß seine Männer nicht in Panik gerieten. Es war unheimlich, die Franken zu beobachten. Noch nie hatte er einen solchen Reiterangriff gesehen. Alle Krieger und Pferde schienen sich im gleichen Rhythmus zu bewegen, und die eisernen Masken ließen die Soldaten wie Götter aus Erz erscheinen. Der Barde hörte, wie der Mann, der ihm den Speer gegeben hatte, leise betete.
»Keine Sorge! Sie sind sterblich, genau wie wir.« Volker faßte seinen Wurfspeer fester.
Die Reiter hatten inzwischen den Fuß des langgestreckten Hügels erreicht, der der Stadt gegenüberlag. Volker spürte den Boden unter dem Hufschlag erbeben. Seine Hände waren plötzlich naß, die Kehle trocken. Auf ein lautloses Kommando zogen alle Franken gleichzeitig kurze Wurfspieße aus den Lederköchern, die hinter ihren Sätteln hingen. Sie waren jetzt keine zwanzig Schritt mehr entfernt.
»Nicht aus der Reihe brechen! Duckt euch!« rief Volker mit schriller Stimme. Ein Hagel von Speeren ging auf die Fußsoldaten nieder. Einige Männer stürzten, doch die Kämpfer aus der zweiten Reihe traten in ihre Lücken. Die Reiter rissen ihre Pferde herum und drehten ab. Dabei schwenkten sie ihre großen Rundschilde, so daß ihre Rücken gedeckt waren.
»Jetzt! Gebt es ihnen.« Die Rebellen warfen Speere. Volker sah, wie sein Geschoß vom Rand eines Schildes abprallte. Ein paar Pferde wurden verwundet und strauchelten. Ein bärtiger Kerl stürmte vor, um einen Reiter niederzustechen, dessen Beine unter dem Leib seines Rappen eingeklemmt waren.
»Zurück ins Glied, du Narr!« brüllte der Spielmann. »Sie warten nur darauf, daß unsere Schlachtreihe aufbricht. Alles zehn Schritt zurück. Und haltet die Formation!«
Weiter unten am Hang wendeten die Reiter ihre Pferde. Die Franken hatten nur fünf Krieger verloren. Ihre Schilde und Rüstungen gaben ihnen guten Schutz. Die Verluste auf seiner Seite waren deutlich höher. Trotz der reichen Beute aus dem Überfall am Totenmaar besaß nur jeder zweite seiner Männer einen Helm, und Kettenhemden gab es so gut wie gar nicht.
»Achtung!« gellte Rothers Stimme. »Sie kommen zurück!«