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Wieder surrten die Speere durch die Luft. Volker biß die Zähne zusammen und duckte sich hinter seinen Schild. Dann war es vorbei. Ängstlich blickte er die Reihe seiner Männer entlang. Auch diesmal hatten sie dem Angriff standgehalten. Hinter ihnen ertönten Schreie. Hektisch blickte der Spielmann über die Schulter. Irgend etwas geschah am Waldrand. Der Eber und seine Schützen kamen den Hang hinunter gelaufen. Sie wurden beschossen. Schatten huschten zwischen den Bäumen. Dann tauchte ein Krieger in einem Wolfsfell am Waldrand auf. Die Sachsen! Jetzt war alles verloren. Wenn die Männer... Inmitten der Schlachtreihe ertönte Lautenklang.

»Mein Panzer ist nicht schimmernde Wehr,

mich schützt mein mutiges Herz.

Und stürmt der Feind auch tausend Mal,

ich werde nimmer weichen,

denn ich weiß, mein Mut ist der Freiheit Schild,

und würde er jemals brechen,

so erhöbe sich der Stier aus blutiger Grube

und ewig würde meine Knechtschaft sein,

denn mein Stolz wäre der Preis für mein Leben.«

Kristallklar klang die Stimme der Bardin über den Schlachtenlärm, und so, als läge ein Zauber in ihren Worten, faßten die Männer noch einmal Mut.

»Bildet einen Kreis! Nehmt die Maultiere in die Mitte. Sie werden an unseren Reihen zerbrechen wie die Welle am Felsen«, feuerte Rother seine Krieger an.

Zweimal noch griffen die Reiter an, dann waren ihre Köcher mit den Wurfspeeren leer. Solange der Schildwall nicht zerbrach, war Ricchars Kavallerie machtlos. Auch die Sachsen waren nicht genug, um einen offenen Angriff wagen zu können. Die Kräfte der Freischärler reichten jedoch auch nicht aus, um Icorigium zurückerobern zu können. So verharrten sie, hundert Schritt vom Waldrand entfernt an der Hügelflanke. Mehr als eine Stunde belauerten sie einander. Als der Schneefall dichter wurde, zogen sich die Reiter in die Stadt zurück. Die sächsischen Plünderer waren irgendwo im Dickicht verschwunden, doch Volker war sich sicher, daß sie nur darauf warteten, wieder loszuschlagen.

»Was sollen wir tun?« Golo war an seine Seite getreten. Der junge Ritter war blaß und erschöpft. »Hier können wir nicht bleiben.«

Der Spielmann nickte. »Es gibt einen Ort! Die anderen Städte sind vielleicht auch schon verloren, die Dörfer und Gutshöfe nicht zu verteidigen, aber...«

»Sie ziehen sich zurück!«

Erschöpft ließ Golo seinen Schild vom Arm gleiten und ging in die Knie. Hätten sie das Bergdorf nicht vor Augen, er würde einfach hier im Schnee liegen bleiben. Nie zuvor in seinem Leben war er so erschöpft gewesen. Immer wieder hatten die Sachsen während des Marsches angegriffen. Meist hatten sie nur ein paar Pfeile aus dem Hinterhalt abgeschossen und waren dann wieder in den Wäldern verschwunden. Zweimal jedoch hatten sie ihr Nachtlager angegriffen, und jetzt, als das rettende Festungsdorf schon in Sichtweite war, hatten sie noch einmal einen letzten Angriff unternommen.

»Alles in Ordnung?« Der Spielmann stand neben ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

In Ordnung, dachte Golo bitter. Wie konnte er so etwas fragen? Sie waren durch die Hölle gegangen. Von den sechshundert Mann, mit denen sie aufgebrochen waren, würden nicht einmal hundertfünfzig das Dorf des Ebers erreichen. Er blickte in die Gesichter der Toten ringsherum im Schnee. Die rettenden Wälle vor Augen waren sie gestorben. Aber für sie hatten die Leiden wenigstens ein Ende. Genauso wie für die Deserteure, die sie auf dem Weg ins Bergdorf gefunden hatten. Dreißig Mann, die vor zwei Nächten geflohen waren und direkt in einen Hinterhalt der Sachsen gelaufen sein mußten.

Golo hatte versucht, mit Volker darüber zu reden, die Rebellion aufzugeben, doch der Spielmann stand völlig unter dem Einfluß Belliesas. Wenn man ihn darauf ansprach, nach Treveris zu fliehen, redete er nur von Schicksal.

Der junge Ritter blickte zu den Befestigungsanlagen des Dorfes hinauf. Wie lange Ricchar wohl brauchen würde, bis er mit einer ganzen Armee vor den Wällen stand?

Wenigstens hatten sie kaum Maultiere verloren. Die Vorräte im Dorf würden lange reichen. Müde erhob sich Golo aus dem Schnee. Volker war weitergeeilt und sprach mit Verwundeten und Erschöpften. Je verzweifelter die Lage wurde, desto verbissener kämpfte der Spielmann gegen das Unausweichliche an. Seine Kraft schien niemals zu versiegen.

Golo mußte an Mechthild denken. Als der Kampf begann, war sie noch ganz in seiner Nähe gewesen. Ängstlich glitt sein Blick erneut über die Gesichter der Toten. Dann rief er laut ihren Namen. In der Schlacht vor Icorigium hatte sie sich eine böse Schramme eingefangen. Sie konnte kaum noch ihren Schild halten. Wenn sie einer der Sachsen gestellt hatte!

»Mechthild!«

»Hier.« Sie stand bei einer Gruppe von Kriegern und stützte sich schwer auf ihren Rundschild. Sie hatte einen roten Vogel auf weißem Grund als ihr Zeichen gewählt. Das Mädchen lächelte erschöpft. »Du führst dich ja auf, als seiest du meine Amme.« Die Krieger um Mechthild lachten.

Golo hätte sie am liebsten in die Arme geschlossen. Zum ersten Mal seit ihrem Streit in Treveris hatte sie ihm wieder ein Lächeln geschenkt.

18. KAPITEL

»Wir können nicht mehr länger warten. Sie brauchen höchstens noch zwei Tage, um fertig zu werden.«

Volker lehnte an einer der rauhen Wände und beobachtete die Männer, die sich im Turm des Ebers versammelt hatten. Belliesa hatte zu ihnen gesprochen, und die meisten der Krieger nickten zustimmend. Seit der Schlacht vor Icorigium war sie im Kriegsrat. Mit ihren Liedern hatte sie den Verzagten ihren Mut zurückgegeben, und jeder der Männer hatte sie dort auch kämpfen sehen. So wie die Morrigan, die heidnische Fürstin aus den Sümpfen Aquitaniens, so wurde auch Belliesa von den Kriegern als ihresgleichen akzeptiert.

»Und was schlägst du vor?« fragte Rother. Der burgundische Ritter gehörte zu den wenigen, die sich mit der Rolle der Bardin nicht abfinden mochten. In allen Treffen des Kriegsrates hatte er bisher gegen sie gesprochen, wobei Volker manchmal den Eindruck hatte, daß es dem Ritter gar nicht um die Sache ging, sondern allein darum, Belliesa zu widersprechen.

Der Spielmann schmunzelte. So hatte schon manche Liebesgeschichte angefangen. Doch dafür würde ihnen wohl nicht mehr die Zeit bleiben. Ricchar hatte sie wieder einmal überrascht. Nur drei Tage nachdem sie das Festungsdorf erreicht hatten, erschien er mit einer Armee aus fast achthundert Kriegern vor dem Hügel. Die fränkischen Soldaten hatten alle Wege zum Dorf abgeriegelt und schon am ersten Tag mit Vorbereitungen zum Bau von Belagerungsmaschinen begonnen.

»Was hast du vor? Willst du hinuntergehen und sie mit einem kecken Augenaufschlag fragen, ob sie dir ein paar Fackeln leihen, um die Katapulte in Brand zu setzen«, höhnte Rother. »Sie sind mehr als viermal so viele wie wir. Wenn wir uns hinter den Wällen hervorwagen, sind wir erledigt.«

»Wenn wir hier oben sitzen bleiben, sind wir das auch«, entgegnete die Bardin ruhig. »Mag es sein, daß Ihr Angst vor einem Kampf habt, Herr Ritter«, fügte sie spitz hinzu.

Der Eber lachte lauthals. »Sei nicht so streng mit ihm. Er ist doch nur ein Ritter. Bisher war er es gewohnt, daß man sich aus einem Kampf mit einem Lösegeld freikaufen kann. Jede Nacht, wenn er daran denkt, daß hier nicht mehr die netten Regeln wie sonst unter den Adeligen gelten, scheißt er sich vor Angst ins Kettenhemd.«

Rothers Hand fuhr zu dem Dolch an seinem Gürtel. »Das wirst du mir büßen, dreckiger Halsabschneider.«

»Genug!« Volker trat in die Mitte der Turmkammer. »Wenn einer von euch seinen Mut kühlen muß, gibt es draußen ein ganzes Heer von Franken. Daß ihr euch untereinander an die Kehle geht, werde ich nicht dulden! Belliesa, Eber, ihr beide werdet mit mir zusammen den Angriff anführen. Was dich angeht, Rother, du bleibst zurück. Wir brauchen einen erfahrenen Krieger hier oben, falls uns der Rückweg abgeschnitten wird.«