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Die Flammen fraßen hinter ihm die Nacht. Keuchend rannte Golo den Hügel zum Dorf hinauf. Neben ihm hechelten seine Kameraden. Von den brennenden Katapulten her ertönte das Geschrei der Franken. Deutlich konnte Golo die Stimme eines Offiziers hören, der seine Truppen zum Gegenangriff sammelte. Verfluchter Krieg! Wäre er nur in Treveris geblieben! Volker war irgendwo zwischen den huschenden Schatten. Wenn ihn, Golo, jetzt ein Pfeil traf, dann würde es der Spielmann gar nicht bemerken. Jeder starb für sich allein.

Der junge Ritter keuchte. Es war besser, in dieser Lage nicht an den Tod zu denken. Vielleicht würde der Sensenmann sonst noch auf ihn aufmerksam. Hoffentlich sahen die Bogenschützen, wohin sie schossen. Wie besprochen, waren die meisten Männer des Ebers auf dem Wall zurückgeblieben, um ihnen Deckung zu geben. Salve auf Salve schossen sie in die Finsternis. Surrend zogen die Pfeile kaum mehr als zwei oder drei Handbreit über ihre Köpfe hinweg.

Golo dachte an die Warnungen des Ebers. Sie mußten genau in den Spuren bleiben. Wenn er den vorgegebenen Weg verließ, würde er in eine der Fallgruben stürzen, mit denen die Hügelflanke gespickt war. Der Burgunde blickte zurück. Die Franken hatten sich gesammelt und folgten ihnen. Vor den hellen Flammen konnte er nur unförmige Schatten erkennen. Die großen Rundschilde ließen die Schemen so aussehen, als hätten sie riesige aufgedunsene Leiber, ganz wie Kreaturen, die aus den Schlünden der Hölle emporgestiegen waren.

Die Schritte des jungen Ritters wurden schwerer. Erschrocken blickte er zu Boden. Er hätte nicht zurücksehen dürfen! Die Spur! Er hatte sie verlassen. Ein Stück vor ihm rannte noch ein Mann, der den Weg im Schnee verloren hatte. Unentschlossen blickte Golo den Hang hinab. Er müßte nur ein paar Schritt zurück, doch das hieße, den Franken entgegenzulaufen oder, schlimmer noch, von den eigenen Bogenschützen für einen Feind gehalten zu werden.

Golo lief quer zum Hang, bis er die Spur des anderen erreichte. Wieder sah er über seine Schulter, doch diesmal blieb er einen Augenblick lang stehen. Die Franken waren schon verdammt nahe. Zwanzig Schritt noch, und sie hätten ihn erreicht. Auch ihre Bogenschützen waren inzwischen alarmiert. Pfeile flogen den Hügel hinauf. Es war vielleicht ganz gut, nicht mit dem großen Pulk von Kriegern zu laufen. Ein Schrei riß Golo aus seinen Gedanken. Der Mann vor ihm war verschwunden. Ein dunkles Loch klaffte im Schnee. Verdammt! Jetzt war er auf sich allein gestellt.

Die Schreie hinter ihm kamen immer näher. Wenn er zu dem Wallabschnitt wollte, an dem die Leitern lehnten, auf denen sie hochsteigen sollten, würde er nur ein paar Herzschläge vor Ricchars Kriegern ankommen. Immer vorausgesetzt, er geriet nicht in eine der Fallgruben und die Männer auf den Wällen zogen nicht vorzeitig die Leiter hoch.

Ihm wurde klar, daß er es nicht mehr schaffen würde. Das dunkle Loch im Schnee zog seine Blicke an. Wie ein Grab klaffte es am Hügelhang. Es würde ihm Deckung geben. Golo folgte weiter der Spur des Mannes, den die Erde verschlungen hatte. Zwei Schritt vor dem Loch warf er sich in den Schnee und kroch vorsichtig auf den Rand zu. Er spürte, wie etwas unter seinen Händen nachgab. Erschrocken zuckte er zurück. Schnee glitt in die Grube hinab. Die letzten Reste des Geflechts aus dünnen Weidenruten, unter dem die Falle verborgen gewesen war, rutschten hinab. Undeutlich konnte der junge Ritter die Pfähle am Boden erkennen. Die Schreie hinter ihm waren jetzt ganz nahe.

Vorsichtig ließ er sich über den Rand gleiten. Auf dem Schnee fand er keinen Halt. Mit einem Rutsch war er unten und stieß seitlich an einen der zugespitzten Pfähle. Der andere hatte weniger Glück gehabt. Zwei abgebrochene Holzpflöcke ragten aus seiner Brust. Er mußte mitten über der Grube gewesen sein, als die Weidenruten unter seinem Gewicht nachgegeben hatten.

Brandpfeile zogen hoch über ihm durch den nächtlichen Himmel. Golo fluchte. Die Franken schienen sich zu einem massiven Gegenangriff entschlossen zu haben.

Der Burgunde mustert die Fallgrube. Sein Kamerad hatte Pech gehabt. Nur in der Mitte standen angespitzte Pflöcke. Wer sich von den Rändern hineingleiten ließ, so, wie er es getan hatte, war nicht in Gefahr. Die Grube war groß. Fast zwei Schritt lang und nur wenig schmaler. Wie ein Grab. Überall auf dem Boden lagen zerbrochene Äste, die wie dunkle Rippen aus dem Schnee emporragten. Die Ränder der Grube waren nicht sehr steil. Es würde leicht sein, wieder aus ihr herauszusteigen.

Der Schnee oben knirschte unter Schritten. Das leise Klappern von Waffen ertönte. Golo spürte, wie sich etwas eisig in ihm zusammenzog, so, als seien plötzlich seine Gedärme gefroren. Er ließ sich zusammengekrümmt in den Schnee fallen. Dicht unterhalb des Randes der Grube schlug ein Pfeil ein. Aus den Augenwinkeln sah er für einen Herzschlag lang Füße über ihm durch den Nachthimmel gleiten. Der erste Trupp der Angreifer. Die Schritte entfernen sich. Das Keuchen verebbte. Doch was war, wenn noch mehr kamen? Was, wenn einer von ihnen in die Grube sprang, um vor den Pfeilen der Bogenschützen des Ebers Deckung zu suchen? Seine klammen Finger tasteten nach dem Dolch in seinem Gürtel. Zitternd zog er ihn hinaus und verbarg ihn neben sich im Schnee. Wenn jemand in die Falle sprang, würde er sofort auf ihn einstechen. Ja, er würde ihm die Kehle durchstoßen, damit er nicht schreien konnte! Es ging nicht anders! Der erste Augenblick war entscheidend. Der andere würde sicher nicht damit rechnen, hier unten angegriffen zu werden. Er durfte nicht zögern, dachte Golo. Nur nicht abwarten und dem anderen in die Augen sehen. Er durfte dem Franken keine Gelegenheit geben, über ihn herzufallen.

Der junge Ritter hob den Kopf aus dem Schnee, um besser lauschen zu können. Von den Wällen des Bergdorfes erklang Schlachtlärm. Die Schreie der Verwundeten und Sterbenden. Das dumpfe Geräusch von Waffen, die auf hölzerne Schilde schlugen. Hin und wieder auch das helle Klingen von Stahl, wenn zwei Schwerter aufeinandertrafen. Plötzlich ertönte ein Hornsignal. Noch waren die Wälle des Dorfes gut bemannt, und der Mut der Verteidiger war ungebrochen. Die Franken mußten sich zurückziehen.

Golo ließ sich wieder in den Schnee sinken. Gespannt bis zum Äußersten lauschte er auf die Geräusche in der Finsternis. Das Klappern, das Knirschen und Schleichen kam näher. Ein einzelner Schrei gellte durch die Nacht. Die Bogenschützen des Ebers!

Unmittelbar neben der Grube hasteten Schritte vorbei. Leises Fluchen und Keuchen war zu hören. Die ersten waren vorbei! Ein paar Herzschläge später kamen noch mehr. Dann herrschte wieder Ruhe. Gerade als Golo sein Gesicht aus dem Schnee hob, polterte es. Ein Schatten rutschte in die Grube, strauchelte und fiel auf den jungen Ritter.

Golos Hand verkrampfte sich um den Dolch. Ohne zu denken, in blinder Panik, stieß er zu. Er spürte, wie der Körper beim zweiten Stich weich wurde und in sich zusammensackte. Seine Hand war klebrig und naß. Als er wieder zu sich kam, starrte er auf seine Hand. Das Blut sah in der Finsternis dunkel aus, fast schwarz.

Der andere röchelte. Noch immer raste dem Burgunden das Blut durch die Adern. Es dröhnte wie ferner Donner in seinen Ohren. Sein Atem ging keuchend. Das Röcheln des Franken erschien dem Ritter unnatürlich laut. Er mußte ihm den Mund zuhalten, Schnee hineinstopfen, damit die anderen ihn nicht hörten. Der Kerl sollte still sein! Voller Haß starrte er in das blasse Gesicht. Warum mußte sich der Idiot ausgerechnet in diese Grube werfen? Hätte er nicht ein paar Schritt weiter rechts den Hang hinunterlaufen können?

Müde robbte Golo in die entgegengesetzte Ecke der Fallgrube. Er wollte den Franken nicht sehen. Den Dolch schob er in seinen Gürtel zurück. Wenn er sich rührt, werde ich ihn töten, dachte der Ritter. Aber er wird nichts mehr tun, das hört man schon an seinem Röcheln. Dieses Röcheln... Der Burgunde blickte zum Rand der Grube. Er mußte hier heraus! Der Himmel war schon ein wenig heller geworden. Nicht mehr lange, und es war zu spät. Sobald die Bogenschützen besser sehen konnten, war es Wahnsinn, sich auf der Hügelflanke zu zeigen. In seiner schneeverkrusteten Felljacke könnte man ihn auch für einen Sachsenkrieger halten. Das fehlte gerade noch, daß seine eigenen Kameraden auf ihn zielten. Doch selbst wenn sie ihn erkannten und nicht beschossen, war er auch noch immer tödlich nah am Lager der Franken. Sie würden gewiß auf alles schießen, was sich am Berghang bewegte. Ob er es noch wagen konnte, über den Rand der Grube zu klettern, oder war es schon zu spät? Gerade nach einem Gefecht waren die Wachen auf beiden Seiten besonders aufmerksam. Wie lange er die Kälte wohl überleben würde, wenn er hier unten in diesem Loch hockte. Es wäre nur für ein paar Stunden hell.