Golo nahm einen tiefen Schluck aus dem Bierkrug, den ihm der Spielmann großmütig überlassen hatte, und wischte sich danach mit dem Ärmel über den Mund. Er sollte für den Rest der Nacht alle Gedanken an die Zukunft verbannen.
Der junge Ritter blickte zu Mechthild. Sie sah kurz von ihrer Schüssel auf und lächelte scheu. Während des ganzen Mahls hatten sie kein Wort miteinander gesprochen, doch ihr Schweigen hatte nichts Beklemmendes. Es beruhte auf stillem Verstehen.
Mechthild schob ihre Holzschale zur Seite und blickte ihn an. Ihre grünen Augen funkelten wie Smaragde. Einen Augenblick lang hatte Golo Angst, ihre Erwartungen nicht erfüllen zu können. Er beugte sich vor und küßte sie. Erst sanft, dann begann er leidenschaftlicher zu werden. Seine Hand glitt zum Gürtel des Mädchens. Er löste die Schalle und schob die Hose hinunter. Seine Zunge umkreiste die ihre.
Der Ritter hob sie auf und schob sie ein Stück weiter auf die Decken. Er fühlte sich seltsam entrückt, so, als geschehe dies nicht wirklich. Vorsichtig drang er in sie ein, halb darauf gefaßt, sich sofort wieder zurückzuziehen, wenn er ihr Unbehagen bereitete. Doch Mechthild umschloß ihn mit ihren Schenkeln.
Sein ganzes Gewicht ruhte nun auf ihr und drückte sie hinunter. Die Lust hatte alle anderen Gedanken ausgelöscht. Das Mädchen küßte ihn, wild und leidenschaftlich. Plötzlich erstarrte ihr Gesicht zu einer Maske des Entsetzens. Mit einem gellenden Schrei drehte sie sich unter ihm weg.
Schluchzend rollte sich Mechthild zusammen und verbarg ihr Antlitz in den Händen. Golo legte seine Arme um sie. Sie ließ es geschehen. Er spürte, wie ihr Blut durch die Adern pulste. Sanft streichelte er durch ihr langes kastanienrotes Haar.
»Sie waren plötzlich wieder da.« Das Mädchen schluchzte leise. »Ich dachte, ich hätte sie hinter mir gelassen, die Gesichter jener Nacht. Die Männer sind nicht hier im Dorf. Sie müssen bei den Kämpfen gestorben sein. Nur der Eber...«
»Rede jetzt nicht.« Er drückte sie ein wenig enger zu sich. »Laß uns einfach beieinanderliegen.«
Der junge Ritter starrte zur Decke und lauschte auf den unregelmäßigen Atem des Mädchens. Plötzlich spürte er ihre Hand auf dem Glied. Sie streichelte es. Es richtete sich auf, wurde hart. Mechthild drehte sich um. Sie küßte seine Brust und glitt langsam tiefer. Er hielt sie fest.
»Bist du wütend auf mich?« Golo sah die Furcht in ihren klaren, grünen Augen. Angst, ihn zu verlieren?
»Nein, meine Prinzessin! Ich habe dir weh getan. Deine alten Wunden wieder aufgerissen. Ich habe deinen Schmerz gespürt. Wie könnte ich dir böse sein?«
»Aber...«, sie blickte auf sein Gemächt.
»Laß es gut sein für diese Nacht. Warten wir ein wenig. Wie du siehst, hat mein Begehren nicht gelitten.«
»Und du bist wirklich nicht böse auf mich?«
Statt einer Antwort schloß Golo sie in die Arme.
Volker wanderte den Hügel hinauf bis ganz hoch zum Rand der Steilklippe, wo der Turm des Ebers stand. Es war still im Dorf. Die Nacht hatte sich über die Berge gesenkt. Der Himmel war sternklar, und die Kälte biß mit eisigen Zähnen durch seine Kleider. Undeutlich konnte er die Schatten der Wachen erkennen, die auf den Wällen patrouillierten.
Wie gerne würde er jetzt so wie Golo in den Armen einer Geliebten liegen! Wie lange war es her, daß er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte. Eine Ewigkeit... Der Auserwählte zu sein hatte ihn einsam gemacht. Sogar Golo schien sich von ihm zurückzuziehen.
Ganz leise klang eine Stimme mit dem Wind. Im Schatten des Turms stand Belliesa auf dem Rand der Klippe, blickte über das weite Bergland und sang.
»Weit bin ich in den kalten Bergen gewandert
und habe um den Kummer und den Schmerz gewußt.
Wo sind nun die vielen Menschen
vom Feld der Speere?
Alte Tränen
fallen wie Regen auf sie
und ihre Augen sind still,
als sie matt das Licht der Sterne spiegeln.
Ich habe die ungezählten Toten gesehen.
Auch ich werde einmal unter dem Sternenhimmel liegen
und mich nicht mehr zu dem Feld der Speere erheben.
Ich habe den Schrei des Windes gehört,
es ist der Schrei, der in meinem Herzen ist.
Eine Decke aus braunen Blättern wird ihn ersticken,
bevor der nächste Frühling kommt.«
Belliesa legte ihre Laute zur Seite und drehte sich um. »Hat dir mein Lied gefallen, einsamer Held?«
»Es ist schön, aber sing es nicht vor den anderen. Glaubst du, daß unsere Schlacht verloren ist? Werden wir alle unter den toten Blättern begraben sein, die der Frühlingswind als Erinnerung an den Winter mit sich trägt?«
Die Bardin wandte sich ab und blickte wieder zu den Bergen. »Wer weiß das schon? Gewiß ist nur, daß Ricchar morgen Verstärkung bekommen wird. Er wird noch vor dem Ende der Woche das Dorf erobert haben.«
»Steht das in den Sternen geschrieben?« fragte Volker. Er war wütend, doch mehr auf sich als auf die Bardin. Warum ließ er sich von ihrer melancholischen Stimmung mitreißen?
»Nicht in den Sternen...« Sie streckte den Arm aus. »Siehst du dort hinten den roten Schimmer auf dem verschneiten Hang. Im Schnee spiegeln sich die Lagerfeuer, die im Tal brennen. Es müssen viele Feuer sein... Und nicht wir sind es, die auf Verstärkung hoffen können. Bis morgen abend werden die Krieger in Ricchars Lager eintreffen.«
Volker sah jetzt auch den Schein der Feuer. Er schluckte. Sie hatte recht. Es war vorbei. »Sollen wir es den anderen sagen?«
Belliesa schüttelte den Kopf. »Warum? Um ihnen den Frieden dieser Nacht zu nehmen? Morgen abend werden sie sehen, wie es um uns steht. Das ist früh genug.«
Sie hatte recht, und doch hinterließen ihre Worte einen bitteren Beigeschmack. »Du liebst es, die Wege der Menschen zu lenken und sie dabei noch glauben zu lassen, sie hätten selbst entschieden.«
»Ich bin nur weniger blind als andere. Mir mußte Golo nicht erklären, welcher Art sein Interesse für den Waffenknecht war, der in den letzten Wochen stets an seiner Seite blieb.«
»Vielleicht achte ich einfach nur auf andere Dinge. Mich verfolgen die Gesichter der Menschen. All die Toten aus den Schlachten. Es ist etwas anderes, ein Krieger zu sein, der von seinem König in den Kampf geführt wird, als plötzlich damit leben zu müssen, daß man selbst die Entscheidungen getroffen hat. Immer wieder denke ich an das Mädchen im Schnee. Sie hatte von meinen Toten gesprochen. Erst da habe ich begriffen, daß jeder, der in diesem Winter stirbt, sein Leben läßt, weil ich zurückgekehrt bin. Und doch war auch ich nur eine Figur auf deinem Spielbrett. Wie lebst du mit all den Toten? Denkst du manchmal an sie? Oder sind sie nur der Stoff für ein trauriges Heldenlied?«
Die Bardin senkte den Blick. »Du bist doch ein Christ, Volker... Du müßtest also wissen, daß unser aller Leben vorherbestimmt ist. Nicht einmal die Priester des toten Zimmermannssohnes, die sich sonst immer wieder durch ihre unfaßliche Ignoranz auszeichnen, haben sich dieser Einsicht verwehren können. Es ist so, daß die großen Entscheidungen in unserem Leben vorherbestimmt sind. Nenn es meinetwegen Schicksal... Vielleicht ist auch der Funken der Göttlichkeit, der zumindest schwach in uns allen glimmt und uns mit den Unsterblichen verbindet. Du konntest diesem Krieg nicht davonlaufen, Volker. Ich weiß, wie sehr du es versucht hast. Von dem Moment an, in dem du den Gau des Kriegsherrn Ricchar betreten hast, war es dir bestimmt, seinen Untergang herbeizuführen. Damals gab es freilich noch viele Wege, die zu diesem Ziel führten. Es sind mit jedem Schritt, den du getan hast, weniger geworden. Hättest du weniger lange gezögert...« Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht war auch das Schicksal.«