Volker lachte zynisch. »Ich werde seinen Untergang herbeiführen? Unsinn! Dort draußen lagert er mit einer ganzen Armee. Und morgen wird er noch Verstärkung bekommen. Gegen jeden Krieger unter meinem Kommando kann er zehn erfahrene Soldaten stellen. Ich glaube, du verwechselst da etwas. Nicht sein Untergang ist vorherbestimmt, Belliesa. Wir sind es, die sterben werden.«
»Du hast recht. Auch dein Tod ist schon jetzt vorherbestimmt. Du wirst in einem fernen Land an der Seite deines Königs dein Ende finden, Spielmann. Doch bis dahin liegt noch ein langer Weg vor dir.« Die Stimme der Bardin war plötzlich dunkler geworden. Sie klang fast wie ein Echo aus weiter Ferne. Funkelnd spiegelte sich das Sternenlicht in ihren Augen. Der Burgunde machte entsetzt einen Schritt zurück. Sie war mehr als nur eine Sängerin. Er dachte an die Anklage als Zauberin, die der Statthalter von Icorigium gegen sie erhoben hatte. »Ricchar wird durch den Mord, den er am Tag der Wintersonnenwende begehen wird, zu Fall gebracht werden.«
»Woher weißt du das alles?«
Plötzlich wirkte die Bardin unendlich traurig. »Das war die falsche Frage, Spielmann. Laß uns nun gehen. Es ist zu kalt hier oben. Du hast keinen Platz in dieser Nacht, nicht wahr?«
Er nickte, noch immer erschrocken über ihre Prophezeiung. Und was hatte sie damit gemeint, als sie sagte, er habe die falsche Frage gestellt? Was war die richtige Frage?
»Betrachte meine Einladung bitte nicht als eine Aufforderung dazu, deine Verführungskünste an mir zu versuchen. Wir teilen nur meine Decke und den Platz, an dem ich schlafe. Nicht mehr! Ich bin nicht die Frau, die du liebst, und das weißt du auch. Ich begnüge mich aber nicht mit weniger als mit einem Mann, der mich von ganzem Herzen liebt.«
Volker lag eine bissige Antwort dazu auf der Zunge, doch er schwieg. Es wäre töricht, in einer Nacht wie dieser einen warmen Schlafplatz aufs Spiel zu setzen. Er brauchte den Schlaf. Es mochte vorherbestimmt sein, daß Ricchar obsiegte, doch er würde ihm keinen leichten Triumph schenken.
20. KAPITEL
Als Golo erwachte, war er allein. Er hatte nicht bemerkt, wie Mechthild ihn verlassen hatte. Seine Hand tastete nach den Fellen, auf denen sie geschlafen hatte. Sie waren kalt. Es mußte mindestens eine Stunde vergangen sein, seitdem sie gegangen war.
Er drehte sich auf den Rücken und starrte zur Decke. Die Glut in der Feuerstelle war fast verloschen. Es war eisig kalt in der Hütte. Ob es draußen schon dämmerte?
Der junge Ritter dachte an die vergangene Nacht. Was mochte jetzt in Mechthild vorgehen? War es ein Fehler gewesen, sie zurückzuhalten, als sie ein zweites Mal mit ihm schlafen wollte? War sie beleidigt und deshalb gegangen? Dabei war sie so friedlich in seinen Armen eingeschlafen... Er wollte ihr diese Ängste nehmen. Wie es für sie wohl war, jeden Tag den Eber sehen zu müssen. Dieses narbengesichtige Ungeheuer, das seinen Männern den Befehl dazu gegeben hatte...
Sie mußten hier weg. Nicht allein wegen des Ebers. Hier zu bleiben hieße sterben, dessen war Golo sich völlig sicher. Es war nur eine Frage von Zeit, bis die Franken das Bergdorf stürmten. Er würde nicht abwarten, bis es soweit war. Sie mußten fliehen. Am besten noch in dieser Nacht! Rother hatte es geschafft, hier herauszukommen... Es würde auch ihnen gelingen!
Golo dachte an Volker. Ob der Spielmann sie verstehen würde? Sein Freund würde begreifen, warum er so handeln mußte. Es war kein Verrat... Volker hatte ihm ja schon in Treveris die Wahl gelassen, ob er mit in die Berge kommen wolle.
Von den Wällen erklangen Signalhörner. Die Franken griffen an! Fluchend sprang der Ritter vom Lager auf und tastete unbeholfen in der Dunkelheit nach seinen Kleidern. Dieses Mal würde er noch kämpfen! Er war kein Feigling! Aber sobald es dunkel würde...
Der Ritter verschnürte sein Lederwams und griff nach seinem Schwertgurt. Etwas stimmte nicht... Der Gürtel war zu leicht. Sein Dolch fehlte. War er herausgefallen? Er tastete über den Boden, doch konnte er in der Dunkelheit nichts finden. Vielleicht hatte er die Waffe auch auf seinem Schlafplatz in der Hütte neben der Festhalle gelassen. Gestern hatte er dort seine Waffen geputzt. Wieder erklangen die Hörner vom Wall. Es war keine Zeit mehr, danach zu suchen. Er stieß die Tür der Hütte auf und trat hinaus.
Das klare Licht blendete ihn. Es war später, als er gedacht hatte. Fast schon Mittag. Müde streckte er seine Glieder. Die Luft war eisig. Er schlug den Umhang über seine Schulter und blickte den Weg hinunter zum Wall. Die meisten Männer hatten sich schon dort eingefunden. Seine Hand glitt zum Schwert. Er betete leise, daß ihn nicht heute sein Schicksal ereilte.
»Golo«, eine Gestalt taumelte durch den Schnee. Die Sonne stand genau hinter dem Mann. Der Ritter kniff blinzelnd die Augen zusammen. Es war der Eber. Er war fast nackt. Die Rechte hielt er auf seine Brust gepreßt. Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch.
»Verfluchte kleine Hure«, er stützte sich gegen die Wand der Hütte. »Hol das Kräuterweib, schnell! Ich blute wie ein abgestochenes Schwein.«
Verfluchte kleine Hure. Laut wie Donnerschlag hallten die Worte durch Golos Kopf. Wieder starrte er auf den Gesetzlosen. Die Wunde war dicht über seinem Herzen. Golo erinnerte sich an das Gespräch, das er mit Mechthild geführt hatte, bevor er sie im Schwertkampf unterwies.
»Nein!« Mit einem gellenden Schrei rannte er zum Turm. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete er die Treppe an der Außenwand hinauf. Das niedrige Tor am Ende der Treppe stand weit offen. Der große Raum dahinter lag im Zwielicht. Stickige Luft schlug ihm entgegen.
»Mechthild?« flüsterte er. Er würde sein Leben geben, wenn nicht sie es gewesen war, die versucht hatte, den Eber zu töten. Unsicher trat er in den hohen Raum. Es dauerte einige Augenblicke, bis er im grauen Zwielicht etwas sehen konnte. Der Eber hatte die Schießscharten für den Winter mit Holzläden verschlossen, so daß nur noch durch einige schmale Ritzen Licht ins Innere fiel.
Jetzt erkannte Golo das Lager nahe dem verloschenen Kamin. Eine zusammengekauerte Gestalt lag dort.
»Mechthild!« Er rannte quer durch den Raum, stolperte fast über einen schweren Kerzenständer und kniete neben dem Lager nieder. Das Mädchen war über und über mit Blut bedeckt. Neben ihr lag sein Dolch.
»Nein!« Er konnte es nicht glauben. Das mußte ein Alptraum sein. Sie war doch in seinen Armen eingeschlafen! Was hatte sie hierhergetrieben? Mit zitternder Hand strich er ihr das blutverklebte Haar aus dem Gesicht. Ihre Lippen bebten. Ihre Haut war noch warm, doch so weiß wie Kalk.
»Ge... liebter...«
Die Stimme des Mädchens war kaum mehr als ein Hauch. Er beugte sich zu ihr hinab. »Ja, meine Prinzessin. Ich bin hier. Es... es wird alles wieder gut. Ich hole die Heilerin... und Belliesa. Sie wird eines ihrer Zauberlieder für dich singen und...«
»Ver... zeih mir...«
Er wollte etwas sagen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt. Sie durfte nicht sterben! Warum war er nicht erwacht, als sie aufgestanden war, um zu gehen?
»Gestern... ich habe immer... nur sein Gesicht... ge... sehen... Ich mußte... mich von ihm... befreien...«
Golo legte sich neben sie. Er nahm sie sanft in die Arme. »Es ist gut. Wir werden aus dem Dorf fliehen und ihn vergessen... Ich werde dich pflegen, und noch bevor der Frühling kommt, wirst du wieder ganz gesund sein. Ich werde dich mit an den großen Fluß nehmen. In mein Dorf... Wir werden heiraten, wenn die Apfelbäume blühen. Es ist schön, dort Hochzeit zu feiern. Wir werden den Apfelwein vom Vorjahr trinken und...«