»Danke...« Ihre Augen weiteten sich. »Ge... liebter...« Ein Zittern lief durch ihren Körper.
»Nein!« Golos Schrei hallte dutzendfach von den kalten Mauern wieder. Er starrte auf ihren zerschundenen Leib. Der Eber mußte blindlings mit dem Dolch auf sie eingestochen haben, bevor er hinausgelaufen war. Golo schluckte hart und starrte auf die blutverschmierte Waffe. Es war sein Dolch, der ihr den Tod gebracht hatte.
Golo wußte nicht, wie lange er einfach nur vor ihr gekniet und sie angestarrt hatte. So wenig Zeit war ihnen geblieben... Er konnte sich noch an jeden der Sätze erinnern, die sie miteinander gesprochen hatten. Hunderte Bilder standen ihm vor Augen... Ihr scheues Lächeln, als sie im Wald zusammen gekocht hatten... Ihr verbissenes Gesicht bei den Schwertkampfübungen... Die Freude, mit der sie ihn in die Arme geschlossen hatte, als er mit Volker nach Treveris gekommen war, und ihre Tränen, als er sie an dem verregneten Abend auf dem Heuboden über den Pferdeställen zurückgewiesen hatte... Ihr warmer und leidenschaftlicher Kuß, als sie gekommen war, um ihn aus der eisigen Grube zu retten. Er verdankte ihr sein Leben. Warum war es ihm nicht vergönnt gewesen, auch ihr Leben zu retten?
Plötzlich wußte er, was zu tun war. Es galt noch eine Schuld bei ihr abzutragen. Der Eber! Jeder im Dorf sollte wissen, was für ein niederträchtiger Mörder er war! Der Gesetzlose hatte sich gewünscht, ein Held zu sein... Doch Schmutz konnte nicht zu Gold werden...
Golo hob den nackten, geschundenen Körper des Mädchens auf seine Arme. Tränen rannen von seinen Wangen. Er würde sie durch die Straßen tragen, bis er vor dem Eber stand. Und dann würde er Mechthilds Werk vollenden...
In der Tür erschien ein Schatten. Belliesa. »Was willst du tun, Golo?« fragte sie leise.
»Geh mir aus dem Weg!«
Die Bardin blieb ungerührt stehen. »Du wirst nicht dort hinausgehen. Volker hat mich geschickt. Sobald die Franken zurückgeschlagen sind, wird auch er kommen.«
»Ich will, daß alle sehen, was er getan hat! Und dann bring ich ihn um...«
»Glaubst du, daß ist es, was sie gewollt hätte? Alle werden sie nackt sehen, wenn du sie so hinausträgst... Voller Blut... Und es gibt noch etwas, das du bedenken solltest. Viele wissen, daß Volker in der letzten Nacht seine Hütte für euch beide geräumt hat. Was glaubst du, wie sie über Mechthild reden werden, wenn sie erfahren, daß das Mädchen im Morgengrauen zum Eber gegangen ist? Willst du ihr das antun?«
Golo knirschte wütend mit den Zähnen. »Ich werde den Eber umbringen, diesen dreckigen Mörder. Er soll mir büßen...«
»Mechthild hat ihn nicht richtig getroffen. Als sie versuchte, den Gesetzlosen zu ermorden, ist die Spitze des Dolches von einer Rippe abgeglitten. Der Eber ist nur leicht verletzt. Er kann noch kämpfen... Es ist also nicht gewiß, wer diesen Kampf überleben wird. Wir brauchen euch aber beide! Es würde den Kampfeswillen unserer Männer brechen, wenn sie mit ansehen müßten, wie sich ihre Anführer auf Leben und Tod duellieren. Glaubst du, die Männer des Ebers werden noch an unserer Seite kämpfen, wenn du ihn tötest? Und was ist mit den Kämpfern, die du ausgebildet hast und die in allen Schlachten an deiner Seite gefochten haben? Was, glaubst du, werden sie tun, wenn der Eber dich tötet? Sie werden auf Rache sinnen. Ich weiß, was du jetzt fühlst, aber es darf keinen Streit in unseren Reihen geben.«
Golo schnaubte verächtlich. »Die anderen interessieren mich nicht. Es hätte sich längst jemand finden sollen, der diese Bestie in Menschengestalt in die Hölle schickt. Du wirst mich nicht daran hindern können.«
Belliesa schwieg. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Wenn dies dein Weg ist, dann laß uns wenigstens die Tote waschen und in ein Leichenhemd kleiden, bevor du sie herausträgst.«
Der junge Ritter blickte auf den nackten Körper in seinen Armen. Plötzlich erschien ihm das zarte Mädchen so schwer wie ein Berg. Seine Knie zitterten.
Vorsichtig legte er sie auf den großen Tisch in der Mitte des Turmzimmers. Belliesa trat an seine Seite und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sie hat dich sehr geliebt. Sie hat nie viel gesprochen, als wir zusammen reisten. Aber ich konnte spüren, daß ihre Gedanken bei dir waren.«
Golo starrte auf die Tote. Die Bardin hielt ihm eine kleine Lederflasche hin, die sie von ihrem Gürtel geschnallt hatte. »Trink das! Es wird dir guttun.«
Der Ritter blickte sie fragend an.
»Ein leichter Gewürzwein. Er müßte sogar noch etwas warm sein.« Sie lächelte. »Hab keine Sorge, er wird dich nicht betrunken machen. Dazu ist er nicht stark genug.«
Golo öffnete die Flasche und nahm einen Schluck. Noch immer konnte er seinen Blick nicht von Mechthild wenden. Er würde den Eber töten! Warm rann der Wein seine Kehle hinab. Erst jetzt merkte er, wie trocken sein Mund war.
Ein wohliges Gefühl breitete sich in Wellen von seinem Magen aus. Der Wein vertrieb die Kälte aus seinen Gliedern.
»Das Zeug ist gut«, murmelte Golo halblaut.
»Ich weiß.« Die Bardin lächelte. »Erlaubst du, daß ich die Tote wasche?«
Der Ritter nickte. Er fühlte sich ein wenig benommen und müde. Als Belliesa mit einem zerrissenen Leinhemd und einem Eimer voller Wasser wiederkehrte, mußte er sich auf den Tisch aufstützen.
Vorsichtig, fast liebkosend, tupfte die Bardin das geronnene Blut von Mechthilds Brüsten. Golo sah, wie rote Schlieren im Wasser des Eimers tanzten, als Belliesa das Leinen auswrang. Ihm wurde schwindelig. Etwas stimmte nicht. Sein Kopf war schwer. Feuer schien in seinen Eingeweiden zu brennen. Kaum konnte er die Augen aufbehalten. Der Wein! Er wollte etwas sagen, doch seine Zunge gehorchte ihm nicht mehr. Ihm wurde übel.
Belliesa sah zu ihm herüber. Sie schien traurig zu sein. »Es tut mir leid, daß ich diesen Schritt tun mußte. Aber der Eber ist wichtiger als du. Es durfte kein Duell geben. Du hättest alles zerstört... Jetzt, wo sich der Kreis fast schon geschlossen hat.«
Das Gesicht der Bardin schien in Flammen aufzugehen. Golos Knie gaben nach. Er stürzte zu Boden. Ein lähmender Schmerz breitete sich in seinem Körper aus. Keuchend rang er nach Atem. Er hatte es immer gewußt. Belliesa war eine Zauberin!
Mechthilds Gesicht tauchte aus der Finsternis auf. Es schien ihm entgegenzufliegen...
Über ihm hallte dunkel die Stimme der Bardin. »Es tut mir leid um dich, Ritter...«
Erschöpft ließ sich der Spielmann auf das Faß neben dem Tisch sinken. Belliesa und der Eber, das waren die letzten aus seinem Kriegsrat, die noch lebten. Sein Blick wanderte von den müden Gesichtern zu den beiden leblosen Gestalten, die auf der Bettstatt des Gesetzlosen lagen.
»Wir werden den nächsten Angriff nicht mehr zurückschlagen können.« Der Eber schrie fast. »Habt ihr gesehen, wie viele neue Soldaten in der Abenddämmerung in sein Lager eingerückt sind? Es ist vorbei! Und alle hier im Dorf wissen es! Alle haben auf den Wällen gestanden und es gesehen! Warum habe ich nur auf dich gehört, Spielmann?«
»Weil du unsterblich werden wolltest? Erinnerst du dich noch, als du an mein Bett gekommen bist und mir erzählt hast, wie es ist, plötzlich ein Held zu sein?« Der Spielmann lächelte zynisch. Fast schien es, als habe der Eber erst jetzt begriffen, worauf er sich eingelassen hatte. War er wirklich so ein Narr gewesen? Hatte er geglaubt, sie würden durch ein Wunder gerettet werden? »Das Fest ist zu Ende, mein Freund. Morgen werden wir alle die Zeche zahlen.«
Die Augen des Gesetzlosen funkelten wütend. »Und? Erinnerst du dich noch daran, was ich dir damals gesagt habe? Ich habe dir versprochen, daß ich dir den Hals umdrehen werde, wenn dein Plan schiefgeht, Spielmann. Für dich ist noch in dieser Nacht Zahltag!« Die Hand des Räubers glitt zu seinem Schwert.