»Genug!« Belliesa nickte in Richtung des Lagers aus Fellen. »Ich habe das nicht getan, nur damit ihr euch jetzt als nächste an die Kehle geht. Es gibt noch einen Weg... Die Höhlen in der Steilklippe.«
Mit einem Satz fuhr der Eber herum und packte sie bei ihrem Wams. »Hast du hier hinter meinem Rücken herumgeschnüffelt, du falsche Schlange!«
Noch bevor Volker sein Schwert gezogen hatte, blitzte ein Dolch in der Hand der Bardin. Die Spitze drückte gegen die Lederweste des Gesetzlosen.
»Ich bin kein unerfahrenes Mädchen, das dein Herz verfehlen würde.« Belliesas Stimme klang völlig ruhig, doch in ihrem Gesicht spiegelte sich kalte Entschlossenheit. »Was verbirgst du hier in deinem Turm?«
»Nichts, das uns etwas nutzen würde!«
Volker schäumte vor Zorn. »Du hattest doch geschworen, keine Geheimnisse mehr zu haben.«
»Nur ein Narr verrät all seine Geheimnisse!«
»Was gibt es hier im Turm?«
Belliesa schob den Dolch in ihren Gürtel zurück. »Wahrscheinlich einen Zugang zu den Höhlen im Fels. Wir sollten uns das ansehen.«
Volker gab ihr ein Zeichen, stehenzubleiben. »Erst will ich wissen, was hier heute morgen vorgefallen ist. Warum mußtest du dieses Mädchen umbringen? Ich dachte, du...« Der Spielmann schüttelte den Kopf. »Ich hatte wirklich daran geglaubt, daß du dich ändern könntest.«
Der Eber schnitt eine Grimasse. »Schicksal, nicht? Dreck bleibt Dreck, denkt sich der Herr Ritter jetzt wohl! Es ist ja auch so einfach...«
Der Burgunde hatte Mühe, sich im Zaum zu halten. »Du hast uns ja eindrucksvoll bewiesen, daß es so ist. Hast dir wohl gedacht, jetzt ist ohnehin alles egal.«
»Dich interessiert die Wahrheit ja gar nicht!« grollte der Eber.
»Und was ist die Wahrheit?« mischte sich Belliesa ein.
»In der Morgendämmerung bin ich raus, um die Wälle zu inspizieren. Da lungerte dieses kleine Miststück schon an der Treppe vor dem Turm herum. Sie war mir noch nie aufgefallen hier im Dorf. Ich fand sie hübsch und grüßte sie... Ich wollte immer noch runter zu den Wällen. Ihr hättet den Blick sehen sollen, den die Kleine mir zugeworfen hat. Sie starrte geradewegs auf mein Gemächt. Dann sah sie mir ins Gesicht. Fast unheimlich war das schon... Sie sagte, ich wolle wohl Ritter werden, und fragte dann, was für ein Schwert ich bei mir trüge. Dabei starrte sie immer noch auf meine Hose. Selten habe ich eine Hure erlebt, die so zur Sache ging wie dieses Mädchen. Ich antwortete ihr, wenn sie Mut hätte, könne sie ja mitkommen, und ich würde ihr mein Schwert schon zeigen. Sie lachte und fragte mich, was das denn mit Mut zu tun habe. Ich ging wieder hinauf und sie folgte mir. Ich ließ mich vor dem Kamin nieder. Sie kam und schnürte meine Hose auf. Sie war ein wenig ungeschickt. Man merkte, daß sie noch nicht viel Umgang mit Männern gehabt haben konnte. Aber sie reizte mich immer weiter... Sie wollte es, und ich... ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich habe sie zu nichts gezwungen.« Der Eber starrte zu Boden. »Sie hat sich mir völlig freiwillig hingegeben. Es war... Danach habe ich mich auf die Seite gerollt und etwas gedöst. Plötzlich hatte sie den Dolch in der Hand. Sie stach zu und holte wieder aus. Ich habe sie zur Seite gestoßen, ihr die Waffe aus der Hand gedreht und...« Er blickte zu den beiden Gestalten, die auf seinem Bett lagen. »Den Rest wißt ihr. Ich habe mich nur gewehrt. Ihr habt die Wunde in meiner Brust gesehen. Sie wollte mich umbringen! Woher sollte ich wissen, daß sie das Flittchen von deinem Freund Golo war. Hörst du, Ritter? Ich habe nichts getan! Sie ist zu mir gekommen!«
Die Beteuerungen des Ebers ließen Volker kalt. Er glaubte dem Gesetzlosen kein Wort. »Ich kenne das Mädchen... Ich bin etliche Tage mit ihr durch die Berge geritten. Sie war nicht so, wie du sie beschrieben hast. Lügner! Weißt du, daß deine Männer sie vergewaltigt haben? Und du hast den Befehl dazu gegeben und zugesehen... Sie war keine Hure!«
»Das stimmt nicht... Ich erinnere mich an nichts.« Der Eber wirkte plötzlich hilflos. Er trat ein Stück zurück. Seine Stimme klang gehetzt. »Ich habe nicht gelogen.«
Volker ließ ihn nicht aus den Augen. Er rechnete jeden Moment damit, daß der Gesetzlose sein Schwert ziehen würde, um auf sie loszugehen. Wenn Belliesa ihn nicht davon überzeugt hätte, daß sie den Eber noch brauchten, dann hätte er bei diesem Possenspiel niemals mitgemacht. Bis heute morgen war er davon überzeugt gewesen, daß der Eber einen neuen Weg gehen wollte... Doch er hatte sich in dem Gesetzlosen getäuscht!
»Ich glaube ihm!« Belliesa stellte sich Volker in den Weg. »Wie gut kanntest du Mechthild denn schon! Sie war wochenlang als Waffenknecht verkleidet unter uns, und du hast es nicht bemerkt. Ich weiß, daß sie sich jede Nacht, bevor sie einschlief, geschworen hat, am Eber Rache zu nehmen. Sie wollte ihn tot sehen... Deinen Freund hat sie als Werkzeug für diese Rache benutzt. Was denkst du, warum sie schwertkämpfen wollte? Weil sie davon träumte, den Mörder ihres Vaters zu töten! Deshalb war sie mit Golo so vertraut! Sie brauchte ihn. Meinst du, daß es Zufall war, daß sie sofort nach ihrer ersten Liebesnacht zum Turm des Ebers gelaufen ist? Es scheint, als sei dein Freund auch in diesen Dingen ihr Lehrer gewesen.«
»Das glaube ich nicht!« Volker starrte fassungslos zu Golo hinüber.
»Ich denke, er hat es nicht gewußt. Er war davon überzeugt, daß sie ihn liebt. Vielleicht hat sie das auch getan... Auf ihre Art.«
Der Spielmann war überrascht vom Zynismus der Bardin, doch ihre Rede verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht.
»Ja!« ereiferte sich der Gesetzlose. »Ja, genau so war es! Die Kleine war verrückt! Friede ihrer Asche.«
Belliesa bedachte den Eber mit einem kühlen Blick. »Außer uns weiß noch niemand, was mit Mechthild geschehen ist. Ihr Tod wird deinen Namen nicht beschmutzen. Aber was nutzt das, wenn wir schon morgen alle hier auf diesem Berg sterben werden. Den nächsten Angriff Ricchars können wir nicht mehr abschlagen. Unsere Kämpfer waren tapfer, doch der Anblick der erdrückenden Übermacht hat ihre Moral gebrochen.« Die Stimme der Bardin wurde immer eindringlicher. »Wenn es einen Weg gibt, unbemerkt dieses Dorf zu verlassen, dann sage es uns! Was ist mit den Minen?«
Der Eber schüttelte den Kopf. »Ich war nur einmal dort. Es gibt viele Gänge, und ich bin nicht allen gefolgt, doch sie scheinen ausnahmslos bei der Steilwand zu enden.«
»Und der Zugang?«
»Den habe ich gut getarnt, weil...« Der Gesetzlose zögerte einen Atemzug lang. »... weil dort mein Schatz verborgen liegt. Das Gold, das ich in all den Jahren angehäuft habe. Aber was wird es mir jetzt noch nutzen?«
»Was glaubst du, was geschehen wird?« fragte die Bardin. Volker erschien sie wie eine Wölfin auf der Jagd, die ihre arglose Beute auf einen Abgrund zutrieb. Einen Ort, von dem der Tod der einzige Ausweg war. Der Eber runzelte die Brauen. Ob er ihr Spiel wohl durchschaute?
»Wenn wir es schaffen sollten zu entkommen, wird Ricchar uns weiter folgen. Er wird nicht ruhen, bis er jeden von uns gestellt hat. Es sei denn, wir fliehen weit, weit fort.«
»Richtig!« Belliesa lächelte. »Was mich betrifft, ich werde nicht gehen. Ich werde erneut versuchen, den Aufstand gegen den Ketzerfürsten zu entfachen. Volker kann zurück an den Hof seines Königs. Er ist ein Adeliger und Ritter. Ihm stehen viele Wege frei. Doch was ist mit dir? Entweder du bleibst an meiner Seite, dann wird Ricchar uns wohl eines Tages stellen, oder aber du fliehst in die Fremde. Dann fängst du noch einmal von vorne an. Du wirst allein sein, und wie du schon richtig erkannt hast, wirst du dein Gold nicht auf der Flucht mitnehmen können. Doch du bist kein junger Mann mehr...«