Bilbo stellte fest, daß seitwärts auf einem Aufsatz zwischen Pfeilern und Außenwand Lager bereitet wurden. Für ihn gab es eine kleine Strohmatratze und wollene Decken. Sehr froh krabbelte er hinein, auch wenn es Sommerzeit war. Das Feuer war niedergebrannt, und er schlief ein. Doch in der Nacht wachte er auf: Das Feuer war zu glimmender Asche zerfallen; die Zwerge und Gandalf schliefen, nach ihrem Atmen zu urteilen. Der hoch stehende Mond, der durch das Rauchloch im Dach blickte, hatte einen weißen Fleck auf den Boden gezeichnet.
Von draußen aber waren ein Brummen zu hören und ein Geräusch, als ob ein großes Tier vor der Tür scharrte. Bilbo überlegte, was das bedeuten mochte, ob es Beorn in seiner Verzauberung wäre und ob er als Bär hereinkommen und sie töten würde. Er tauchte unter seine Decken, verbarg seinen Kopf und fiel schließlich wieder in Schlaf, obgleich er sich doch so sehr fürchtete.
Es war heller Morgen, als er aufwachte. Einer von den Zwergen war in dem dunklen Winkel, in dem er lag, über ihn gestolpert und mit einem Plumps von dem Aufsatz auf den Hallenboden heruntergerollt.
Es war Bombur, und er murrte, als Bilbo seine Augen öffnete.
»Steh auf, du Faulpelz«, sagte er, »oder es bleibt nichts mehr zu frühstücken übrig für dich.«
Auf sprang Bilbo. »Frühstück«, rief er. »Wo ist das Frühstück?«
»Zum größten Teil in unserem Bauch«, antworteten die anderen Zwerge, die in der Halle umhergingen. »Aber was wir übriggelassen haben, steht draußen auf der Veranda. Wir haben uns nach Beorn umgesehen; die ganze Zeit, nachdem die Sonne aufging, aber keine Spur von ihm.
Abgesehen von dem Frühstück, das wir draußen vorfanden.«
»Wo ist Gandalf?« fragte Bilbo und sah zu, daß er möglichst rasch etwas zu essen fand.
»Oh, Fort und irgendwo draußen«, sagten sie ihm. Aber auch vom Zauberer keine Spur an diesem Tag. Kurz vor Sonnenuntergang betrat er die Halle, wo der Hobbit und die Zwerge gerade ihre Abendmahlzeit einnahmen, die ihnen, wie schon den ganzen Tag, Beorns wunderbare Tiere auftrugen. Von Beorn hatten sie seit der letzten Nacht weder etwas gesehen noch gehört, und sie waren schon sehr verwundert.
»Wo ist unser Gastgeber, und wo seid Ihr selbst den ganzen Tag geblieben?« riefen sie alle zugleich.
»Eine Frage immer hübsch nach der anderen – und das erst nach dem Abendbrot! Seit dem Frühstück habe ich keinen Bissen mehr gegessen.«
Schließlich schob Gandalf Teller und Krug von sich – er hatte zwei ganze Brotlaibe verspeist (mächtig bestrichen mit Butter, dazu Honig und dicke Sahne), und dann hatte er noch ein Viertel Met getrunken. Er holte seine Pfeife hervor. »Ich will die zweite Frage zuerst beantworten«, sagte er.
»Donnerwetter, ist dies ein herrlicher Platz für Rauchringe!« Und in der Tat – für lange Zeit konnten sie nichts anderes aus ihm herausbringen. Er war viel zu beschäftigt, Rauchringe auf steigen zu lassen, die rund um die Hallenpfeiler schwebten und die unterschiedlichsten Formen und Farben annahmen.
Zum Schluß mußten sie sich gegenseitig durch das Loch im Gebälk hinausjagen. Von draußen wird es sehr seltsam ausgesehen haben, wie ein Rauchring nach dem anderen in die Luft stieg, grüne, blaue, rote, silbergraue, gelbe, weiße, große und dünne, kleine, die durch große hindurchzogen und sich zu Achten vereinigten oder wie ein Schwarm Vögel davonstoben.
»Ich habe Bärenfährten aufgespürt«, sagte er endlich. »Es muß wohl eine richtige Bärenversammlung heut nacht hier draußen stattgefunden haben. Ich merkte bald, daß die Fährten nicht allein von Beorn herrühren konnten: Sie waren viel zu zahlreich und verschieden groß. Ich würde sagen, es waren kleine Bären, große Bären, gewöhnliche Bären und riesenhafte Bären, die da vom Beginn der Nacht bis fast zum Morgengrauen getanzt haben. Sie kamen aus nahezu allen Richtungen, ausgenommen vom Westufer des Flusses, vom Gebirge. In diese Richtung führte bloß eine einzige Fährte – und diese kam nicht, sondern führte nur von hier dorthin. Ich folgte ihr bis zum Carrock. Dort verschwand sie im Fluß, aber für mich war das Wasser zu tief und die Strömung zu stark, um hinüberzuwechseln. Es ist leicht, wie ihr euch erinnert, von hier aus durch die Furt den Carrock zu erreichen, aber auf der anderen Seite ragt er wie eine Klippe aus einem Strom voller Wirbel. Meilenweit mußte ich suchen, ehe ich eine Stelle fand, an der der Fluß breit und seicht genug war, damit ich watend und schwimmend hinüberkam. Und dann mußte ich die Meilen zurückgehen und die Fährte wieder aufnehmen. Inzwischen war es zu spät geworden, ihr lange weiter zu folgen. Sie führte geradewegs auf die Fichtenwälder an der Ostseite der Nebelberge zu, wo wir unsere hübsche kleine Zusammenkunft mit den Riesenwölfen vorletzte Nacht hatten. Und damit hoffe ich, auch eure erste Frage beantwortet zu haben«, endete Gandalf, und er saß eine Weile schweigsam da.
Bilbo glaubte, er hätte erraten, was Gandalf meinte.
»Was sollen wir machen«, rief er, »wenn er alle Wölfe und Orks herbeiholt? Wir werden gefangen und umgebracht werden! Aber Ihr sagtet doch, Beorn wäre keineswegs ihr Freund!«
So sagte ich. Seid nicht albern! Besser wär’s, Ihr würdet ins Bett gehen, denn Euer Verstand fängt an zu schnarchen.«
Bilbo fühlte sich zermalmt, und da ihm nichts anderes einfiel, ging er zu Bett. Und während die Zwerge noch sangen, schlief er ein und zerbrach sich dabei noch immer seinen kleinen Kopf Beorns wegen, bis er von Hunderten von schwarzen Bären träumte, die draußen im Hof immerzu rund und rund ihre langsamen, schwerfälligen Tänze tanzten. Dann wachte er auf, als jeder andere schlief, und er hörte das gleiche Kratzen, Schnaufen, Scharren und Brummen wie vordem.
Am nächsten Morgen wurden sie durch Beorn selbst geweckt. »So, ihr seid also noch hier«, rief er. Er hob den Hobbit auf und lachte. »Nicht von Riesenwölfen oder Orks oder bösen Bären gefressen, wie ich sehe«, und er klopfte Mister Beutlin höchst respektlos auf die Weste. »Das kleine Kaninchen ist wieder prall und fett von Milch und Honig.« Er lachte. »Komm und hol dir noch mehr!«
So gingen sie alle mit ihm zum Frühstück. Beorn war ganz verändert. Er schien allerbester Laune und brachte sie mit seinen Geschichten zum Lachen. Sie brauchten sich auch nicht lange zu wundern, wo er so lange geblieben und warum er so freundlich zu ihnen geworden war, denn er erzählte es ihnen selbst. Er war über den Fluß gegangen und geradewegs auf das Gebirge zu – woraus ihr schließen könnt, wie rasch er auf den Füßen war; jedenfalls als Bär. Die verbrannte Wolfslichtung bewies ihm, daß dieser Teil ihrer Geschichte wahr sein mußte. Aber er hatte mehr als das gefunden: Er hatte einen Riesenwolf, einen Warg, gefangen und einen Ork dazu, die durch die Wälder streiften. Von diesen erfuhr er allerlei Neuigkeiten: Die Orkpatrouillen jagten noch immer mit den Wargen hinter den Zwergen her, und sie waren schrecklich zornig über den Tod des Großen Ork und weil dem Wolfhauptmann die Nase verbrannt worden und so mancher aus seiner Garde durch das Feuer des Zauberers umgekommen war. Soviel erzählten sie Beorn, als er sie zum Reden zwang. Aber er vermutete, daß da noch mancher böse Streich vorbereitet wurde und daß ein überfall der ganzen Orkarmee und der verbündeten Wölfe zu fürchten war, ein überfall in die Länder im Schatten des Gebirges, um die Zwerge zu erwischen oder Rache an Menschen und allen Wesen zu nehmen, die sie beherbergt haben mochten.
»Eure Geschichte war eine gute Geschichte«, sagte Beorn, »aber jetzt, da ich sicher bin, daß sie wahr ist, gefällt sie mir noch einmal so gut. Ihr müßt schon entschuldigen, daß ich mich nicht auf euer Wort verlassen habe. Wenn ihr selbst am Rand des Nachtwaldes lebtet, würdet ihr keinem trauen, es sei denn, ihr kennt ihn wie euren Bruder oder noch besser als diesen. Wie die Sache steht, so kann ich euch nur sagen, daß ich, so schnell ich konnte, zurückeilte, um mich zu vergewissern, daß ihr sicher seid und euch jede Hilfe, die in meiner Macht steht, zuteil wird. Nach alldem werde ich freundlicher über Zwerge denken. Den Großen Ork erschlagen, wer das bedenkt!« Er lachte zornig in sich hinein.