So oder ähnlich sangen sie (es gab noch viel mehr Strophen), es wurde gelacht und gelärmt, die Harfe geschlagen und gefiedelt. Selbst die ältesten Großväter konnten sich an eine solche Aufregung in der Stadt nicht erinnern. Sogar die Waldelben fingen an, sich darüber zu wundern, ja, ihnen wurde angst. Natürlich wußten sie nicht, wie Thorin entkommen war, und sie dachten schon, ihr König habe einen ernsten Fehler gemacht. Und was den Meister der Stadt anbetraf, so sah er ein, daß ihm nichts übrigblieb, als dem öffentlichen Tumult zum mindesten für den Augenblick nachzugeben und so zu tun, als glaubte er an das, was dieser Thorin sagte. So ließ er ihn auf seinem eigenen hohen Stuhl sitzen und gab Kili und Fili neben ihm Ehrenplätze. Selbst Bilbo erhielt einen Sitz an der Ehrentafel. In dem großen Durcheinander erwartete man von ihm nicht einmal eine Erklärung, was er mit der ganzen Geschichte zu schaffen habe, denn in den Liedern war schließlich in gar keiner Weise von ihm die Rede.
Nicht lange, und unter erstaunlichen Begeisterungsszenen wurden auch die anderen Zwerge in die Stadt gebracht. Sie wurden verbunden und gefüttert, wurden in die Häuser auf genommen und verhätschelt, und das auf die allerentzückendste und zufriedenstellendste Weise. Thorin und seinen Gefährten überließ man ein großes Haus, gab ihnen Boote und Ruderer dazu. Die Volksmenge saß draußen und sang den ganzen Tag, falls sie nicht gerade hurra rief, wenn einer der Zwerge seine Nase zeigte.
Einige der Lieder waren alt, aber einige waren auch neuesten Ursprungs und sprachen zuversichtlich von dem plötzlichen Tod des Drachen und ganzen Schiffslasten reicher Geschenke, die den Fluß hinab zur Seestadt kommen sollten. Urheber war der Meister selber; doch diese Lieder gefielen den Zwergen nicht besonders.
Sonst hatte man sie in jeder Weise zufriedengestellt. Rasch waren sie wieder wohlgenährt und kräftig geworden, und in der Tat, in knapp einer Woche hatten sie sich völlig erholt. Sie waren mit neuen Kleidern in den eigenen richtigen Farben ausgestattet, hatten ihre Bärte sauber gekämmt und geschnitten und gingen stolzen Schrittes umher. Thorin sah aus, als ob sein Königreich bereits zurückerobert und Smaug in hübsche kleine Schnitzel zerhackt worden wäre.
Und dann wurden (wie er es vorausgesagt hatte) die Gefühle der Zwerge gegenüber Bilbo Beutlin von Tag zu Tag warmherziger. Es wurde nicht mehr gestöhnt und gemurrt. Die Zwerge tranken auf seine Gesundheit, sie klopften ihm auf den Rücken und machten allerhand Theater mit ihm. Bilbo indessen blieb es gleich, denn er fühlte sich nicht in gehobener Stimmung. Er hatte weder den Anblick des Berges vergessen noch den Gedanken an den Drachen, und außerdem war er schwer erkältet. Drei Tage lang nieste und hustete er. Er konnte überhaupt nicht vor die Tür gehen, und selbst später noch waren seine Ansprachen bei Festlichkeiten beschränkt auf ein: »Hersnichen Dang, beine Herrn!«
Längst waren die Elben mit ihrer Fracht den Nachtwaldfluß hinauf zurückgekehrt. Im Königspalast herrschte große Aufregung. Ich habe leider nie gehört, was mit dem Kellermeister und dem Befehlshaber der Wache geschehen ist. Natürlich war während des Aufenthalts der Zwerge in der Seestadt kein Wort über Schlüssel oder Fässer gesagt worden, und Bilbo achtete peinlich darauf, daß er niemals unsichtbar wurde. Jedoch hatte man mehr erraten, als man wußte, wenn auch Mister Beutlin immer geheimnisumwittert blieb. Wie dem auch sei, der König wußte jetzt Ziel und Absicht der Zwerge, oder vielmehr, er glaubte, er wüßte es. Und zu sich selbst sagte er: Schön, wir werden sehen! Kein Schatz kommt durch den Nachtwald zurück, ohne daß wir auch ein Wort mitreden. Aber ich bin sicher, daß sie ein schlechtes Ende nehmen, und das geschieht ihnen recht. Er glaubte auf keinen Fall, daß Zwerge offen kämpfen und einen Drachen wie Smaug umbringen könnten. Er hatte den starken Verdacht, daß sie irgendeine Dieberei oder etwas Ähnliches vorhatten – und das zeigt, daß er ein gescheiter Elb war, gescheiter als die Menschen der Stadt. Und dennoch, wie wir am Ende sehen, hatte er nicht ganz recht. Er sandte seine Späher aus bis zum Gestade des Sees und so weit nordwärts zum Berge zu, als seine Elben nur zu gehen wagten – und wartete.
Als zwei Wochen vergangen waren, begann Thorin, an den Aufbruch zu denken. Da in der Stadt noch immer helle Begeisterung herrschte, war die Zeit günstig, Hilfe zu erhalten. Es wäre nicht gut gewesen, länger zu warten. So sprach er mit dem Meister und den Stadtvätern und sagte, daß er und seine Gefährten aufbrechen und zum Berg weiterziehen müßten.
Zum ersten Male war der Meister wirklich überrascht und sogar ein wenig beunruhigt. Er fragte sich, ob Thorin am Ende nicht doch ein Abkömmling der alten Könige sein könnte. Nie hatte er es für möglich gehalten, daß die Zwerge sich wirklich dem Drachen Smaug nähern würden. Er hatte vielmehr geglaubt, es seien Betrüger, die früher oder später entlarvt würden. Aber er hatte sich geirrt.
Thorin war der wirkliche Neffe des Königs unter dem Berg, und keiner kann abschätzen, was ein Zwerg nicht alles aufs Spiel setzt, wenn er Rache nehmen und sein Eigentum zurückgewinnen will.
Dem Meister tat es nicht leid, daß er sie ziehen lassen sollte. Es war kostspielig, sie wochenlang zu bewirten, denn ihr Aufenthalt hatte jeden Tag zu einem Feiertag gemacht. Alle Geschäfte lagen brach.
Laß sie ziehen und den alten Smaug behelligen, dann sehen wir ja, was für ein Willkommen ihnen blüht, dachte er. Laut sagte er jedoch: »Ganz bestimmt, o Thorin, Sohn von Thrain, Sohn von Thror!
Ihr müßt Euer Eigentum zurückfordern. Die Stunde ist da, wie es vor Zeiten prophezeit wurde. Was wir Euch an Hilfe geben können, soll Euer sein. Wir vertrauen auf Eure Großmut, wenn ihr Euer Reich wiedergewonnen habt.«
So verließen eines Tages, obgleich es schon tief im Herbst war, die Winde kalt wehten und überall die Blätter fielen, drei große Boote die Seestadt. Sie führten Ruderer, Zwerge, Mister Beutlin und viel Verpflegung an Bord. Pferde und Ponys waren auf Umwegen vorausgeschickt worden, um sie an ihrem Landeplatz zu erwarten. Meister und Magistrat sagten ihnen auf den breiten Stufen der Stadthalle, die hinunter bis zum See führten, Lebewohl. Auf den Kais und aus den Fenstern sang überall das Volk. Die weißen Ruder tauchten ins aufspritzende Wasser, und fort zogen sie nordwärts den See hinauf. Der letzte Abschnitt ihrer langen Reise brach an. Das einzige ganz und gar unglückliche Wesen war Bilbo.
11
Auf der Türschwelle
Zwei Tage ruderten sie über den Langen See, bogen in das Eilige Wasser ein, und jetzt konnten sie vor sich den Einsamen Berg hoch und grimmig aufragen sehen. Die Strömung war stark, und die Fahrt ging langsam. Am Ende des dritten Tages legten sie am linken, westlichen Ufer an und schifften sich aus. Hier trafen sie ihre Pferde, die weitere Verpflegung und Ausrüstung geschleppt hatten, und die Ponys, die zu ihrem eigenen Gebrauch bestimmt waren. Sie packten, was sie konnten, auf die Ponys und ließen den Rest als Reserve unter einem Zelt. Aber keiner der Leute aus der Stadt wollte auch nur eine einzige Nacht bei ihnen bleiben, denn der Schatten des Berges war nah.
»Nie und nimmer, ehe nicht die Lieder wahr geworden sind«, flüsterten sie.
In diesen wilden Gegenden war es leichter, an den Drachen zu glauben als an Thorin. Im übrigen hatten ihre Vorräte gar keine Wache nötig, denn das ganze Land war leer und verlassen. Ihre Begleitung sagte also Lebewohl und machte sich rasch auf dem Fluß und den Uferwegen davon, obgleich die Dunkelheit schon heraufgekommen war.