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Der Herr marschierte auf sie zu und stellte sich vor. „Doktor Hornbostel“, schnarrte er zackig. „Das Geld habe ich bei mir.“ Sie schüttelten einander die Hände.

„Nun, wie steht’s?“ fragte der Professor. „Wo steckt mein Gehilfe?“

„Ist ja Unsinn“, erklärte Doktor Hornbostel. „Gibt’s gar nicht, den Kerl. Bin schließlich nicht blind. Hätte Lust, die Wette zu verdoppeln. Hundert Mark?“

Der Professor nickte. „Hundert Mark. Ganz wie Sie wünschen.“ Er klopfte ihm auf die Brust. „Die Brieftasche ist ja dick genug. Ich spüre sie durchs Jackett hindurch.“ Dann prüfte er den Stoff zwischen den Fingern, öffnete Doktor Hornbostels mittleren Jackettknopf und sagte: „Prima Kammgarn, kein Gramm Zellwolle, keine Knitterfalten, erstklassiger Sitz, teurer Schneider.“

„Stimmt“, bemerkte der Doktor stolz und drehte sich um die eigne Achse.

„Fabelhaft!“ meinte der Jokus. „Moment, bitte! Hier hängt ein weißes Fädchen.“ Er zupfte den Faden fort und strich das Jackett sorgfältig glatt.

Da hüstelte der dicke Herr Mager und sagte ein bißchen ungehalten: „Das ist ja alles schön und gut, Professor. Prima Kammgarn, teurer Schneider und so. Aber wann wird nun eigentlich gestohlen?“

„In zwei Minuten fangen wir an, verehrter Herr Mager. Keine Sekunde später. Schauen Sie bitte zur Kontrolle auf Ihre Armbanduhr!“

Der dicke Herr Mager blickte auf die Uhr und machte ein verblüfftes Gesicht. „Sie ist weg“, erklärte er.

Der Jokus half ihm beim Suchen. Aber die Uhr fand sich in keiner Tasche und nicht am anderen Handgelenk. Sie lag auch nicht am Boden. „Das ist ja sehr, sehr merkwürdig“, meinte der Zauberkünstler gedehnt. „Wir zwei wollten Sie zwei erst in zwei Minuten ausrauben, und schon ist eine Uhr verschwunden!“

Jetzt faßte er den anderen Herrn ins Auge: „Herr Doktor Hornbostel“, sagte er mißtrauisch, „ich möchte Sie nicht verdächtigen, das ist ja selbstverständlich, aber - haben vielleicht Sie, aus Versehen, Herrn Magers Armbanduhr an sich genommen?“

„Dummes Zeug!“ rief Doktor Hornbostel empört. „Stehle weder aus Versehen noch zum Spaß! Angesehener Rechtsanwalt wie ich kann sich das gar nicht leisten!“

Die Zuschauer lachten herzlich.

Der Jokus blieb ernst. „Darf ich einmal nachsehen?“ fragte er höflich. „Es ist eine reine Formsache.“

„Meinetwegen!“ schnarrte Rechtsanwalt Doktor Hornbostel und streckte beide Arme in die Luft.

Er sah aus wie bei einem Gangsterüberfall.

Der Jokus durchsuchte geschwind sämtliche Taschen. Plötzlich stutzte er. Dann zog er etwas heraus und hielt es hoch: eine Armbanduhr!

„Das ist sie!“ rief der dicke Herr Mager, sprang danach wie ein Mops nach der Wurst, band sie sich wieder ums Gelenk und sagte mit einem schiefen Blick zu Hornbosteclass="underline" „Na, hören Sie mal, Doktor! Das ist ja allerhand!“

„Schwöre Ihnen, daß ich’s nicht war!“ erklärte der Rechtsanwalt gekränkt. „Habe eigne Uhr!“ Er streckte das Handgelenk weit aus der Manschette, machte ein dummes Gesicht und rief: „Sie ist weg!“

Das Publikum lachte und klatschte heftig.

„Goldne Uhr! Läuft auf acht Rubinen! Echt Schweizer Fabrikat!“

Der Jokus drohte Herrn Mager lächelnd mit dem Finger und durchsuchte nun dessen sämtliche Taschen. Schließlich holte er ihm eine goldne Uhr aus der rechten Innentasche.

„Das ist sie!“ rief Hornbostel. „Das ist sie! Her damit!“ Der Jokus half ihm beim Umbinden der goldnen Uhr, die auf acht Steinen lief, und sagte zwinkernd zum Publikum: „Da habe ich mir ja zwei feine Herren angelacht.“

Dann wendete er sich an die zwei feinen Herren selber. „Ärgern Sie sich nicht über einander! Vertragen Sie sich wieder! Reichen Sie sich die Hand zur Versöhnung! So ist’s recht. Danke sehr.“ Er blickte auf die eigne Uhr. „In einer Minute gehe ich mit meinem Lehrling an die Arbeit. Wir werden Sie ausräubern, daß Ihnen angst und bange wird. Aber vielleicht geben wir Ihnen später einige der Wertsachen zurück. Unrecht Gut gedeiht bekanntlich nicht.“

„Sie mit Ihrem Zauberlehrling, den’s nicht gibt!“ rief Doktor Hornbostel. „Freue mich schon auf Ihre hundert Mark!“

„Immer hübsch eins nach dem andern, Herr Doktor“, erklärte der Jokus. „In einer Minute beginnt die Plünderung. Schauen Sie bitte beide auf die Uhr! Es ist sieben Minuten nach neun. Vergleichen Sie die Uhrzeit!“

Hornbostel und der dicke Herr Mager wollten also auf ihre Uhren blicken und riefen gleichzeitig: „Wieder weg! Beide Uhren!“ Tatsächlich, alle zwei Uhren waren verschwunden!

Die Zuschauer waren begeistert.

Da hob der Jokus einen Arm hoch und wollte um Ruhe bitten. Doch in diesem Moment rief ein kleines Mädchen: „Guck mal, Mutti! Der Zauberer hat drei Uhren umgebunden!“

Alle starrten den Professor an. Sogar er selber betrachtete sein Handgelenk und tat verwundert. Drei Armbanduhren glänzten an seinem linken Handgelenk! Die Leute lachten und johlten und klatschten und trampelten vor Wonne mit den Füßen.

Nachdem sich der Jubel gelegt hatte, gab der Jokus höflich die zwei Uhren zurück und sagte: „So, meine Damen und Herren, jetzt wollte ich eigentlich noch einen dritten Zuschauer aus Ihrer Mitte zu mir bitten. Sozusagen als Aufpasser. Doch das Aufpassen hätte außerdem nicht viel genützt. Wissen Sie warum?“

„Weil Sie trotzdem wie eine Elster geklaut hätten!“ rief eine spindeldürre Frau lachend.

„Irrtum!“ erwiderte der Jokus. „Er hätte deshalb nicht aufpassen können, weil es nichts mehr zu stehlen gibt. Ich habe nämlich schon alles.“

Er klopfte sich auf die Taschen und winkte zwei livrierten Angestellten.

Sie brachten einen Tisch herbei und setzten ihn vor dem Professor nieder.

„So“, sagte er zu den Herren Hornbostel und Mager. „Jetzt spielen wir Weihnachten. Sie drehen sich um, damit Sie mir nicht zusehen können. Und ich lege die Geschenke auf den Gabentisch. Es wird eine schöne Bescherung werden, das verspreche ich Ihnen. Neue Geschenke kriegen Sie allerdings nicht. Es gibt nur ein paar praktische Dinge, die Ihnen längst gehören. Ich beschere Ihnen nicht, was Sie sich wünschen, sondern was Sie sich zurückwünschen.“

„Schade“, meinte der dicke Herr Mager. „Ich hätte gern eine neue Schreibmaschine gehabt.“

Der Professor schüttelte den Kopf. „Tut mir leid“, sagte er. „Damit wollen wir gar nicht erst anfangen. Sonst wünscht sich Doktor Hornbostel womöglich einen Bechsteinflügel oder eine Wurlitzer Orgel. Nein, Sie drehen sich jetzt brav um und machen die Augen fest zu!“

Die beiden Männer wollten keine Spielverderber sein. Sie kehrten dem Tisch den Rücken und kniffen die Augen zu. Der Professor überzeugte sich persönlich, daß keiner von ihnen zu blinzeln versuchte.

Dann ging er zum Tisch zurück und fing an, seine Taschen umzuwenden und auszuleeren. Es nahm kein Ende, und dem Publikum blieb minutenlang die Luft weg. Das Orchester spielte währenddem ein altes, halbvergessenes Konzertstück. Es hatte den Titel ,Heinzelmännchens Wachtparade‘ und eignete sich schon deshalb vorzüglich.

Nun, ihr erinnert euch ja, wie der Jokus, seinerzeit in Berlin, den Hoteldirektor Hinkeldey ausgeraubt hatte, und so werdet ihr euch bei weitem nicht so wundern wie die zweitausend Menschen im Zirkus. Sie machten „Ah“ und „Oh“ und riefen „Das ist ja toll!“ und „Nun schlägt’s dreizehn!“, und einer schrie sogar: „Ich werde verrückt!“

Das einfachste wird sein, ich zähle die Gegenstände, die er auspackte, in einer Liste auf. Also, er holte aus seinen Taschen:

1 Notizbuch, rotes Leder 1 Kalender, blaues Leinen 1 Drehbleistift, Silber 1 Kugelschreiber, schwarz 1 Füllfederhalter, schwarz 1 Brieftasche, Schlangenleder 1 Scheckbuch, Commerzbank, blau 1 Portemonnaie, braun, Juchtenleder 1 Schlüsselbund 1 Autoschlüssel 1 Tüte Hustenbonbons 1 Krawattennadel, Gold mit Perle 1 Hornbrille mit Futteral, Wildleder, grau 1 Reisepaß, deutsch 1 Taschentuch, sauber, weiß 1 Zigarettenetui, Silber oder Nickel 1 Zigarettenpackung, Filter 1 Kohlenrechnung, noch nicht bezahlt 1 Feuerzeug, emailliert 1 Schachtel Streichhölzer, halbvoll 1 Paar Manschettenknöpfe, Mondsteine 1 Trauring, mattgold 1 Ring, Platinfassung, Lapislazuli 7 Münzen, Gesamtwert 8 Mark zehn