Das Publikum jubilierte, und die zwei Herren mit den zugekniffenen Augen zuckten bei jedem Jubelschrei und jeder Lachsalve zusammen, als erhielten sie elektrische Schläge. Sie fingerten immer aufgeregter an und in sämtlichen Taschen herum und konnten es kaum noch aushalten. Denn alle ihre Taschen waren so leer wie die Wüste Gobi.
Endlich trat der Professor zwischen sie, legte seine Hände auf ihre Schultern und sagte onkelhaft: „Liebe Kinder, es ist beschert!“
Da drehten sie sich auch schon um, stürzten auf den Tisch los, fielen über ihr Eigentum her und stopften es, unterm Gelächter und Applaus der zweitausend, hastig in ihre Hosen und Jacketts.
Weil das Publikum mit Lachen nicht aufhören wollte, hob der Jokus schließlich die Hand, und nun wurde es still. Auch die Kapelle brach ab. „Ich freue mich, daß Sie lachen“, sagte er. „Doch hoffentlich handelt sich’s nicht um Schadenfreude. Bedenken Sie bitte, daß mein kleiner Gehilfe und ich jeden von Ihnen ganz genauso bestehlen könnten wie die zwei netten Herren an meiner Seite.“
„Kleiner Gehilfe!“ meinte Herr Hornbostel spöttisch. „Wenn ich das schon höre! Vergessen Sie nicht, daß wir gewettet haben!“
„Darüber sprechen wir noch“, antwortete der Professor. „Jedenfalls danke ich Ihnen beiden für Ihre tatkräftige Unterstützung.“ Er schüttelte ihnen die Hand, klopfte ihnen auf die Schultern und sagte: „Auf Wiedersehen, und alles Gute auf Ihrem ferneren Lebensweg!“
Die zwei wendeten sich zum Gehen. Doch schon nach dem zweiten Schritt stolperte Doktor Hornbostel und blickte erstaunt auf seine Füße. Er hatte einen Halbschuh verloren und bückte sich, um ihn aufzuheben. Der Jokus kam ihm zu Hilfe und fragte freundlich: „Haben Sie sich weh getan?“
„Nein“, knurrte der Doktor und musterte den Schuh in seiner Hand, „aber der Schnürsenkel ist nicht mehr da.“ Er beugte sich über den Schuh, den er noch am Fuß hatte. „Der andre Schnürsenkel auch nicht!“
„Passiert Ihnen das häufig?“ fragte der Jokus teilnahmsvoll. „Gehen Sie oft ohne Schnürsenkel aus?“
Die Leute begannen wieder zu kichern.
„Ist ja Unsinn“, schnarrte Hornbostel. „Bin doch nicht plemplem!“
„Glücklicherweise kann ich Ihnen aushelfen“, sagte der Jokus. „Ich habe immer Reserveschnürsenkel bei mir.“ Er fischte ein Paar Schnürsenkel aus der Tasche. „Bitte sehr.“
„Nützen mir leider nichts. Brauche keine braunen, sondern schwarze.“
„Hab ich auch“, meinte der Jokus und griff in eine andre Tasche. „Hier bitte. Was ist los? Sind sie Ihnen nicht schwarz genug? Schwärzere hab ich nicht.“
„Sie Obergauner!“ rief Doktor Hornbostel. „Sind ja meine eignen!“
„Immer noch besser als gar keine“, erklärte der Professor. „Und was mach ich mit den braunen? Vielleicht hat der Herr Mager dafür Verwendung?“
„Ich?“ fragte dieser. „Wozu? Ich trage zwar braune Schuhe, aber ...“ Er schielte vorsichtshalber an seinem Bauch vorbei zu seinen braunen Schuhen, Größe 48, hinunter und zuckte zusammen. „Hallo, hallo!“ rief er amüsiert. „Meine Schnürsenkel sind auch weg! Nun geben Sie die Dinger schon her! Sonst kippe ich auf dem Nachhauseweg aus den Pantinen! Danke vielmals, Meister Langfinger! Warum werden Sie nicht Taschendieb? In einem Monat wären Sie Millionär.“
„Aber ich könnte nachts nicht ruhig schlafen“, erwiderte der Professor. „Schlaf ist sehr wichtig.“
„Da bin ich anders“, erklärte der Dicke gemütlich. „Ich könnte überhaupt erst ruhig schlafen, wenn ich die Million hätte!“
Bevor er in der Beschreibung seiner schwarzen Seele fortfahren konnte, wurde er von dem kleinen fixen Mädchen unterbrochen, das wir schon kennen. „Guck mal, Mutti“, rief das Kind zapplig, „der andre Mann hat plötzlich keinen Schlips um!“ Zweitausend Menschen starrten Herrn Rechtsanwalt Doktor Hornbostel an, der mit der Hand ruckartig an seinen Hemdkragen griff. Tatsächlich, die schöne Krawatte aus Foulardseide war verschwunden! Und weil der ganze Zirkus lachte, wurde Hornbostel unwirsch. „Genug gescherzt!“ sagte er düster. „Ersuche dringend um Rückgabe meiner Krawatte!“
„Sie steckt in Ihrer linken Brusttasche, sehr geehrter Herr Doktor“, meinte der Jokus. Dann gab er beiden die Hand und bedankte sich herzlich für ihre Mitwirkung.
„Gern geschehen“, antwortete der dicke Herr Mager. „Aber lassen Sie meine Hand los, ja? Sonst klauen Sie mir die auch noch!“ Er stapfte seinem Platz zu und machte behutsame Schritte, damit er die Schuhe nicht verlöre. Auf halbem Wege blieb er unvermittelt stehen und sagte: „Wieso rutschen eigentlich meine Hosen?“ Er schlug das Jackett zurück und rief entsetzt: „Meine Hosenträger! Wo sind meine Hosenträger?“ „Nanu!“ sagte der Jokus. „Sollte ich versehentlich .?“ Er befühlte seine Taschen und stutzte. „Hier scheint etwas ... Einen Moment, lieber Herr Mager, ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß ich . Andrerseits . bei meiner Zerstreutheit . “ Und schon hielt er ein Paar Hosenträger hoch. „Da sind sie ja!“
Das Publikum bog sich. Und als der Doktor Hornbostel, der sich seine Seidenkrawatte umband, nervös das Jackett aufschlug und seine Hosenträger suchte, lachten die Leute noch viel mehr. Aber er hatte sie noch, atmete auf und wischte sich die Stirn. Er schwitzte vor Angst. Dann hob er den Schuh auf, aus dem er herausgekippt war, und humpelte zu seinem Platz in der ersten Reihe.
Die Kapelle spielte einen Tusch. Die Trompeter bliesen vor Lachen falsch. Der dicke Herr Mager nahm seine Hosenträger in Empfang. Und der Professor Jokus von Pokus verneigte sich elegant. „Der Kleine Mann und meine eigne Wenigkeit“, sagte er lächelnd, „bedanken sich beim Publikum für die geradezu vorbildliche Aufmerksamkeit.“
Da klatschten alle und schrien „Bravo!“ und „Wundervoll!“ und „Großartig!“
Doktor Hornbostel aber sprang, kaum daß er saß, wieder in die Höhe, gestikulierte wild und rief: „Was wird aus der Wette? Sie schulden mir hundert Mark!“
Der Professor gab dem Herrn Direktor Brausewetter, der strahlend am Manegenrand stand, ein Zeichen. Der Direktor gab das Zeichen weiter. Und langsam stieg das Rundgitter aus der Versenkung empor, das sonst nur während der Raubtierdressuren die Manege vom Publikum trennte.
„Ich zeige Ihnen jetzt meinen Zauberlehrling, den Kleinen Mann! Sie können sich überzeugen, daß es ihn gibt! Das Gitter soll nur verhüten, daß Sie ihn und mich vor lauter Verwunderung zerquetschen.“
Dann wandte sich der Professor an Herrn Hornbosteclass="underline" „Damit haben Sie die Wette verloren! Den Hundertmarkschein brauchen Sie mir nicht zu überreichen. Ich habe ihn mir schon aus Ihrer Brieftasche herausgenommen! Zählen Sie bitte nach!“
Doktor Hornbostel zählte sein Geld, flüsterte: „Tatsächlich!“ und sank auf seinen Stuhl.
Der Jokus holte Mäxchen aus der Brusttasche, hielt ihn hoch und rief: „Darf ich Sie mit dem Kleinen Mann bekannt machen? Hier ist er!“
Die Zuschauer sprangen auf, polterten die Stufen hinunter, stießen sich, quetschten einander und preßten die Gesichter ans Gitter. „Da ist er ja!“ riefen sie. „Ich seh ihn nicht!“
„Doch, doch!“
„Wo denn bloß?“
„Auf dem Handteller des Professors!“
„Oje, ist der klein! Wie ein Streichholz!“
„Man hält’s doch nicht für möglich!“
Der Kleine Mann lachte und winkte ihnen zu.