Выбрать главу

Da schrien die beiden Männer auf. Halb lachend und halb vor Wut. Sie machten Gesichter, als werde sie gleich der Schlag treffen. „Das geht zu weit!“ brüllte der Direktor.

Und der Reiter ballte die Fäuste. „Schnürsenkel kann er aufziehen! Das konnten wir schon als Dreijährige!“

Der Direktor schnaufte wie ein Walroß. „Ich werde verrückt“, ächzte er. „Schnürsenkel kann er aufziehen! Der Knabe ist ein Genie!“

„Und Hosenträger kann ich aufzwicken“, flüsterte Mäxchen mit Tränen in der Stimme.

„Nun ist aber Schluß!“ donnerte der Direktor. „Das ist der Gipfel der Unverschämtheit!“

„Und Krawattenknoten kann ich aufknüpfen“, fuhr Mäx-chen leise und kläglich fort.

Da sprang der Kunstreiter auf ihn los, packte ihn am Kragen und schüttelte ihn hin und her.

Der Direktor erhob sich stöhnend. „Versohlen Sie ihm den Hintern!“ meinte er. „Und werfen Sie ihn vors Portal!“

„Mit dem größten Vergnügen“, antwortete der Reitersmann und legte den Jungen kunstgerecht übers Knie. „Schade, daß ich meine neue Peitsche nicht bei mir habe“, bemerkte er noch. Dann schlug er zu.

„Hilfe!“ schrie Mäxchen, und der Schrei gellte bis zur Kuppel hinauf. „Hilfeeeee!“

In diesem Moment kam der Professor Jokus von Pokus aus der Stallgasse ins Zelt und fragte: „Wer brüllt denn so erbärmlich?“

„Ich bin’s, lieber Jokus!“ rief der Junge. „Bitte, bitte, hilf mir! Die zwei erkennen mich nicht!“ Er riß sich los, lief auf den Professor zu und wiederholte außer sich: „Sie erkennen mich nicht!“

„Nur ruhig Blut“, mahnte der Professor. Dann betrachtete er den Jungen und fragte: „Sie erkennen dich nicht?“

„Nein, lieber Jokus!“

„Wer bist du denn?“ fragte der Professor behutsam. „Ich erkenne dich nämlich auch nicht.“

Dem Jungen wurde zumute, als öffne sich die Erde unter seinen Füßen. Ihm wurde schwindlig. Alles drehte sich im Kreise. „Der Jokus erkennt mich nicht“, flüsterte er. „Nicht einmal der Jokus erkennt mich.“ Tränen rannen ihm über die Backen.

Es war ganz still geworden. Sogar der Direktor und der Traberewski hielten den Mund.

„Woher sollten wir uns denn kennen?“ fragte der Professor ratlos.

„Aber ich bin doch dein Mäxchen“, schluchzte der Junge. Er schlug verzweifelt beide Hände vors Gesicht. „Ich bin doch Mäxchen Pichelsteiner!“

„Nein! Du lügst!“ rief da eine helle Knabenstimme. „Mäxchen Pichelsteiner, das bin ich!“

Der große Junge ließ die Hände sinken und starrte entgeistert auf die Brusttasche des Professors. Aus der Tasche lugte der Kleine Mann hervor und fuchtelte wütend mit den Armen. „Bring mich bitte fort von ihm! Ich mag Lügner nicht!“ „Lieber Jokus!“ rief der große Junge. „Bleib hier! Bleib bei mir! Ich hab doch nur dich auf der Welt!“

„Aber Mäxchen“, sagte der Professor. „Warum weinst du denn so schrecklich? Ich bin ja bei dir, und ich bleibe ja bei dir! Hast du schlecht geträumt?“

Mäxchen schlug die Augen auf. Noch hingen ihm Tränen zwischen den Wimpern. Doch er sah das besorgte Gesicht des Jokus über sich. Er roch den Duft der Maiglöckchen und wußte, daß er im Blumentopf saß. Auf dem Balkon des Hotelzimmers. Er hatte nur geträumt, und alles war wieder gut.

DAS DREIZEHNTE KAPITEL

Es war nur ein Traum / Ein Gespräch vorm Einschlafen / Vom Erfinder des Reißverschlusses / Was ist ,viel‘? /Mäxchen ist noch gar nicht müde / Tolle Burschen und dicke Freunde.

„Es war wirklich nur ein Traum?“ Der Kleine Mann seufzte erleichtert. Ihm fiel ein Kieselstein vom Herzen. „Oh, lieber Jokus, ein Glück, daß du mich endlich wiedererkennst!“

„Ich habe dich nicht wiedererkannt? Na hör mal!“

„Weil ich zu groß war“, berichtete Mäxchen. „So groß wie die anderen Jungen in meinem Alter. Und außerdem steckte ich, so klein wie jetzt und sonst, noch einmal in deiner Brusttasche!“

„Ein Mäxchen und ein Max gleichzeitig? Donnerwetter! Womöglich auch noch ein Moritz und ein Moritzchen?“

Der Kleine Mann mußte lachen. Es tat zwar noch ein bißchen weh in der Kehle. Aber er würde schon wieder fröhlich werden, das fühlte er. „Nimm mich bitte in die Hand“, sagte er. „Da spür ich besser, daß du mich beschützt.“

„Außerdem wird es auf dem Balkon zu kalt“, meinte der Jokus und hob ihn aus dem Blumentopf. „Jetzt badest du in der Seifenschale. Hinterher legst du dich in die Streichholzschachtel. Und dann erzählst du mir vorm Einschlafen, was du geträumt hast.“

„Alles? Ganz ausführlich?“

„Jawohl. Lang und breit und kurz und klein. Träume haben es hinter den Ohren.“ Plötzlich erschrak der Jokus. „Hast du Hunger? Oder hast du im Traum Kalbskeulen und heiße Würstchen gegessen?“

„Nein“, sagte Mäxchen, „es war ein Traum ganz ohne Essen. Aber ich bin trotzdem satt.“

Als die Nachttischlampe brannte, erzählte Mäxchen seinen Traum. Lang und breit und kurz und klein. Von der gemütlichen Frau Holzer und ihrem Niesen. Vom Professor Wachs-muth, der ein echter Zauberer gewesen war und ihn erst in einen Riesen und dann in einen Schuljungen verwandelt hatte. Von dem Ärger mit dem strohblonden Flegel erzählte er auch. Und von den Litfaßsäulen mit den vielen dummen Plakaten. Dann vom Zirkus mit dem Direktor Brausepulver und dem Kunstreiter Traberewski. Und endlich von dem mörderischen Schreck, wie der Jokus dazugekommen war mit dem Kleinen Mann im Jackett und ihn, das eigentliche Mäxchen, nicht wiedererkannt hatte.

Der Jokus schwieg ziemlich lange. Dann räusperte er sich und sagte: „Da haben wir’s. Der Traum hat es verraten. Du wolltest lieber ein normaler Junge sein statt des Kleinen Mannes, der du bist.“

Mäxchen nickte bekümmert. „Immer schon. Ja. Ich habe es nur niemandem erzählt. Nicht einmal dir. Obwohl ich dir sonst alles sage.“

„Und plötzlich wurde dir, als du groß warst, angst und bange.“

„Genauso war’s“, meinte Mäxchen kleinlaut. „Du hast ja einmal gesagt, man muß etwas sein und etwas können. Und nun war ich nichts und konnte nichts. Als ich dem Direktor und dem Traberewski erzählte, ich könne Schnürsenkel aufziehen, wollten sie sich totlachen.“

„Weil du groß warst! Da kann es jeder. Und es sieht auch jeder. Nur wenn es der Kleine Mann macht, sieht es keiner. Das kannst bloß du und sonst niemand.“

„Viel ist das nicht“, sagte Mäxchen.

„Nein“, meinte der Jokus. „Viel ist es nicht. Das stimmt. Doch es ist besser als gar nichts. Denn wer auf der Welt kann viel? Da sitzt, wie es tatsächlich passiert ist, ein Mann jahrelang im Gefängnis und erfindet den Reißverschluß. Heute gibt es so ein Ding an jedem Koffer und an jedem zweiten Kleid. Der Mann hat den Reißverschluß erfunden. Ist das -viel?“

Mäxchen hörte aufmerksam zu.

„Oder es läuft jemand hundert Meter um eine Zehntelsekunde schneller als alle anderen Sprinter sämtlicher Erdteile“, sagte der Jokus, „und die Menschheit wirft vor Begeisterung die Hüte ins Stadion. Also, ich behalte meinen Hut auf dem Kopf. Ein neuer Rekord wurde aufgestellt? Schön und gut. Auch ich freue mich und klatsche in die Hände. Aber ist es -viel?“

„Es ist vielleicht nicht viel“, meinte der Kleine Mann. „Aber was ist denn mehr? Was ist denn überhaupt - viel?“

„Einen Krieg verhindern“, erwiderte der Jokus. „Eine Hungersnot beseitigen. Eine Krankheit heilen, die für unheilbar gehalten wurde.“

„Das können wir beide nicht“, sagte Mäxchen.

Der Jokus nickte. „Das können wir beide nicht. Schade. Mit unseren Künsten ist es nicht weit her. Wir können nur zweierlei. Wir bringen die Leute zum Staunen und zum Lachen. Wir haben keine Ursache, größenwahnsinnig zu werden. Trotzdem werden sich morgen die Zeitungen unsertwegen vor Begeisterung überkugeln.“