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„Ein gefährliches Kind“, stellte der Direktor fest und begann zu schwitzen.

„Jedenfalls keine üble Idee“, sagte der Jokus. „Doch nun zur Hauptsache, Jungchen! Du und ich, wir sind jetzt Kompagnons, und deine Meinung ist ab heute so wichtig wie meine eigne.“

„Fein!“ rief der Kleine Mann und rieb sich vor Wonne die Hände.

„Was wollen wir tun? Wollen wir bei Direktor Brausewetter bleiben? Oder wollen wir für die fünffache Summe zu einem anderen Zirkus oder in ein so berühmtes Variete wie das ,Lido‘ in Paris gehen? Überlege dir’s gründlich, bevor du antwortest! An unserer Entscheidung hängt sehr, sehr viel Geld.“

Mäxchen furchte die Stirn. „Weißt du schon, was du selber möchtest?“

„Ich weiß es.“

„Ich glaube, ich weiß es auch“, erklärte der Kleine Mann. „Ich möchte, daß wir bei Herrn Brausewetter bleiben. Er hat damals meine Eltern engagiert und war immer gut zu mir. Wie ein Onkel.“

„Bravo“, sagte der Jokus. „Wir sind uns also einig.“ Er wandte sich an den Zirkusdirektor. „Unser Beschluß ist einstimmig. Wir bleiben Ihnen erhalten.“

„Oh“, murmelte Brausewetter. „Das nenne ich nobel.“ Er fuhr sich gerührt über die Augen.

„Die Einzelheiten besprechen wir am Nachmittag“, meinte der Jokus lächelnd. „Das Geschäftliche ist für meinen Partner und mich zwar nicht die Hauptsache, wie Sie gemerkt haben .“

„Aber?“ fragte Mäxchen neugierig.

„. aber die wichtigste Nebensache“, fuhr der Seniorpartner fort.

Der Direktor verbeugte sich knapp. „Selbstverständlich, Herr Professor! Selbstverständlich! Immerhin darf ich jetzt der Presse und dem Rundfunk mitteilen, daß Sie bei mir bleiben?“

Der Jokus nickte. „Tun Sie das, mein Bester.“

Und schon sprang Brausewetter hoch. „Dann will ich mich beeilen!“ Er angelte den Zylinder unterm Stuhl hervor und setzte ihn vor lauter Übermut schief auf den Kopf. Doch der Zylinder wackelte wie verrückt hin und her. „Was soll das denn heißen?“ fragte er verdutzt und nahm den Zylinder schnell wieder ab.

Da hüpfte mit einem Riesensatz das weiße Kaninchen heraus! Es war zu Tode erschrocken und hoppelte eiligst ins Zimmer und ins Körbchen.

„Sie!“ Der Jokus drohte Herrn Brausewetter mit dem Finger. „Das ist unlauterer Wettbewerb! Alba hat in fremden Zylindern nichts zu suchen!“

Der Direktor lachte und drohte gleichfalls. „Erzählen Sie das nicht mir, sondern Ihrem Kaninchen!“ Und schon lief er, so schnell er seinen Bauch tragen konnte, aus dem Zimmer und aus dem Hotel, um den Redaktionen, dem Funk und den Agenturen brühwarm zu berichten, welches Glück dem Zirkus Stilke widerfahren sei.

Schon wenige Stunden später erfuhren die Leser in der Stadt die große Neuigkeit. Die Boulevardblätter brachten die Meldung sogar auf ihrer ersten Seite. Die großen Überschriften lauteten:

Der Text der Nachrichten, auch im Funk, war allerdings noch recht mager. Denn wer unter den Reportern war schon am Abend vorher zufällig im Zirkus gewesen? Noch gab es keine Fotos in den Zeitungen. Und auch die Ansagerin im Fernsehen vertröstete das Publikum auf die nächste Abendschau.

Der Erfolg war zunächst nicht viel mehr als ein Gerücht. Wer hatte denn ahnen können, daß der clown Fernando zwei Fräcke vertauschen würde? Und daß sich Professor Jokus von Pokus daraufhin entschlösse, den Kleinen Mann der Öffentlichkeit vorzeitig zu präsentieren?

Immerhin, zweitausend Zuschauer hatten die Sensation miterlebt und den winzigen Zauberlehrling mit eignen Augen gesehen. Das Gerücht, das die Stadt durchlief, hatte also vier tausend Beine. Und daß es nur ein Gerücht war, machte das Ganze fast noch spannender, noch aufregender, noch interessanter.

An diesem Abend vorm zweiten Auftreten des Kleinen Mannes drängten und drängelten sich über hunderttausend Menschen vorm Zirkuszelt.

DAS FÜNFZEHNTE KAPITEL

Die zweite Vorstellung und die zweite Sensation: Mäxchen als Flieger / Das Stilke-Archiv / Ein Filmangebot aus Hollywood / Briefwechsel mit dem Dorfe Pichelstein / Ein königliches Geschenk aus dem Königreich Breganzona.

Hunderttausend Menschen! Das waren achtundneunzigtausend zuviel! Sie belagerten sofort die Kassenschalter für den Vorverkauf, und nach ein paar Stunden gab es für die gesamte Dauer des Gastspiels keinen einzigen Platz mehr, obwohl der Zirkus Stilke noch vierzig Tage in der Stadt bleiben würde und obwohl ein Zuschlag von einer Mark für den Sitz erhoben wurde!

Drei Lieferwagen fuhren das Geld noch in der Nacht zu den Panzerschränken der Wach- und Schließgesellschaft. Sicher ist sicher, dachte Direktor Brausewetter.

Die Vorstellung selber, also die zweite Vorstellung, wurde für ,den großen Dieb und den Kleinen Mann‘ wieder zu einem Triumph. Die Leute vom Fernsehen waren mit ihren Apparaten erschienen. Überall hockten Fotografen mit ihren Kameras und Blitzlichtern. Die Reporter und die in- und ausländischen Korrespondenten hielten die Augen offen und die Notizblöcke auf den Knien.

Für die übrigen Artisten war der Abend trotz des ausverkauften Hauses keine reine Freude. Denn sie alle wußten ja, daß die ungeduldigen Zuschauer samt der Presse und den Ehrengästen nur auf den Jokus und auf Mäxchen warteten.

Ganz recht, Ehrengäste waren auch erschienen. Der Oberbürgermeister mit der goldnen Kette um den Hals, seine zwei Bürgermeister, der Stadtkämmerer, die Stadträte, der amerikanische Generalkonsul, drei Bankdirektoren, ein Schwarm Filmproduzenten, Intendanten und Chefredakteure und sogar der Rektor der Universität, der vor vierzig Jahren zum letztenmal in einem Zirkus war.

Zwei dieser Ehrengäste holte sich Professor Jokus von Po-kus prompt in die Manege und bestahl sie mit Hilfe des Kleinen Mannes nach Noten: den Oberbürgermeister und den amerikanischen Generalkonsul!

Dem Oberbürgermeister stibitzte er zum Schluß die goldne Amtskette, und die Hosenträger knöpfte Mäxchen dem Herrn Generalkonsul ab. Da wurden die zweitausend Besucher schrecklich vergnügt. Und wie der Amerikaner die Hosen verlor - wer, glaubt ihr wohl, lachte am lautesten und längsten? Der Amerikaner selber! Das machte das Publikum noch viel vergnügter.

Als das Rundgitter hochgestiegen war und der Jokus der staunenden Menge seinen kleinen Mitarbeiter gezeigt hatte, kündigte er eine weitere Sensation an. „Jetzt“, rief er, „wird der Kleine Mann auf dem Rücken seiner Freundin, der Taube Emma, in die Zirkuskuppel emporfliegen und nach einem Rundflug hoch über unseren Köpfen sicher und wohlbehalten auf meiner ausgestreckten Hand landen!“

Und so geschah’s. Die Kapelle schwieg. Nicht nur, weil es ihr befohlen worden war. Sie hätte ohnedies keinen Ton herausgebracht.

Die einzigen Lebewesen, die während des abenteuerlichen Fluges keinen Funken Angst zeigten, waren Emma und Mäxchen. Er hielt sich mit der Rechten lässig an der blauseidnen Schleife fest, die der Jokus der Taube vorher mit äußerster Sorgfalt um den Hals gebunden hatte.

Emma startete seelenruhig, schraubte sich in Spiralen bis zur Kuppel hinauf, flog dort dreimal die Runde und glitt schließlich wie ein kleines weißes Segelflugzeug in eleganten Kurven tief und tiefer, bis sie auf der ausgestreckten Hand des Professors aufsetzte. So hatte diese Hand noch nie im Leben gezittert. Und der Zirkus seufzte erleichtert auf wie ein aus einem Alptraum erwachender Riese.

In der Garderobe sagte der Jokus leise: „Nie hätte ich diesen Flug erlauben dürfen. Niemals.“