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So hatte sie mutig dem entsetzlichen Eichenwald getrotzt und den gleichermaßen entsetzlichen Zuständen auf den Straßen von Palanthas. Jetzt kniete sie am Bett des Magiers.

»Erzähl mir alles!« befahl er heiser. »Laß nichts aus.«

Wortlos nickend, immer noch mitgenommen von dem furchterregenden Weg durch den Turm, zwang sich Crysania, ihre Gedanken zu sammeln. »Ich ging zur Großen Bibliothek und bat um Zutritt zu Astinus«, begann sie, nervös die Falten ihrer schlichten weißen Robe glättend, die Caramon ihr gekauft hatte. »Die Ästheten verwehrten mir zunächst den Einlaß, aber dann zeigte ich ihnen das Medaillon von Paladin. Das brachte sie in Verwirrung, wie du dir vorstellen kannst.« Sie lächelte.

»Zum ersten Mal seit hundert Jahren war ein Zeichen der alten Götter aufgetaucht, und schließlich eilte einer zur Berichterstattung zu Astinus. Nachdem ich einige Zeit gewartet hatte, wurde ich in seine Kammer geführt, in der er jeden Tag und häufig bis in die Nacht hinein sitzt und die Geschichte der Welt aufzeichnet.« Crysania hielt kurz inne, verunsichert von Raistlins ungeduldigem, eindringlichem Blick. »Ich betrat den Raum, und er saß einfach da, schrieb und übersah mich. Dann stellte mich der Ästhet vor, der bei mir war: ›Crysania aus dem Haus Tarinius‹, so wie du mich angewiesen hattest. Und dann...« Sie hielt inne und runzelte leicht die Stirn.

Raistlin rührte sich. »Was?«

»Dann hat Astinus aufgesehen«, sagte Crysania. »Er hörte tatsächlich mit dem Schreiben auf und legte seinen Federkiel nieder. Er sagte: ›Du!‹ mit so donnernder Stimme, daß ich erschrak und der Ästhet neben mir fast ohnmächtig wurde. Aber bevor ich etwas sagen oder fragen konnte, hob er seinen Federkiel, und die Wörter lesend, die er gerade geschrieben hatte, strich er sie durch!«

»Strich sie durch«, wiederholte Raistlin nachdenklich; seine Augen waren dunkel und abwesend. »Strich sie durch«, murmelte er und sank auf sein Bett zurück.

Als Crysania Raistlin in seine Gedanken vertieft sah, verhielt sie sich ruhig, bis er wieder zu ihr aufblickte.

»Was hat er dann getan?« fragte der Magier matt.

»Er schrieb etwas unter die Stelle, wo er den Fehler gemacht hatte, als ob es nicht weiter schlimm wäre. Dann richtete er seine Augen wieder auf mich, und ich hatte das Gefühl, er sei jetzt sehr wütend. Das dachte der Ästhet wohl auch, denn ich konnte ihn zittern spüren. Aber Astinus war ganz ruhig. Er entließ den Ästheten und bot mir einen Stuhl an. Dann fragte er nach dem Grund meines Kommens. Ich sagte ihm, daß wir das Portal suchten. Ich fügte hinzu, wie du mir aufgetragen hattest, daß uns gewisse Informationen zu dem Glauben geführt hätten, daß es sich im Turm der Erzmagier in Palanthas befinde, aber daß sich aufgrund unserer Nachforschungen die Unrichtigkeit dieser Information herausgestellt habe. Das Portal sei nicht dort. Er nickte, als ob ihn das nicht überrasche. ›Das Portal wurde an eine andere Stelle versetzt, als der Königspriester versucht hat, den Turm zu übernehmen. Natürlich aus Sicherheitsgründen. Im Lauf der Zeit wird es wohl zum Turm der Erzmagier in Palanthas zurückgebracht werden, aber es ist jetzt noch nicht dort.‹ – ›Wo ist es dann?‹ fragte ich. Lange Zeit antwortete er mir nicht. Und dann...« Hier stammelte Crysania und warf Caramon einen angsterfüllten Blick zu, als ob sie ihn bitten wollte, seinen Mut zusammenzunehmen.

Als er ihren Blick bemerkte, richtete sich Raistlin im Bett auf. »Sag es mir!« verlangte er barsch.

Crysania holte tief Atem. Sie wollte wegsehen, aber Raistlin ergriff ihr Handgelenk, und trotz seiner Schwäche hielt er sie so fest, daß sie sich nicht aus seinem Griff befreien konnte. »Er... er sagte, diese Information werde dich etwas kosten. Jeder Mensch habe seinen Preis, selbst er.«

»Mich etwas kosten!« wiederholte Raistlin unhörbar; seine Augen glühten.

Crysania versuchte erfolglos, sich zu befreien.

»Was ist der Preis?« herrschte Raistlin sie an.

»Er sagte, du wüßtest es!« keuchte Crysania.

Raistlin gab ihr Handgelenk frei. Crysania wich zurück, rieb sich den Arm, vermied Caramons mitleidigen Blick. Plötzlich erhob sich der große Mann. Raistlin sank auf sein Bett zurück.

Crysania stand auf und goß sich ein Glas Wasser ein. Aber ihre Hand zitterte so sehr, daß sie die Flüssigkeit auf den Scheibtisch verschüttete und gezwungen war, den Krug abzusetzen. Caramon trat hinter sie, goß Wasser ein und reichte ihr das Glas; ein ernster Ausdruck lag auf seinem Gesicht.

Als Crysania das Glas zu ihren Lippen führte, bemerkte sie plötzlich Caramons Blick auf ihr Handgelenk. Sie sah hinunter und erkannte die Male von Raistlins Hand auf ihrem Fleisch. Sie setzte das Glas auf dem Schreibtisch ab und zog schnell ihre Robe über den verletzten Arm. »Er wollte mir nicht weh tun«, sagte sie leise als Antwort auf Caramons ernsten, stummen Blick. »Sein Schmerz macht ihn ungeduldig. Was ist unser Leiden im Vergleich zu seinem? Das mußt du doch von allen Leuten am besten verstehen! Er ist so gefangen in seiner großen Vision, daß er es nicht merkt, wenn er andere verletzt.« Sie wandte sich ab, ging zu Raistlin zurück und starrte ins Feuer, ohne etwas zu erkennen.

»Oh, er weiß es genau«, brummte Caramon. »Er wußte es schon immer!«

Astinus von Palanthas, der Historiker Krynns, saß schreibend in seinem Zimmer. Es war schon spät, in der Tat nach Spätwacht. Die Ästheten hatten schon lange vorher die Türen zur Großen Bibliothek verschlossen. Nur wenigen wurde tagsüber der Eintritt gewährt, keinem in der Nacht. Aber Riegel und Schlösser galten dem Mann nichts, der, eine Gestalt der Dunkelheit, die Bibliothek betreten hatte und nun vor Astinus stand.

Der Historiker sah nicht auf. »Ich begann mich schon zu fragen, was mit dir los ist«, sagte er weiterschreibend.

»Mir ging es nicht gut«, erwiderte die Gestalt; ihre schwarzen Roben raschelten.

»Ich hoffte, es geht dir besser.« Astinus hob immer noch nicht den Kopf.

»Ich genese langsam«, antwortete die Gestalt. »Viele Dinge nehmen meine Kraft in Anspruch.«

»Nimm Platz!« sagte Astinus und zeigte mit dem Ende seines Federkiels zu einem Stuhl; sein Blick war noch auf seine Arbeit gerichtet.

Die Gestalt ging zu dem Stuhl und setzte sich. Viele Minuten herrschte Schweigen im Zimmer, das nur von Astinus’ kratzender Feder und dem gelegentlichen Husten des schwarzgekleideten Eindringlins unterbrochen wurde.

Schließlich legte Astinus den Federkiel nieder und hob den Blick. Sein Gast zog die schwarze Kapuze aus seinem Gesicht.

Astinus musterte ihn lang und schweigend, dann nickte er. »Ich kenne dieses Gesicht nicht, Fistandantilus, aber ich kenne deine Augen. In ihnen liegt jedoch etwas Seltsames. Ich sehe in ihren Tiefen die Zukunft. Du bist also Meister über die Zeit geworden, obgleich du noch nicht mit Macht zurückgekehrt bist, wie vorausgesagt wurde.«

»Mein Name lautet nicht Fistandantilus, Unsterblicher. Ich bin Raistlin, und das ist eine ausreichende Erklärung für das, was geschehen ist.« Raistlins Lächeln verschwand, seine Augen verengten sich. »Aber das wußtest du sicherlich?« Er machte eine Geste. »Die letzte Schlacht zwischen uns ist doch aufgezeichnet...«

»Ich zeichnete den Namen auf, so wie ich die Schlacht aufzeichnete«, unterbrach ihn Astinus kühl. »Möchtest du den Eintrag sehen, Fistandantilus?«

Raistlins Augen glitzerten gefährlich.

Aber Astinus blieb gelassen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete ruhig den Erzmagier. »Hast du mitgebracht, um was ich gebeten habe?«

»Das habe ich«, erwiderte Raistlin bitter. »Die Herstellung hat mich tagelangen Schmerz gekostet und meine Kraft geschwächt, sonst wäre ich früher gekommen.«

Jetzt erschien zum ersten Mal ein Hauch von Gefühl in Astinus’ kaltem und zeitlosem Gesicht. Gespannt beugte er sich vor, seine Augen glänzten, als Raistlin langsam die Falten seiner schwarzen Roben öffnete und etwas enthüllte, das wie eine leere Kristallkugel aussah, die in seiner Brusthöhle wie ein klares, kristallines Herz schwebte.