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Caramon holte tief Luft. Sein Körper glänzte von Schweiß.

»Wir müssen versuchen, Raistlin zu wecken«, schlug Crysania vor.

»Nicht gut!« flüsterte Caramon. »Ich weiß...«

»Wir müssen es versuchen!« sagte Crysania hartnäckig.

»Sei vorsichtig, beweg dich langsam«, riet Caramon, als er sie losließ.

Ihr Medaillon hochhaltend, ihre Augen auf die Augen der Dunkelheit gerichtet, kroch Crysania zu Raistlin hin. Sie legte eine Hand auf die Schulter des Magiers. »Raistlin!« sagte sie und schüttelte ihn. »Raistlin!«

Es kam keine Antwort. Sie hätte genauso gut versuchen können, eine Leiche zu wecken. Daran denkend, warf sie den lauernden Formen einen Blick zu. Würden sie ihn töten? fragte sie sich. Schließlich existierte er nicht in dieser Zeit. Der »Herr über Vergangenheit und Gegenwart« war noch nicht zurückgekehrt, um sein Eigentum zu beanspruchen – diesen Turm.

Oder hatte er es getan?

Crysania rief wieder den Magier, und dabei hielt sie die Augen auf die Untoten gerichtet, die sich immer näher bewegten, je schwächer ihr Licht wurde.

»Fistandantilus!« sagte sie zu Raistlin.

»Ja!« rief Caramon, der sie hörte und verstand. »Sie erkennen diesen Namen wieder. Was ist geschehen? Ich spüre eine Veränderung...«

»Sie haben aufgehört!« berichtete Crysania atemlos. »Sie sehen ihn jetzt an.«

»Geh zurück!« befahl Caramon und erhob sich halb. »Geh von ihm weg. Nimm das Licht von ihm! Laß sie ihn sehen, da er in ihrer Dunkelheit existiert!«

»Nein!« gab Crysania wütend zurück. »Du bist verrückt! Wenn das Licht erst einmal verschwunden ist, werden sie ihn verschlingen...«

»Es ist unsere einzige Chance!«

Blind auf Crysania zuspringend, fing Caramon sie auf, überrumpelte sie. Er riß sie von Raistlin weg und schleuderte sie auf den Boden. Dann fiel er über sie und schlug den Atem aus ihrem Körper.

»Caramon!« Sie rang nach Luft. »Sie werden ihn töten. Nein...« Sie kämpfte gegen den großen Krieger, aber er hielt sie unter sich fest.

Das Medaillon hielt sie immer noch in der Hand. Das Licht wurde trüber. Sie wand sich und blickte zu Raistlin hin. Er lag jetzt außerhalb des Lichtkreises in der Dunkelheit. »Raistlin!« schrie sie. »Nein! Laß mich, Caramon! Sie gehen zu ihm...«

Aber Caramon verstärkte nur seinen Griff, drückte sie gegen den kalten Boden. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, aber entschlossen, seine blinden Augen starrten auf sie hinab. Sein Fleisch war kalt gegen ihres, seine Muskeln waren angespannt.

Sie mußte einen weiteren Zauber auf ihn werfen! Die Worte lagen auf ihren Lippen, als ein schriller Schmerzensschrei die Dunkelheit durchbohrte.

»Paladin, hilf mir!« betete Crysania.

Nichts geschah.

Wieder versuchte sie schwach, Caramon zu entkommen, aber es war hoffnungslos, und sie wußte es. Und jetzt hatte ihr Gott sie offensichtlich auch noch verlassen. Vor Enttäuschung aufschreiend, Caramon verfluchend, konnte sie nur noch beobachten.

Die blassen, schimmernden Gestalten hatten Raistlin inzwischen eingekreist. Sie konnte ihn nur noch durch das Licht der entsetzlichen Aura erkennen, das von ihnen ausging. Ihre Kehle schmerzte, und ein leises Stöhnen entfuhr ihren Lippen, als eine der greulichen Kreaturen ihre kalten Hände erhob und auf seinen Körper legte.

Raistlin schrie auf. Unter seinen schwarzen Roben zuckte sein Körper in qualvollen Krämpfen.

Auch Caramon hörte den Schrei seines Bruders. »Laß mich!« flehte Crysania. Aber obgleich seine Stirn von kaltem Schweiß naß war, schüttelte Caramon hartnäckig den Kopf und hielt ihre Hände fest.

Raistlin schrie wieder auf. Caramon erschauerte, und Crysania spürte seine Muskeln erschlaffen. Sie ließ das Medaillon fallen und befreite ihre Arme, um ihn mit ihren zusammengeballten Fäusten zu schlagen. Aber dabei versiegte das Licht des Medaillons, und beide verschwanden in völliger Dunkelheit. Caramons Körper war plötzlich von ihr fortgerissen. Sein heiserer, gequälter Schrei vermischte sich mit den Schreien seines Bruders.

Benommen setzte sich Crysania auf, ihre Hand suchte den Boden nach dem Medaillon ab.

Ein Gesicht näherte sich ihr. Sie sah schnell von ihrer Suche auf, dachte, es sei Caramon.

Es war nicht sein Gesicht. Ein körperloser Kopf schwebte neben ihr.

»Nein!« wimmerte sie, war wie gelähmt, konnte nur spüren, wie ihr das Leben aus Händen, Körper, Herz entzogen wurde. Fleischlose Hände packten ihre Arme, zogen sie an sich; blutlose Lippen, gierig nach ihrer Wärme, öffneten sich.

»Paladin«, versuchte Crysania zu beten, aber gleichzeitig wurde ihre Seele durch die tödliche Berührung der Kreatur aus ihrem Körper gesaugt.

Dann hörte sie schwach und aus der Ferne eine kraftlose Stimme Worte der Magie singen. Licht explodierte um sie. Der Kopf, der so dicht an ihrem war, verschwand in einem Kreischen, die fleischlosen Hände verloren ihren Halt. Es roch beißend nach Schwefel.

»Shirak.« Das explosive Licht war verschwunden. Ein sanftes Glühen erfüllte den Raum.

Crysania richtete sich auf. »Raistlin!« flüsterte sie dankbar. Auf Händen und Knien kroch sie mühsam über den geschwärzten Boden zu dem Magier, der auf dem Rücken lag und schwer atmete. Eine Hand ruhte auf dem Stab des Magus. Von der Kristallkugel in der goldenen Drachenklaue an seiner Spitze kam Licht.

»Raistlin! Bist du in Ordnung?« Sich zu ihm kniend, sah sie in sein schmales, blasses Gesicht, als er die Augen aufschlug.

Erschöpft nickte er. Dann griff er nach ihr und zog sie an sich. Er umarmte sie, streichelte ihr weiches schwarzes Haar. Sie spürte seinen Herzschlag. Seine seltsame Körperwärme vertrieb die Kälte. »Hab keine Angst!« flüsterte er tröstend, als er ihr Zittern spürte. »Sie werden uns nichts antun. Sie haben mich gesehen und erkannt. Sie haben dich doch nicht verletzt?«

Sie konnte nicht sprechen, nur den Kopf schütteln. Er seufzte wieder. Crysania schloß die Augen; sie lag getröstet in seiner Umarmung.

Als seine Hand wieder über ihr Haar fuhr, merkte sie, wie sich sein Körper anspannte. Er schob sie von sich weg. »Sag mir, was geschehen ist«, befahl er mit schwacher Stimme.

»Ich bin hier wach geworden...«, stammelte Crysania. Das entsetzliche Erlebnis und Raistlins herzliche Berührung verwirrten sie. Als sie jedoch seine kalten und ungeduldigen Augen sah, zwang sie sich zum Weitererzählen. »Ich habe Caramon schreien hören...«

Raistlin riß die Augen auf. »Meinen Bruder?« fragte er verblüfft. »Der Zauber hat ihn also auch hierhergebracht. Ich bin überrascht, daß ich noch lebe. Wo ist er?« Er hob erschöpft den Kopf und sah seinen Bruder bewußtlos auf dem Boden liegen. »Was ist mit ihm?«

»Ich... ich habe einen Zauber geworfen. Er ist blind«, sagte Crysania errötend. »Ich wollte es nicht. Es war, als er versuchte, dich zu töten – in Istar, vor der Umwälzung...«

»Du hast ihn blind gemacht? Paladin... hat ihn blind gemacht!« Raistlin lachte. Der Klang hallte von den kalten Steinen zurück, und Crysania zuckte zusammen, spürte ein eisiges Entsetzen. Aber das Lachen blieb in Raistlins Kehle stecken. Der Magier begann zu würgen und nach Luft zu ringen.

Crysania beobachtete ihn hilflos, bis der Anfall vorüber war und Raistlin wieder ruhig dalag.

»Erzähl weiter«, flüsterte er gereizt.

»Ich hörte ihn schreien, aber ich konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. Das Medaillon gab mir jedoch Licht, und ich fand ihn, und ich erkannte, daß er blind ist. Ich fand dich auch. Du warst bewußtlos. Wir konnten dich nicht wecken. Caramon sagte mir, ich solle ihm beschreiben, wo wir seien, und dann sah ich« – sie schauderte – »diese entsetzlichen...«

»Fahr fort«, unterbrach Raistlin sie.

Crysania holte tief Luft. »Dann begann das Licht des Medaillons schwächer zu werden...«

Raistlin nickte.

»... und die Dinge kamen auf uns zu. Ich rief nach dir, ich benutzte den Namen Fistandantilus. Das ließ sie einhalten. Dann« – Crysanias Stimme verlor ihre Angst und wurde zornig – »ergriff dein Bruder mich, warf mich auf den Boden und schrie etwas, ich glaube: ›Laß sie ihn sehen, da er in ihrer Dunkelheit existiert.‹ Als Paladins Licht dich nicht mehr erfaßte, kamen diese Kreaturen...« Sie schauderte wieder und vergrub ihr Gesicht in beiden Händen. Raistlins schrecklicher Aufschrei hallte in ihrem Geist wider.