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Mit einem dünnlippigen Lächeln führte Raistlin Crysanias Hände zu seinem Mund und küßte sie, wobei er die Augen nicht von ihr abwandte.

Caramon drehte sich um und ging aus der Tür.

Während der Regen auf ihn fiel, vernahm Caramon eine Stimme.

»Er trachtet danach, ein Gott zu werden! Er trachtet danach, ein Gott zu werden!«

Caramon mußte daran denken, wie Raistlin in der vergangenen Nacht gewesen war. Wie lange war es her, daß er seinen Bruder so hatte lachen hören? Wie lange war es her, daß sie diese Wärme, diese Nähe geteilt hatten? Lebhaft erinnerte er sich, wie er Raistlins Gesicht beobachtet hatte, als er den Schlaf seines Bruders bewachte. Er sah die Linien der Gerissenheit sich glätten, die bitteren Falten um den Mund verblassen. Der Erzmagier hatte fast wie in jungen Jahren ausgesehen, und Caramon hatte sich an ihre gemeinsame Kindheit erinnert, die glücklichste Zeit seines Lebens.

Aber dann kam ungewollt eine entsetzliche Erinnerung. Er sah sich wieder in der dunklen Zelle in Istar, erkannte zum ersten Mal klar und deutlich die unermeßliche Fähigkeit seines Bruders zum Bösen. Er erinnerte sich an seinen festen Entschluß, daß sein Bruder sterben müsse. Er dachte an Tolpan...

Aber Raistlin hatte ihm doch alles erklärt! Wieder war Caramon am Schwanken.

Was war, wenn sich Par-Salian geirrt hatte, was war, wenn sich alle geirrt hatten? Was war, wenn Raistlin und Crysania die Welt von Entsetzen und Leiden befreien konnten?

»Ich bin einfach nur ein eifersüchtiger Narr«, murmelte Caramon und wischte das Regenwasser aus seinem Gesicht. »Vielleicht sind diese alten Zauberer genauso wie ich, eifersüchtig auf ihn.«

Die Dunkelheit vertiefte sich, der Regen fiel dichter.

Raistlin trat aus der Tür. Crysania war bei ihm, ihre Hand ruhte auf seinem Arm. Sie hatte sich in ihren dicken Umhang eingehüllt und sich die grauweiße Kapuze übers Gesicht gezogen.

Caramon räusperte sich. »Ich trage ihn heraus und lege ihn zu den anderen«, sagte er barsch und wollte durch die Tür gehen. »Dann schaufle ich das Grab zu...«

»Nein, mein Bruder«, sagte Raistlin. »Nein. Dieser Anblick soll nicht verborgen werden.« Er warf seine Kapuze zurück und ließ den Regen auf sein Gesicht fallen, als er den Blick zu den Wolken hob. »Dieser Anblick wird den Göttern nicht erspart werden! Der Rauch der Zerstörung wird sich zum Himmel erheben!«

Caramon, verblüfft über diesen Ausbruch, wandte sich zu seinem Bruder.

Raistlins Gesicht war fast so hager und blaß wie das Gesicht der Leiche in dem kleinen Haus, seine Stimme zornerfüllt. »Kommt mit mir«, sagte er, löste sich aus Crysanias Griff und schritt der Mitte des kleinen Dorfes zu.

Crysania folgte und hielt dabei ihre Kapuze gegen den peitschenden Wind und den Regen fest. Caramon ging langsamer hinterher.

Raistlin blieb mitten auf der vom Regen aufgeweichten Straße stehen und drehte sich zu Crysania und seinem Bruder um. »Hol die Pferde, Caramon – unsere und das Crysanias! Führe sie in den Wald außerhalb des Dorfs und verbinde ihnen die Augen. Dann komm zurück.«

Caramon starrte ihn an.

»Tu es«, befahl Raistlin.

Caramon gehorchte und führte die Pferde davon.

»Jetzt stell dich hierhin«, fuhr Raistlin fort, als sein Bruder zurückgekehrt war. »Beweg dich nicht von der Stelle. Komm mir nicht näher, mein Bruder, egal, was passiert.« Sein Blick glitt zu Crysania, die neben ihm stand, dann wieder zu seinem Bruder. »Du verstehst, Caramon?«

Caramon nickte, streckte seine Hand aus und nahm sanft die Crysanias.

Beunruhigt von dem seltsamen Ausdruck in Raistlins Gesicht, trat Crysania zu Caramon. Der große Mann legte den Arm um sie. Sie standen zusammen im prasselnden Regen, wagten kaum zu atmen und beobachteten den Erzmagier.

Raistlin schloß die Augen. Er hob das Gesicht zum Himmel und streckte seine Arme mit den Handflächen nach außen dem mit schwarzen Wolken überzogenen Himmel entgegen. Seine Lippen bewegten sich. Er wiederholte immer wieder die gleichen Worte, seine sanfte Stimme hob und senkte sich im Gesang.

Stille senkte sich über das Tal. Selbst der strömende Regen erstarb in Caramons Ohren. Er konnte nur noch den leisen Singsang seines Bruders vernehmen. Crysania drückte sich mit aufgerissenen Augen an Caramon, und er streichelte sie beruhigend.

Raistlin hob die Hände höher, seine Stimme wurde lauter. Er hielt inne, dann sprach er jedes Wort des Gesanges langsam und bestimmt aus. Der Wind wurde stärker, der Boden hob sich. Caramon hatte den Eindruck, daß die Welt auf seinen Bruder stürzte, und er befürchtete, daß auch er in diesen dunklen Strudel gesogen werden könnte.

Raistlins Finger stießen in den grauen, tosenden Himmel. Die Energie, die er aus dem Boden und der Luft gezogen hatte, stürzte wellenförmig durch ihn. Silberne Blitze schossen aus seinen Fingern und trafen die Wolken. Helles, gezacktes Licht fiel als Antwort herab, berührte das kleine Haus, worin der Leichnam des jungen Klerikers lag. In einer ohrenbetäubenden Explosion wurde das Gebäude von blauweißen Flammen überzogen.

Wieder sprach Raistlin, und wieder schossen silberne Blitze aus seinen Fingern. Wieder antwortete ein Lichtstreifen und traf den Magier. Dieses Mal war es Raistlin, der von einer rotgrünen Flamme überzogen wurde.

Crysania schrie auf. Sie wand sich in Caramons Griff, versuchte sich zu befreien. Aber sich an die Worte seines Bruders erinnernd, hielt Caramon sie fest und hinderte sie daran, zu Raistlin zu laufen. »Sieh mal!« flüsterte er heiser und verstärkte seinen Griff. »Die Flammen berühren ihn nicht!«

Raistlin, mitten im Feuer stehend, hob seine Arme höher, und die schwarzen Roben flatterten um ihn, als befände er sich im Zentrum eines heftigen Sturms. Wieder sprach er. Lodernde Flammen gingen von ihm aus, erhellten die Dunkelheit, stoben durch das nasse Gras und tänzelten auf dem Wasser. Raistlin stand in der Nabe eines riesigen Flammenrades.

Crysania konnte sich nicht rühren. Ehrfurcht und Entsetzen, wie sie es noch nie erlebt hatte, lähmten sie. Sie hielt sich an Caramon fest, aber er bot ihr keinen Trost. Sie waren wie zwei verängstigte Kinder, als die Flammen um sie brausten. Durch die Straßen züngelnd, erfaßte das Feuer die Gebäude und entzündete sie mit einer Explosion nach der anderen.

In roten, blauen und grünen Farben loderte das magische Feuer nach oben, erhellte den Himmel, nahm den Platz der wolkenumhüllten Sonne ein. Die Aasvögel kreischten vor Angst, als der Baum, auf dem sie sich niedergelassen hatten, eine lodernde Fackel wurde.

Und wieder sprach Raistlin, zum letzten Mal. Mit einer Explosion reinen weißen Lichtes sprang das Feuer vom Himmel und verzehrte die Leichen in dem Massengrab.

Der Feuersturm blies Crysania die Kapuze vom Kopf. Die starke Hitze peitschte ihr Gesicht. Der Rauch würgte sie, sie konnte kaum mehr atmen. Funken regneten auf sie herab, Flammen züngelten vor ihren Füßen, bis es schien, daß auch sie dem Brand zum Opfer fallen würde. Aber sie wurde nicht davon berührt. Sie und Caramon standen sicher inmitten des Feuers. Und dann nahm Crysania wahr, daß Raistlin sie ansah. Aus dem brennenden Inferno, in dem er stand, winkte der Magier ihr zu. Seine schwarzen Roben flossen um seinen Körper und wellten sich im Feuersturm, den er heraufbeschworen hatte. Inmitten der Flammen hielt er seine Hände Crysania entgegen.

»Nein!« schrie Caramon, der Crysania festhielt. Aber Crysania, die ihre Augen nicht von Raistlin löste, entzog sich sanft dem Griff des großen Mannes und trat vor.

»Komm zu mir, Verehrte Tochter!« Raistlins sanfte Stimme drang in ihr Herz. »Komm zu mir durch die Flamme. Lerne die Macht der Götter kennen...«

Das tosende Feuer, das um den Erzmagier loderte, versetzte sie in Trance, lockte sie, während Raistlins Stimme sie zu ihm rief.

»Nein!« schrie Caramon hinter ihr, aber sie hörte ihn nicht. Sie erreichte den Flammenvorhang. Raistlin streckte ihr seine Hand entgegen, aber sie zögerte.