Halia stürzte auf Ceralt zu und verlangte mit sich überschlagender Stimme: »Peitscht sie aus! Keine Sklavin darf es wagen, so mit mir zu reden!«
»Erlaubt mir, mich für sie zu entschuldigen«, sagte Ceralt fast verzweifelt. »Die Worte einer Skalvin können eine Dame...« »Peitscht sie aus!« schrie das Weib, »oder ich verprügele sie!« Ratlos sah Ceralt Telion an, der auch hilflos schien. Da wartete Halia nicht länger. Resolut hob sie einen großen, abgebrochenen Ast auf, der vor ihr auf dem Boden lag, und schlug ihn gegen meinen Kopf. Unwillkürlich hob ich meine gefesselten Arme, und der Ast traf meinen linken Unterarm. Ceralt schnappte sich den Ast und wand ihn der Frau aus den Händen. Dann trat er zwischen uns, als wolle er einen Angriff von mir verhindern. »Sie verdient Prügel!« wiederholte das rasende Weib. »Ich habe keine Angst vor ihr, wie Ihr es zu haben scheint.« »Warum wehrst du dich nicht, Jalav?« fragte Ceralt mich verwundert. »Ich hatte gedacht, daß du dich nicht so behandeln lassen würdest.«
»Was kann man schon gegen eine solche rasende Megäre unternehmen?« fragte ich. »Dabei kann man nicht viel Ruhm ernten. Allerdings sollte dieses Weib sich hüten, mich zu sehr herauszufordern«, fügte ich drohend hinzu.
Halia erblaßte bei meinen Worten. Auch die anderen Frauen wirkten erschreckt und wichen einen Schritt zurück. Sie bekamen erst wieder Mut, als sie sahen, daß Ceralt mich am Halsband festhielt.
»Sklavin!« höhnte eine von ihnen, die Arme in die Hüften gestemmt. »Sklavin an der Leine, Spielzeug der Männer. Nackte, nackte Sklavin!«
Die anderen Weiber fielen höhnisch ein. »Sklavin an der Leine, Sklavin an der Leine!« sangen sie, Halia allen voran. Ich reckte meinen Kopf höher und grollte leise. Sie sollten sich nur vorsehen! Fayan versuchte, die Weiber zu verjagen, aber Nidisar hielt sie zurück. Ceralts Gesicht verfinsterte sich, und auch Telion war der Ärger anzumerken. »Genug!« befahl er. »Besitzt Ihr nicht genug Würde, um Euch so aufzuführen?« »Sie besitzt nicht genug Würde«, entgegnete Halia und zeigte auf mich. »Wie kann eine Frau nur so herumlaufen, halbnackt und mit den Haaren bis auf die Hüfte? Sie ist nur ein Spielzeug der Männer. Wenn Ihr die Gesellschaft anständiger Frauen wünscht, dann solltet Ihr in Zukunft zu unserem Wagen kommen. Wir werden uns hier nicht mehr blicken lassen!« Mit hocherhobenem Haupt entfernten sich die Weiber. Telion und Ceralt sahen sich verärgert an. »Da geht sie hin, unsere schöne Zeit«, sagte Telion. »Wenn wir uns nun mit ihnen unterhalten wollen, geschieht das unter den Augen ihrer Väter. Das wird bestimmt nicht viel Spaß bereiten.« »Ihr Besuch hier hat auch nicht viel Spaß bereitet«, meinte Ceralt verdrießlich. »Sie sind noch sehr jung, das weiß ich, aber sie scheinen auch noch sehr dumm zu sein. Sollten wir uns nicht besser anderswo umsehen?«
»Und wo?« erwiderte Telion. »In Ranistard werden sie jedenfalls erste Wahl sein.«
»Vielleicht hast du recht«, entgegnete Ceralt. »Wir müssen sehen, daß wir den Schaden wieder gutmachen, aber möglichst erst dann, wenn ihr Ärger abgekühlt ist.« »Und möglichst nicht in Jalavs Gegenwart«, sagte Telion. »Kein Wunder, daß sie schäumten, als man ihnen empfahl, auch ihre Kleider auszuziehen. Sie sind vornehm erzogen worden und nicht gewohnt, daß man so mit ihnen redet.« »Offensichtlich nicht«, stimmte Ceralt zu, dann fragte er: »Glaubst du, daß das der Grund ist für...« Er brach unvermittelt ab. Dann lachten beide Männer brüllend und klopften sich dabei auf die Schenkel. Mir war nicht nach Lachen zumute. Diese Weiber hatten sich über mich lustig gemacht, und ich konnte mich nicht wehren. Auch Fayan schien noch immer erregt zu sein. Nidisar sprach ärgerlich auf sie ein, und sie lauschte mit niedergeschlagenen Augen. Dann blickte sie ihn empört an und wandte sich verärgert ab. Bald darauf bestiegen die Männer wieder ihre Kand, banden uns fest, und wir zogen weiter durch den Wald. Gegen Abend suchte die Karawane sich einen Rastplatz, und die Sklaven begannen mit dem Aufbau der Zelte. Nidisar stand neben seinem Kan, hielt Fayan am Halsband fest und wartete ungeduldig darauf, daß das Zelt fertig wurde. Fayan hatte ihn während des Marsches nicht wieder angesehen, und sein Ärger war zusehends gestiegen. Ceralt hatte mich an einen Baum festgebunden, so daß ich mich nicht bewegen konnte, und war dann mit Telion weggeritten.
Als die Zelte fertig aufgebaut waren, übergab Nidisar den Zügel seines Kan einem Sklaven und zog Fayan ins Zelt hinein. Die Sklaven sahen sich an und lachten. Ich entdeckte, daß man durch einen schmalen Spalt ins Zelt hineinsehen konnte. Nidisar und Fayan diskutierten erregt, dann wandte sich Fayan wieder von ihm ab. Da griff er sie, legte sie übers Knie und verdrosch sie mit ihrer Leine. Auch als Fayan zu wimmern begann, hörte er nicht auf. Endlich stieß sie unverständliche Worte hervor, er hörte auf und stellte sie wieder auf die Beine. Danach sprach er ernst mit ihr. Offensichtlich stellte er eine Frage, die sie traurig machte. Er legte die Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. Ihre Miene bekam den merkwürdigen Ausdruck, den ich früher schon an ihr beobachtet hatte, sie bot ihm die Lippen und ließ sich von ihm küssen. Dann nahm er sie fest in die Arme und warf sie auf den Boden, wodurch sie meinen Blicken entschwanden.
Ich war äußerst verwundert. Was hatte Nidisar angestellt, um meine Kriegerin zu solch einem seltsamen Verhalten zu veranlassen? Ich wünschte sehr, mit ihr reden zu können, war mir aber bewußt, daß Nidisar sie nun für einige Zeit in Anspruch nehmen würde.
In diesem Moment flüsterte eine Stimme hinter mir: »Mida segne dich, Jalav! Wie ergeht es dir unter all den Männern?« »Nicht so gut, wie es dir ergangen ist, Larid«, flüsterte ich. »Seid ihr alle wohlauf?«»Wohlauf und frei«, entgegnete sie. »Es war nicht schwierig, den Leuten in der Stadt zu entkommen. Sobald wir über die Mauer waren, folgten wir den Zeichen, die uns Gimin hinterlassen hatte. Bei Gimin und unseren Schwestern mußte uns einer der gefangenen Männer von dem Metall befreien. Die anderen sind etwa einen Tag voraus. Ich soll Gimin Nachricht bringen, ob sie über die Männer herfallen und dich befreien sollen.« »Das wäre schön, darf aber nicht sein«, erwiderte ich. »Mida ist mir erschienen und hat verlangt, daß ich bei den Männern bleibe. Ich kenne den Grund nicht, muß aber ihr Gebot befolgen. Bring Gimin die Botschaft, daß diese Karawane nach Ranistard zieht. Bevor sie die Stadt erreicht, muß die Stadt von unseren Kriegerinnen heimlich besetzt werden. Sobald die Karawane dort eintrifft, würde man gewarnt sein.« »Ich werde Gimin deine Botschaft überbringen«, flüsterte Larid, »und dann zurückkehren, falls du mich brauchst.« »Komm nicht zurück!« flüsterte ich. »Du darfst dich nicht in Gefahr begeben, denn Gimin wird jedes Schwert benötigen.« Da ich keine Antwort bekam, flüsterte ich: »Larid, hörst du mich ?« Wieder Schweigen. Ärgerlich zog ich an meinen Fesseln. Zu oft schon hatten meine Kriegerinnen meine Befehle mißachtet. Es wurde Zeit, daß ich ihnen wieder Disziplin beibrachte. Langsam senkte sich die Nacht hernieder, und noch immer saß ich dort am Baum, meine Arme festgebunden, und auch mit der Leine meines Halsbandes so befestigt, daß ich mich kaum bewegen konnte. Von den Lagerfeuern kam der Geruch von gegrilltem Fleisch, und es ertönte das Lachen von Männern und Frauen. Ich fragte mich, welchen Spaß sie wohl zusammen hätten, und vor mir erschien die Szene jener Nacht in Bellinard, als wir mit den Jägern zusammensaßen und Renth tranken. Obwohl ich auf unseren Kriegszügen und bei der Jagd schon viel Spaß gehabt hatte, war kein Spaß größer gewesen als der in jener Nacht. Aus dem roten Zelt vor mir, in dem Nidisar und Fayan waren, kam kein Laut, und die Dunkelheit wurde immer schwärzer. Schließlich hörte ich Schritte, und aus der Dunkelheit tauchten vor mir drei bewaffnete Männer auf, Wächter, die mit der Karawane ritten. Sie sahen mich begierig an, und einer von ihnen streckte die Hand aus und streichelte meine Brüste. »Eine faszinierende Sklavin«, sagte er, »die wohl jedem Mann gefallen würde. Seht nur, wie sie sich in ihren Fesseln bewegt, Brüder! Sie würde selbst das Eis des Berges zum Schmelzen bringen, auf dem Sigurr thront.«