Auf der anderen Seite der großen Liege stand eine Wand aus Seide, auf die die Sklavin nun zuging. Als sie sie öffnete, sah ich dahinter einen großen, runden, steinernen Topf, der etwa meine halbe Höhe hatte, aber doppelt so breit war. Dann schlurfte die Sklavin ohne ein Wort wieder hinaus. Neugierig ging ich zu einem der Fenster und sah hinaus. Vor dem Gebäude, in dem ich mich befand, und vor dem ebenso großen Gebäude gegenüber standen bewaffnete Wächter. Ich freute mich darauf, sie bald mein Schwert spüren zu lassen. Die Tür hinter mir öffnete sich, und herein trat die Sklavin, zusammen mit zwei anderen. Alle drei trugen große, hölzerne Töpfe, gefüllt mit Wasser, die sie in den Steintopf leerten. Dann verschwanden sie, kehrten aber bald mit weiterem Wasser zurück, das sie gleichfalls in den Topf schütteten. Danach kehrte nur eine der Sklavinnen zurück, mit einem großen, weichen Tuch, das sie entfaltete. Sie verriegelte die Tür und sagte: »Euer Bad ist bereit, Madam.«
Endlich hatte ich begriffen. Ich ging zu dem Topf und sah hinein, dann lachte ich. Würde jemand tatsächlich erwarten, daß ich dort hineinstieg? Man konnte noch nicht einmal darin schwimmen. Trotzdem sagte ich: »Ich werde es benutzen«, und begann, meine Waffen abzulegen. Die Sklavin schlug die Augen nieder, so daß ich fragte: »Hast du Angst? Glaubst du, ich tue dir etwas?«
»O nein«, entgegnete sie. »Es ist nur, weil ich noch nie eine solche Frau wie Euch gesehen habe. Wäre ich so stark gewesen wie Ihr, wäre ich niemals Sklavin geworden.« »Skalvin zu werden, das Schicksal kann jede Frau erleiden«, antwortete ich. »Sklavin zu bleiben, das ist eine andere Sache.« Ich stieg in den Topf und fand zu meinem Erstaunen, daß das Wasser warm war. Wie verzärtelt mußten doch die Stadtleute sein, daß sie nicht einmal in kaltem Wasser baden wollten! Die Sklavin trat heran und fragte: »Darf ich Euch helfen? Es würde mir mehr eine Ehre sein als eine Pflicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich brauche keine Hilfe«, sagte ich zu ihrer Enttäuschung. »Ich werde sowieso nicht lange drinbleiben, denn mir gefällt dieses Wasser nicht. Es erfrischt nicht so gut wie kaltes Wasser.« Sie nickte demütig und fiel mit gesenktem Haupt auf die Knie,bereit, meine Befehle zu befolgen. Auch die Hosta gehorchten meinen Befehlen, aber ihr Gehorsam war von anderer Art. Niemals würden sie ihre Knie beugen, nicht einmal vor ihrer Anführerin. Für solch eine Demutsgebärde würden man sie aus dem Volk der Midanna ausstoßen.
Beim Waschen spürte ich die Wundstellen, die das Halsband gescheuert hatte, und wünschte, daß alle Männer einmal solch ein Halsband tragen müßten, um zu wissen, wie es sich anfühlt. Besonders an einige Männer dachte ich dabei. Ich tauchte kurz noch einmal unter, dann stand ich auf. Sofort eilte die Sklavin mit dem Tuch herbei und trocknete mich ab. Widerstandslos, obwohl unwillig, ließ ich es geschehen. Dann mußte ich aber herzlich lachen, denn die Sklavin brachte mir ein Gewand aus gelber Seide. Daß eine Anführerin der Hosta sich in die Farbe der Heida kleiden würde, war ein wirklich amüsanter Gedanke, abgesehen von der Art des Gewandes selbst.
Noch immer kichernd, zog ich meine eigenen Stammesfarben an, dann legte ich den Schwertgurt, meine Wadenbänder und den Dolch an. Die Sklavin schien erneut höchst verängstigt, verbeugte sich und entfernte sich, was mir nicht unwillkommen war. Dann kämmte ich meine Haare, legte mich auf den Boden und wartete. Ein Jäger, der in der Wildnis lebt, lernt es, viel Geduld zu haben.
Es war beinahe dunkel, als Telion eintrat. Er schüttelte den Kopf, als er mich sah, und fragte: »Aus welchem Grund sind die Kerzen nicht angezündet? Und warum liegst du auf dem Teppich, anstatt im Bett?«
»Die Kerzen sind aus dem einfachen Grund nicht angezündet, weil ich kein Feuer habe«, entgegnete ich. »Und was ein ›Teppich‹ oder ein ›Bett‹ ist, weiß ich nicht.« »Oh, Jalav, du bist sehr schwierig«, sagte Telion kopfschüttelnd. »Ein ›Teppich‹ ist das, worauf du jetzt stehst, und ein ›Bett‹ ist die Liege dort drüben. Und um Feuer zu bekommen, hättest du nur eine der Sklavinnen rufen müssen.« »Ich kann Sklavinnen nicht leiden«, entgegnete ich, »und will deshalb so wenig wie möglich mit ihnen zu tun haben. Gibt es nun zu essen? Hast du es mitgebracht?« »Ja, es gibt nun zu essen«, antwortete er, »aber nicht hier. Laß uns Larid und Fay an holen.«
Wir gingen zum nächsten Zimmer, aber als Telion die Tür öffnete, entfuhr ihm ein leiser Fluch. In der Mitte des Zimmers, in dem die Kerzen angezündet worden waren, standen die beiden, Fayan mit dem Dolch in der Hand. Sie hatten Zielübungen auf den Pfosten der Liege gemacht, und Larids Dolch stak genau in der Mitte. Ein vorzüglicher Wurf. Aber Telion schien nicht so zu denken. »Was macht ihr hier?« fragte er lautstark. »Glaubt ihr denn, ihr wärt im Wald oder in einer Taverne?«
»Es gab nichts anders zu tun, deshalb haben wir uns damit die Zeit vertrieben«, entgegnete Larid. Sie zog ihren Dolch aus dem Pfosten und bemerkte: »Schade, daß die Stadtleute nicht nach solchen Zielen werfen. Sie könnten bestimmt ihre Zielsicherheit vergrößern.«
In diesem Moment schlug ein anderer Dolch genau oberhalb ihres eigenen in dem Pfosten ein. Es war Telions Dolch. Wir sahen uns an, dann lachten wir alle gemeinsam. »Larid, du bist ein wahrer Kobold«, sagte Telion, »aber du solltest mich nicht so herausfordern. Gewiß ist der Bettpfosten ein gutes Ziel, aber so etwas tut man nicht im Palast des Hohen Senats. Laßt uns nun zum Essen gehen.« Lachend reichte Larid Telions Dolch zurück. Es war ihr anzumerken, daß sie den großen Mann mit den rotgoldenen Haaren inzwischen viel besser leiden konnte. Ich blickte Fayan an, aber diese wich meinem Blick aus. Sie hatte schweigend wieder ihren Dolch im Wadenband befestigt und benahm sich wie eine Kriegerin, die tapfer ihre Wunden trägt. Auch Telion sah sie an und verlor seine gute Stimmung wieder. Ohne ein weiteres Wort führte er uns hinaus. Das entscheidende Wort zu Fayan, der Kriegerin, konnte allein eine sprechen: Mida. Wir gingen die Treppe hinunter, durchquerten einen großen Raum und standen vor einigen hohen Türen, die von bewaffneten Männern bewacht wurden. Groß und stattlich waren diese Männer. Larid musterte sie eingehend, dann kniff sie mir ein Auge. Meine Kriegerinnen würden viel Spaß mit ihnen haben, nachdem wir die Kristalle zurückgeholt hätten, aber wir würden keinen von ihnen in unsere heimatlichen Zelte mitnehmen. Städter blieben am besten da, wo sie herkamen. Die großen Türen wurden aufgestoßen, und wir betraten einen von Fackeln erleuchteten großen Raum, in dessen Mitte sich eine große, ›Tisch‹ genannte Plattform befand, um die viele Sitze herumstanden, wie einer von der Hüterin des Horts eingenommen wird.
An einer Seite des Raumes standen drei Männer, alle hochgewachsen und gut aussehend, deren mittlerer in einem blauen Gewand gekleidet war, das den Tüchern an den Wänden und auf dem Boden glich. Alle drei lächelten, als sie uns erblickten, und der in der Mitte sagte zu Telion: »Ich muß Euch viel öfter aussenden, Telion, wenn Ihr jedesmal solch hübsche Andenken mitbringt.«
»Der Erwerb solcher Andenken ist aber sehr viel einfacher als ihr Unterhalt, Galiose«, entgegnete Telion mit einer leichten Verbeugung und fügte nach einer Pause hinzu: »Leider gibt es nach solch langer Abwesenheit wenig zu berichten für mich.« »Am wichtigsten ist, daß Ihr wohlbehalten wieder zurückgekehrt seid, Telion«, erwiderte der Mann, den Telion Galiose genannt hatte. »Daß Ihr von Lodistard zurückkamt, um mir beizustehen, läßt mich tief in Eurer Schuld stehen.« »Wie konnte ich anders?« sagte Telion, »wo ich mein Leben doch so oft Eurem Beistand zu verdanken hatte.« »Das werde ich Euch nie vergessen«, entgegnete Galiose. »Doch nun solltet Ihr uns Eure Begleiterinnen vorstellen.« »Galiose«, sagte Telion förmlich mit einer Armbewegung, »darf ich Euch mit Jalav, der Anführerin des Stammes der Hosta, und ihren Kriegerinnen Fayan und Larid bekanntmachen?«