»O nein«, entgegnete Gimin mit großer Genugtuung. »Ihr Weg war lang und mit endlosen Schmerzen gepflastert. Leider entkam uns der dritte, weil er etwas zurückgeblieben war. Sollten wir ihn hier finden, wird er uns aber nicht mehr entgehen. «
»Er ist hier«, erwiderte ich. »Er sieht aus wie ein Mädchen, und niemand außer mir wird ihn anrühren! Er trägt das Amulett derjenigen, die mich geboren hat, und nur ich werde es sein, der ihr Leben rächt.«
»Es sieht so aus, als hätten sie in ständiger Verbindung miteinander gestanden«, sagte Galiose zu Telion. »Und was habt Ihr mir erzählt? Allein und hilflos wurde sie hier hergebracht, bewacht von zwei starken Männern, von deren Gnade sie völlig abhing. Telion, wenn wir aus dieser Sache unbehelligt wieder herauskommen, werde ich nach einem Heiler für Euch Ausschau halten. Sicherlich hat der lange und anstrengende Ritt Euch geistig verwirrt.«
Mit einem letzten lauten Krachen brach die Tür ein. Wir drangen mit gezogenem Schwert ein und durchsuchten die Räume. Sie erwiesen sich alle als leer, bis wir ganz hinten eine weitere Tür fanden, die bald eingeschlagen war. Dahinter befanden sich Vistren, Arrelin, Filinar und der Mann mit dem Mädchengesicht. Alle außer Vistren hatten ihr Schwert gezogen. Vistren hielt etwas in der Hand, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Es war ein Gerät aus dickem und dünnem Metall, mit kleinen, runden und quadratischen Teilen. In der Mitte hatte es eine Fläche, die aus goldener Luft zu bestehen schien. Sie war unterteilt in drei scharf voneinander abgegrenzte Teilstücke, in denen rechts und links Midas Kristalle zu schweben schienen.
»Haltet ein!« befahl Vistren. »Dies ist ein Gerät aus uralten Zeiten, mit dem ich die Legionen der Götter zur Hilfe rufen kann. Unsere Vorfahren haben es angebetet, bis die mächtigen Kristalle aus ihm gestohlen wurden. Lange Jahre habe ich die Schriften der Alten studiert, bis ich einen Hinweis entdeckte, wo sich die Kristalle befinden könnten. Zwei von ihnen habe ich wieder aufgefunden, der dritte blieb verloren. Aber auch diese zwei genügen, um gegen jedes Schwert anzukommen. Die Macht gehört mir, die Macht über die ganze Welt.« Mit einem irren Lachen griff er nach einem runden Metallding und drehte daran, bevor ihn jemand hindern konnte. Wie mit unsichtbaren Schwertern wurden wir von scharfen und heißen Streichen getroffen. Vistren lachte, als wir versuchten, wieder auf unsere Füße zu kommen.
»Es bereitet ihnen Todespein«, kicherte er, und das tat es wahrscheinlich. »Frauen verspüren es immer. Mit drei Kristallen ist es nur schmerzvoll, mit zwei bereitet es Todespein, aber mit einem ist es absolut tödlich. Da ich den alten Schriften mißtraute, habe ich es mit dem einen Kristall ausprobiert, den ich damals hatte. Fast alle Frauen in Ranistard sind gestorben. Das ist auch der Grund, warum die Frauen die Kristalle mitnahmen. «
Durch die Wellen qualvoller Schmerzen hindurch bemerkte ich das Entsetzen auf den Gesichtern von Galiose und seinen Männern. Galiose trat einen Schritt vor und schrie mit geballten Fäusten: »Du hast unsere Frauen umgebracht? Für deine abstrusen Träume von der Weltherrschaft mußten Hunderte unschuldiger Frauen sterben! Stell das Ding sofort ab, hörst du!«
»Ich höre, aber ich gehorche nicht«, lachte Vistren. »Im nächsten Augenblick wird das Gerät bereit sein, Galiose, und dann sende ich meinen Ruf zu den Göttern und ihren Heerscharen. Du kannst mich nicht aufhalten, Galiose, dafür ist es zu spät!« Galiose trat zusammen mit Telion einen Schritt auf ihn zu, aber dann geschah etwas, was ich trotz meiner Qual deutlich wahrnehmen konnte. Die Kristalle hatten so ausgesehen wie immer, wolkig und trübe, aber plötzlich verwandelten sie sich. Vor unser aller Augen wurden sie erst glasklar, dann aber verdunkelten sie sich mehr und mehr. Sie wurden dunkler als die Dunkelheit der Nacht, dunkler als jeder Kerker. Sie verwandelten sich in eine absolut leere Dunkelheit, eine Dunkelheit, die eine eisige Kälte verbreitete. »Jetzt!« rief Vistren und griff wieder zu dem Gerät, aber diesmal ereilte ihn sein Schicksal. Ein Dolch flog auf ihn zu, geworfen von Larid, und obwohl sie sich in Todesqualen wand wie wir anderen, traf sie ihn mitten ins Herz. Mit einem Schrei versuchte er das Gerät noch zu erreichen, aber es war zu spät. Lautlos sank er zu Boden.
Telion ergriff das runde Metallstück und drehte es in die Stellung zurück, in der es gewesen war. Sofort hörten die Qualen auf. Einige meiner Kriegerinnen stöhnten lauf auf, und auch ich verspürte das Verlangen, zu stöhnen, unterdrückte es aber mit einem Gebet zu Mida.
»Werft Eure Waffen weg«, befahl Galiose den drei Gefolgsleuten Vistrens, die noch immer mit gezogenem Schwert dastanden. »Euer Meister ist tot, und ihr tätet gut daran, euch mir zu unterwerfen.«
Die Männer sahen sich an, dann warfen sie ihre Schwerter auf den Boden. Schnell schob ich meinen noch immer schmerzenden Körper zwischen Telion und das Gerät und sagte: »Die Hosta danken Euch für Eure Hilfe, Galiose. Wir werden nun nehmen, was uns gehört, und dann werden wir gehen.« »Mädchen, du kannst ja kaum stehen!« protestierte Galiose. »Wir werden uns dieser Schlächter der Unschuldigen schon annehmen, darauf hast du mein Wort. Du solltest dich mit deinen Kriegerinnen etwas ausruhen, bevor du zurückkehrst.« »Die Hosta werden sofort zurückkehren«, sagte ich, »und sie werden das mitnehmen, was ihnen gehört.« Mit einem Griff an ihre Schwerter verliehen meine Kriegerinnen meinen Worten Nachdruck. Ich wies auf Arrelin und den Mann mit dem Mädchengesicht, die beide erblaßten und zurückschraken. Zitternd wurden sie von meinen Kriegerinnen fortgeführt, und sie hatten wohl Grund zum Zittern, denn bitter würden sie für alles büßen müssen, was den Hosta angetan worden war. Galiose erhob keinen Einspruch.
Dann zwang ich mich, die Kristalle anzusehen, und fand zu meiner Erleichterung, daß sie so wolkig trübe wie zuvor waren. Ängstlich und höchst widerwillig versuchte ich, sie aus dem Gerät herauszunehmen, denn ich wußte, daß dies meine Pflicht war. Kaum hatte ich sie jedoch berührt, als ein blauer Blitz mich durchzuckte, der sengend von meinen Fingern bis auf den Grund meiner Seele fuhr. Ich mußte schreien und stürzte zu Boden.
Telion und Galiose wollten mir zu Hilfe kommen, wurden aber von meinen Kriegerinnen, die sich um mich bemühten, beiseite gestoßen. Durch den Schleier meiner Augen erblickte ich vor mir die strahlende Gestalt der Mida', die traurig ihren Kopf schüttelte. Ihre Kristalle waren nun außerhalb der Reichweite ihrer Hosta, das wußte sie. Sie hob den Arm und wies nach Süden, in unsere Heimat. Wir sollten zurückkehren, und das würden wir willig tun. Meine Kriegerinnen halfen mir auf die Beine, und ich brauchte einen Moment, ehe ich meine Kräfte wiedergewann, dann stieß ich mein Schwert in die Scheide und sagte schwach: »Die Hosta müssen nach Hause reiten. Die Stadt gehört euch wieder alleine.«
Telion und Galiose sahen mich fast traurig an, als mir gerade etwas einfiel. Ich griff in die Tasche unter meinem Schurz und zog das kleine Stück Metall heraus, das ich dort verborgen hatte. Merkwürdigerweise schien es warm zu sein. Dann gab ich es Telion und sagte: »Laß das Gebäude durchsuchen und ihn befreien.«
Telion sah mich verwundert an, aber ich hatte keine Kraft, mehr zu sagen. Geleitet von meinen Kriegerinnen, verließ ich schweigend den Raum und das Gebäude und hoffte, niemals hierher zurückkehren zu müssen.
15
Daheim in den Zelten der Hosta – und eine Gefangennahme
Wie freuten wir uns, als wir den Dennin wiedersahen, denn hinter ihm lag unsere Heimat. In vier Gruppen setzten wir wieder über, ich in der ersten Gruppe, wie zuvor. Meine Gesundheit war wiederhergestellt, aber immer noch beunruhigte mich der Gedanke an unseren Abschied von Ranistard. Wir hatten keinen besonders guten Anblick geboten, als wir es zusammen mit unseren zwei Gefangenen verließen. Mehrere der Kriegerinnen, die den Strahlen von Vistrens Gerät ausgesetzt gewesen waren, mußten sich auf die Schultern der anderen stützen, so schwach waren sie, und drei waren aus unerklärlichen Gründen gestorben. Übel, nichts als Übel verhießen die Städte, und niemals wieder, so schwor ich mir, würde ich eine von ihnen betreten.