Выбрать главу

Ich verstand nicht, was Phanisar damit meinte, aber Ceralt strahlte vor Freude, was ich gleichfalls nicht verstehen konnte. Doch mir blieb kaum Zeit darüber nachzudenken, denn Phanisar wandte sich wieder an mich.

»Sieh her, Jalav«, sagte er und deutete auf den Stapel, der neben ihm lag. »Diese Schriften sprechen von den Kristallen, und wohin zwei von ihnen gesendet wurden. Weißt du nicht, wo sich der dritte befindet?«

»Jalav weiß nur von zwei Kristallen«, erwiderte ich. Phanisar wendete die Tücher in dem Stapel langsam um, ich sah eine Menge schwarzer Striche auf ihnen. Ich wunderte mich noch, wie jemand so dumm sein konnte, so eine Menge schwarzer Striche zu machen, als plötzlich die Zeichen erschienen. Ich sah eine Linie von Händen, manche einzeln, manche zusammenstehend, die sich aber alle zu bewegen schienen. Erst wurde mir ihr Sinn nicht klar, bis ich plötzlich endeckte, daß es die Zeichensprache der Midanna war. Langsam entzifferte ich ihren Sinn. Der letzte der Kristalle, so hieß es, ist im Palast des Hohen Senats von Bellinard tief unten versteckt. Fünf Schritte vom ersten entfernt, dann zwanzig Schritte links. Wir beten darum, daß er nicht von den Männern gefunden wird. Ich dachte noch über den Sinn der Botschaft nach, als mir zu Bewußtsein kam, daß Phanisar nicht weiterblätterte, sondern mich aufmerksam beobachtete. Deshalb fragte ich: »Was für einen Sinn haben diese Zeichen? Sprechen sie auch zu Euch?« »Nicht in einer mir bekannten Zunge«, antwortet Phanisar. »Sprechen sie auch nicht mit dir?«

»Vielleicht kennt Mida ihre Bedeutung«, sagte ich. »Da die Kristalle ihr gehören, wird sie auch wissen, wo sie sind.« Galiose wollte sich einmischen, aber Phanisars Hand gebot ihm zu schweigen. »Das Weib scheint die Zeichen auch nicht zu kennen«, sagte er. »Wir müssen die Antwort anderswo suchen. «

Galiose erhob sich von seinem Sitz und sagte: »Vielleicht verstehst du nun, liebliche Jalav, warum wir die Kristalle nicht herausgeben. Sie gehören uns Männern, wurden uns aber von den Frauen gestohlen. Das darf nie wieder geschehen. Ich übergebe Jalav wieder Eurer Obhut«, sagte er dann zu Ceralt. »Sollte sie noch einmal ohne Erlaubnis in diesen Mauern ertappt werden, wird es ihr schlecht ergehen. Ich lasse Euch Bescheid geben, wenn sie mit den anderen sprechen soll.« Ceralt nickte wortlos und entfernte sich eilig mit mir. Draußen wehte ein kühler Wind. Ich schauderte und sehnte mich nach der warmen Heimat der Hosta. Ceralt bemerkte es und nahm mich in den Arm.

»Wie ich sehe, ist dir kühl«, sagte er. »Bald wird der Winter hier einziehen, der noch viel kälter ist. Dann werden die albernen Frauen, die sich nicht in Kleider hüllen, noch viel stärker frieren. Aber Jalav wird erst ein Kleid bekommen, wenn sie es wünscht, denn ich sehe sie auch so sehr gerne.« Ich fühlte, daß Ceralt die Wahrheit sprach, denn die Kälte machte mir bereits jetzt zu schaffen. Aber eine Hosta würde niemals freiwillig auf ihre Stammeskleidung verzichten, und ich war eine Hosta. Endlich erreichten wir Ceralts Behausung, und ihre Wärme war mir sehr willkommen. Ich wollte mich sofort in meinen Raum begeben, um über das nachdenken zu können, was ich erfahren hatte, als Ceralt mich fragte: »Du siehst sehr hungrig aus. Was hast du im Palast des Hohen Senats zu essen bekommen?«

»Nichts«, erwiderte ich und dachte an den Palast in Bellinard. Wo konnte dort der Kristall versteckt liegen, und wie kamen wir Hosta an ihn heran? Wenn es uns gelang, aus Ranistardzu flüchten, Bellinard zu erobern, den ändern Kristall zu finden, und in unsere Heimat zurückzukehren, würden wir sicher die anderen Midanna dazu bewegen können, mit uns zurückzureiten, um die beiden anderen Kristalle zurückzuerobern. Doch mußte ich dafür sorgen, daß Ceralt dabei kein Leid geschah. Er war ein merkwürdiger Mann, dieser Jäger, und merkwürdig waren die Gefühle, die ich für ihn hegte. »Nichts?« sagte Ceralt aufgebracht. »Läßt der Hohe Senat seine Gefangenen einfach verhungern? Jalav, du wirst mich jetzt sofort darum bitten, mit mir mein Essen teilen zu dürfen, oder ich werde sehr zornig sein. Willst du, daß ich zornig bin?« Ich streichelte ihn sachte und erwiderte: »Jalav möchte nicht, daß Ceralt zornig ist. Deshalb bittet sie ihn darum, mit ihm sein Essen teilen zu dürfen.«

»Sehr gut gemacht«, meinte Ceralt lachend und zog mich an sich. »Ich glaube, ich muß selbst fortfahren, dich zu unterrichten, dann wirst du bald zivilisiert sein. Komm, Inala wird das Essen bringen.«

Ich folgte ihm in den Raum mit der roten Seide, wo er Inala anwies, das Essen hereinzubringen. Unschuldsvoll fragte sie: »Soll es auch eine Kanne Renth sein?« Ceralt zuckte zusammen und sagte: »Der Renth rumort noch in meinem Kopf. Bringe mir nur etwas Wasser.« »Wie der Herr wünscht«, entgegnete sie, dann fragte sie mich: »Wünscht die Herrin einen Becher Renth?« »Etwas Renth könnte ich schon vertragen«, erwiderte ich. Ceralt sah mich ungläubig an, dann meinte er: »Natürlich, du hast nicht so viel getrunken, wie Telion und ich.« »O nein, Herr«, sagte Inala mit kaum verborgener Belustigung, »die Herrin hat sehr viel mehr Renth getrunken als Ihr, ohne daß er ihr etwas anhaben konnte.« Ceralt winkte sie hinaus, dann setzte er sich und sah mich unbehaglich an. Das Mahl verlief schweigend. Immer, wenn Inala meinen Becher wieder mit Renth füllte, schüttelte er den Kopf und blickte mich ungläubig an.

Nach dem Essen holte er ein großes Stück steifes Tuch und eine Holzkohle, wie sie das Weib Lodda gehabt hatte, und machte damit Striche, von denen er behauptete, sie hießen Jalav. Ich wollte ihm nicht wehtun und widersprach diesem Unsinn deshalb nicht. Während er weitere Striche machte, die er »Buchstaben« nannte, dachte ich darüber nach, wie wir in den Besitz der Kristalle gelangen konnten. Die Hosta mußte aus Ranistard fliehen, das war klar, aber wie war das zu bewerkstelligen?

Ceralt war sehr böse, als er herausfand, daß ich ihm überhaupt nicht zugehört hatte. Sein Ärger machte mich traurig, und schweigend badete ich in dem großen Topf, den Inala mit Wasser füllte. Bald würde ich ihn schon wieder verlassen müssen, und das würde ihn noch zorniger machen. Es war Midas Wille, und trotzdem bekümmerte es mich. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, als endlich mein Haar getrocknet und gekämmt war, und mich Ceralt zu einer weiteren Mahlzeit rief. Offensichtlich war er noch immer böse wegen dieser albernen Sache mir den Strichen, und allmählich regte ich mich auch auf. Ich machte mir nun einmal nichts aus Strichen und Buchstaben. Konnte er das nicht verstehen? Offensichtlich noch mehr in Rage brachte ihn aber, daß ich auch bei dieser Mahlzeit kräftig dem Renth zusprach. Als wir satt waren, stand er abrupt auf und sagte: »Es ist schon dunkel, mein Weib. Wir sollten uns zurückziehen. Morgen werde ich mich erneut darum kümmern, daß du die Buchstaben lernst.«

»Jalav hat schon viele Dinge gelernt«, entgegnete ich. »Sie kennt die Spuren der Hadat, der Lenga und der Falth. Sie kennt den Ruf des Lellin und den Flug des Wrettan, und sie weiß mit einem Gando umzugehen. Sie weiß, wie sie sich selbst mit Nahrung versorgt, und wo sie Wasser findet. Sie kann für ihre eigene Sicherheit in den Wäldern sorgen, sie weiß, wie man den Bogen spannt, den Speer wirft, das Schwert schwingt. Können die Striche, die du machst, sie noch mehr lehren?«

»Die ›Striche‹, wie du sie nennst, können dich noch sehr viel mehr lehren, Jalav«, erwiderte Ceralt mit einem Lächeln. »Weißt du denn auch, wo man die verschiedenen Metalle findet, wie man die Steine aufeinanderschichtet, daß sie ein Haus ergeben, das nicht zusammenfällt; kennst du die richtige Jahreszeit, um auszusäen, weiß du, wie man sich mit Hilfe von Spiegeln eine Botschaft zukommen läßt? All dies können dich die ›Striche‹ lehren, wenn du sie selbst erst einmal gelernt hast.« »Jalav hat keinen Bedarf dafür«, entgegnete ich kühl. »Die Hosta leben nicht in Städten, wo sie Metall oder Häuser brauchen oder Samen aussäen müssen.«

»Doch, nun leben die Hosta in der Stadt«, antwortete Ceralt lachend, »und sie müssen diese Dinge lernen, um ihren Männern zu gefallen. Komm nun, die Nacht verstreicht viel zu schnell.«