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Torne setzte sich, griff nach einer Juwelierlupe und begutachtete die Einzelteile fachmännisch. »Jernigans größte Schöpfung«, sagte er, und seine Ehrfurcht war nicht gespielt. »Obwohl der Wahnsinn bereits nach ihm gegriffen hat, als er die Lampe konstruierte. Er fürchtete sich vor den Träumen, die die Alben ihm sandten - so sehr, dass er sich Tag und Nacht mit einem Licht umgeben wollte, das kein Alb ertragen kann.«

»Ich kenne die Geschichte«, sagte Lucien ungeduldig. »Der Harlekin hat die Lampe benutzt, um Aziel im Zweikampf zu besiegen. Obwohl sie als verschollen galt. Ich will wissen, woher er sie hatte.«

»Sie war nicht verschollen. Sie befand sich im Besitz eines Sammlers. Ein reicher Patrizier aus Scotia, Duncan Banister.«

»Hat man sie ihm gestohlen?«

»Keineswegs. Ich hörte, Corvas hat nach der Lampe gesucht. Er soll Banister viel Geld dafür bezahlt haben.«

»Der Corvas?«, fragte Lucien alarmiert. »Die alte Krähe?«

»Kein Geringerer.«

»Wann war das?«

»Vor ein oder zwei Monaten.«

Also vor dem Zweikampf. Das passte zusammen. Nun begriff Lucien, warum Aziel so versessen darauf war, die Wahrheit über die Lampe herauszufinden.

Plötzlich fiel ihm auf, dass der weißhäutige Jüngling, der die ganze Zeit reglos neben dem Tisch gestanden hatte, verschwunden war.

Torne lächelte... und blickte für einen Wimpernschlag an ihm vorbei.

Instinktiv wirbelte Lucien herum. Ein weißer Schemen sprang aus dem Halbdunkel, eine Klinge verfehlte ihn und schrammte über die Tischplatte. Der Jüngling schrie vor Zorn.

Lucien versetzte ihm einen Tritt, der den Doppelgänger gegen den Schrank schleuderte. Dabei verlor er jedoch das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.

Das Amulett entglitt seinen Fingern, schlitterte über die Steinplatten und blieb genau vor Torne liegen.

Der Alchymist stellte den Fuß darauf und rief: »Hast du wirklich gedacht, ich lasse mir einen frischen, kraftstrotzenden Alben entgehen?«

Lucien spürte, dass seine Kräfte zurückgekehrt waren. »Schlaf«, befahl er.

Torne lachte ihn aus. »Vergiss es. Deine billigen Tricks helfen dir hier nicht.«

Der Alb riss ein Messer aus seinem Gürtel und warf es. Torne ächzte vor Schmerz, als ihn die Klinge am Arm verletzte. Blut tränkte seine Robe. Mit wutverzerrtem Gesicht zertrat er das Amulett.

Entsetzen wallte in Lucien auf. Bevor er sich herumwarf und losrannte, sah er noch, wie Torne gegen den Tisch taumelte, während vor ihm blutrote Schleier emporwirbelten, begleitet von unmenschlichem Heulen.

Der Mantikor verfiel in Raserei. Wieder und wieder rannte er gegen die Gitterstäbe an und brüllte dabei.

Lucien ging hinter dem Käfig in Deckung. »Wenn ich dir helfe, versprichst du dann, mich nicht zu fressen?«

Das Ungeheuer hörte auf zu toben. Ein tiefes Grollen drang aus seinem Maul. Trübe Augen musterten ihn. Vielleicht hatte es verstanden - vielleicht aber auch nicht.

Lucien blickte zu den Schemen und Fratzen aus Blutnebel, die um die Rohre und Kessel heulten und immer körperhafter wurden. Ihm blieb keine andere Wahl. Er stieß seinen Dietrich in das Schloss des Käfigs und rührte hektisch darin herum. Plötzlich öffnete sich die Gittertür. Er wurde zu Boden gestoßen, als der Mantikor mit einem gewaltigen Sprung sein Gefängnis verließ. Das Ungeheuer brüllte markerschütternd, sein Stachelschwanz zuckte durch die Luft.

Tornes Doppelgänger rappelte sich auf und versuchte zu fliehen, doch er war viel zu langsam. Der Mantikor stürzte sich auf ihn und zerfetzte ihm mit einem Prankenhieb die Brust, bevor er Torne entdeckte und mit ausgebreiteten Schwingen über den Tisch sprang.

Lucien nutzte die Gelegenheit und lief los, vorbei an dem Schrank, wo der Jüngling lag. Während der Doppelgänger starb, erschienen auf seinem Gesicht die Züge all jener Menschen, die er in seinem Leben nachgeahmt hatte, Männer und Frauen, Alte und Junge, Blasse und Dunkelhäutige, als setze er ständig neue Masken auf.

Lucien versteckte sich hinter dem großen Kessel, denn er fürchtete, andernfalls den Blutgeist auf sich aufmerksam zu machen. Torne kroch währenddessen unter das Gewirr der Rohre und Pumpen. Der Mantikor setzte ihm nach und schlitzte mit seinen Krallen einen Ofen auf, der daraufhin in einer Wolke aus Dampf barst und das Ungeheuer durch die Luft schleuderte. Torne kreischte vor Schmerz, als die heißen Schwaden ihn verbrühten.

»Lucien!«, schrie er. »Das wirst du mir büßen! Hol ihn dir!«, befahl er dem Blutnebel, doch die geisterhaften Schemen hatten bereits ein anderes Opfer ausgemacht. Heulend stürzten sie sich auf den Mantikor, der mit seinen Pranken nach ihnen schlug.

Durch den explodierten Ofen war das gesamte System der Kessel und Pumpen aus dem Gleichgewicht geraten. Rohre platzten, als der Druck zu stark für die Ventile wurde. Schaum quoll aus den Kolben. Glas bekam Risse. Eisen ächzte.

Lucien rannte, sprang über ätzende Pfützen, wich Dampffontänen aus, duckte sich unter zischenden Rohren hindurch, während Torne schrie und schrie und schrie, bis ihn das Fauchen der Kessel und das Heulen der Geister übertönte.

21

Die Manusch

Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee weckte Liam. Müde setzte er sich auf. Er hatte in Quindals Gästezimmer geschlafen, denn gestern Nacht hatte er noch lange mit dem Erfinder geredet, bis es schließlich zu spät gewesen war, zum Palast zurückzukehren. Er wusch sich am Messingzuber, schlüpfte in seine Kleider und ging zum Saal.

Es war noch früh. Das Licht der Morgendämmerung fiel durch die Glaskuppel und überzog die Buchrücken in den Wandregalen und das Mosaik mit einem roten Glühen. Aus dem Salon, wo der Kaffeeduft herkam, drangen leise Stimmen.

Hatte sich Vivana etwa mit ihrem Vater versöhnt? Bei dem Gedanken daran, ihr wiederzubegegnen, begann es in Liams Magen zu kribbeln. Gestern abend schon hatte er die ganze Zeit an sie denken müssen. Und nun das. Was war nur mit ihm los?

Kritisch betrachtete er sein Spiegelbild in einer Lampenhalterung und ordnete seine Haare, ehe er den Salon betrat.

Zu seiner Enttäuschung war es nicht Vivana, mit der Quindal redete. In der offenen Geheimtür, halb verdeckt von dem Regalsegment, stand ein Mann in einem fadenscheinigen Tweedanzug, eine Melone auf dem Kopf. Er hatte ein langes Gesicht und kränklich blasse Haut, und während er flüsternd mit Quindal sprach, wurden seine Hände für einen Augenblick durchsichtig. Goldene Schlieren folgten ihren Bewegungen, bevor sie sich wieder verfestigten und wie gewöhnliche Hände aussahen.

Liam blinzelte. Hatte er so wenig geschlafen, dass er schon halluzinierte?

Der Fremde verabschiedete sich von Quindal und schloss die Geheimtür hinter sich. Kurz darauf erklang das Rasseln des Fahrstuhls. Erst jetzt bemerkte der Erfinder Liam.

»Wie lange stehst du schon da?«, schnarrte er.

»Ich bin eben erst gekommen. Wer war das?«

»Ein Freund.«

»Was ist mit seinen...«

»Setz dich«, fiel Quindal ihm ins Wort. »Wir müssen reden.«

Beunruhigt nahm Liam auf einem der Lehnstühle Platz. »Ist etwas passiert?«

Der Wissenschaftler goss Kaffee in zwei Tassen. Sein Gesicht war noch zerfurchter als sonst. »Auf Lady Sarka wurde ein Anschlag verübt.«

Plötzlich war Liam hellwach. »Wann?«

»Gestern Abend, während du hier warst. Die Attentäter haben das Fest überfallen, das sie im Palastgarten gab. Aber ihre Leibwächter konnten den Angriff zurückschlagen. Die Lady wurde anscheinend nicht verletzt.«

»Und die Bediensteten? Sind sie wohlauf?«

»Darüber habe ich keine Informationen.«

Liam schwieg bestürzt. Er hoffte inständig, dass Jackon nichts zugestoßen war.