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»Die Attentäter gehörten zu einer Gruppe, die plante, dem Magistrat seine Macht zurückzugeben und Bradost wieder zu einer Republik zu machen«, fuhr Quindal fort. »Deshalb wollten sie die Lady ermorden. Und offenbar auch einige ihrer Vertrauten. Das würde zumindest erklären, warum sie während des Festes zugeschlagen haben.«

»Woher wissen Sie das alles?« Liam kam ein beunruhigender Gedanke. »Sie haben doch nichts damit zu tun, oder?«

»Natürlich nicht«, erwiderte der Erfinder barsch. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mit Verschwörungen fertig bin. Hör zu: Seit Mitternacht streifen Corvas und seine Spiegelmänner durch die Stadt und verhaften jeden, der im Verdacht steht, in die Sache verwickelt zu sein. Ich kenne Corvas. Er wird erst aufhören, wenn er sicher ist, dass er jegliche Bedrohung für die Lordkanzlerin im Keim erstickt hat. Jeden kann es treffen. Auch dich. Deshalb musst du ab jetzt zehnmal so vorsichtig sein wie bisher. Verhalte dich unauffällig. Tue nichts, womit du dich verdächtig machen könntest. Hast du verstanden?«

Liam nickte verunsichert.

»Noch lieber wäre es mir, du würdest dir diese Geschichte aus dem Kopf schlagen«, fuhr Quindal fort.

»Ich soll aufhören, nach dem Buch zu suchen?«

»Ja. Es ist zu gefährlich. Ich wünschte, ich hätte dich nie dazu ermutigt.«

»Sie wissen, dass ich das nicht kann.«

»Warum nicht? Niemand zwingt dich dazu.«

»Aber ich bin es meinem Vater schuldig.«

»Immerzu redest du von deinem Vater«, knurrte der Erfinder. »Dein Vater hätte gewollt, dass du ein normales Leben führst.«

»Für mich gibt es kein normales Leben mehr«, erwiderte Liam.

»Das glaubst du jetzt. Aber du bist noch jung - jung genug, um von vorne anzufangen. Ich habe dir schon einmal angeboten, dass du für mich arbeiten kannst. Du bist ein kluger Kopf. Unter meiner Anleitung könntest du es zu etwas bringen.«

Liam wusste es zu schätzen, dass sich Quindal so viele Gedanken um sein Wohlergehen machte. Aber er hatte seine Entscheidung getroffen. »Nein«, sagte er. »Ich muss wissen, worauf mein Vater gestoßen ist. Vorher kann ich nicht neu anfangen.«

Quindal schnaubte. »Warum mache ich mir überhaupt die Mühe, mit dir zu reden? Du hörst ja doch nicht auf mich.«

»Ich verspreche Ihnen ja, vorsichtig zu sein.«

»Als ob ich dadurch ruhiger schlafen könnte. Also gut. Trink deinen Kaffee. Ich rufe derweil eine Droschke, die dich zum Palast zurückbringt. Sicher vermisst man dich bereits.«

Wenig später fuhr Liam in einem Zweispänner durch den Kessel. Vom Sonnenaufgang war hier unten kaum etwas zu sehen, denn in der Nacht war Nebel aufgezogen, der vom Fluss durch die Gassen kroch und sich zwischen den Häusern und Fabrikmauern festsetzte. Die Gaslaternen glühten wie Irrlichter in den dunstigen Schwaden.

Als sie die Altstadt erreichten, wurde die Droschke von Soldaten angehalten. Obwohl der Kutscher protestierte und drohte, sich bei Quindal zu beschweren, bestanden die Männer darauf, das Gefährt zu durchsuchen. Liam musste einige harmlose Fragen beantworten, dann ließ man ihn in Ruhe. Als sich abzeichnete, dass die Kontrolle länger dauerte, beschloss er, den Rest des Weges zu Fuß zu gehen.

In der Stadt herrschte eine seltsame Stimmung. An jeder Straßenecke waren Soldaten postiert, zum Schutz gegen den Nebel in Filzmäntel gehüllt, Piken und Hakenlanzen in den Händen. Die Nachricht von dem Anschlag hatte sich offenbar schon überall herumgesprochen, denn wohin Liam blickte, standen Leute zusammen und unterhielten sich flüsternd, die Gesichter voller Angst und Misstrauen. Von einem Zeitungsjungen kaufte er ein Exemplar der Morgenausgabe, in der über die jüngsten Geschehnisse berichtet wurde. Allerdings unterschied sich der Artikel sehr von Quindals Darstellung des Vorfalls: Darin wurden die Attentäter als Mörder und Banditen bezeichnet, die Lady Sarka heimtückisch nach dem Leben trachteten, um Bradost ins Chaos zu stürzen. Kein Wort von ihrer Absicht, die Stadt zu befreien und eine neue Republik auszurufen. Es war dieselbe Art von Lügen, die seit Jahren sämtliche Zeitungen füllte. Liam zerknüllte das Blatt und warf es in den Rinnstein.

Vor dem Palast wimmelte es von Soldaten. Mehrmals musste er erklären, dass er zur Dienerschaft gehörte, bis man ihm endlich glaubte und ihn einließ. Drinnen bot sich ihm ein Anblick, bei dem ihm der Atem stockte. Nach Quindals Schilderung des Angriffs hatte er sich auf alles Mögliche gefasst gemacht, auf Kampfspuren, Leichen - aber nicht auf ein zerstörtes Luftschiff, das im Garten lag. Dutzende von Arbeitern, offenbar von den Werften, kletterten auf dem Rumpf herum, entfernten die zerfetzte Hülle und begannen, das Stahlgerippe darunter zu zerlegen.

Auf dem Weg zum Anwesen traf er Jackon, der mit einer Axt einen entwurzelten Baum bearbeitete. Zu seiner Erleichterung war der Rothaarige wohlauf.

»Liam! Du glaubst nicht, was hier passiert ist! Wo warst du überhaupt?«

»Ich habe bei meinem Großonkel übernachtet. Wo kommt das Luftschiff her?«

Im gleichen Moment tauchte Hume auf. Der Gärtner machte einen verkaterten Eindruck. »Da bist du ja endlich, Liam«, tadelte er ihn halbherzig. »Geh und zieh dich um. Es gibt viel zu tun.«

Hume wies sie an, die Bäume zu beseitigen, die das Luftschiff umgeknickt hatte, sodass sie die nächsten Stunden nur damit beschäftigt waren. Jackon erzählte ihm währenddessen in allen Einzelheiten von dem Anschlag und dem Absturz des Luftschiffs, doch Liam hörte nur mit einem Ohr zu. Besorgt beobachtete er die Spiegelmänner, die im Anwesen ein- und ausgingen. Ihre Anzahl musste sich verdoppelt haben. Jeder Zugang wurde jetzt bewacht, sogar der Eingang des Gesindeflügels. Wenn es dabei blieb, würde das seine Pläne nicht gerade vereinfachen.

Gegen Mittag rief ihn Hume zu sich. Das Gesicht des Gärtners war verschwitzt und gerötet. Die brutale Störung seines gewohnten Tagesablaufs schien den armen Kerl heillos zu überfordern.

»Du musst mir einen Gefallen tun, Liam. Bring diese Nachricht zur Luftschiffreederei von Jasper Brent. Er soll noch mehr Arbeiter schicken. Sonst dauert es Tage, bis dieses Monstrum aus meinem Garten verschwunden ist.«

Liam nahm den verschlossenen Umschlag entgegen. »Wo ist die Reederei?«

»Am Wollmarkt. Die Altstadt ist immer noch abgeriegelt, deswegen gehst du am besten zu Fuß. Und lass dich nicht von Brent abwimmeln. Umbra macht mir andernfalls die Hölle heiß.«

Liam machte sich gleich auf den Weg. Die Sonne hatte den Nebel längst vertrieben, und eine drückende Hitze lastete auf der Stadt. Menschenmassen strömten zum Magistratsgebäude am Flussufer, denn überall verkündeten Ausrufer, Lady Sarka wolle zu den Stadtbewohnern sprechen, um die Gerüchte über ihren Tod zu zerstreuen. Liam ging in die entgegengesetzte Richtung, denn der Wollmarkt lag am nördlichen Rand der Altstadt, an einem Wasserkanal, der das alte Stadtzentrum vom Labyrinth, dem Vergnügungsviertel Bradosts, trennte. In der Markthalle aus verwitterten Ziegelsteinen, wo an sieben Tagen die Woche von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang Handel getrieben wurde, herrschte kaum Betrieb. Wegen der angespannten Lage in der Stadt waren die meisten Wollhändler offenbar zu Hause geblieben.

Die Luftschiffreederei befand sich in einem mehrstöckigen Eckhaus, dessen Fassade der Rauch der Kamine im Lauf der Jahrzehnte fast schwarz gefärbt hatte. Hinter den Fenstern im Erdgeschoss saßen Schreiber und gingen ihrer Arbeit nach. Das Blechschild über dem Eingang zeigte ein kühn aufsteigendes Luftschiff.

Mit der Nachricht in der Hand trat Liam ein.

Vivana wartete, bis ihr Vater zur Arbeit gegangen war, bevor sie ihr Zimmer verließ, Ruac fütterte und sich auf den Weg machte, sodass sie erst am späten Vormittag beim Wanderzirkus eintraf. Die Kinder tollten zwischen den bunten Reisewagen herum und schrien freudig, als sie Vivana entdeckten. Sie gab ihnen die Bonbons, die sie unterwegs gekauft hatte, und ging zu ihrem Onkel und dessen Brüdern. Die vier Männer arbeiteten an einem Wagen, der dringend zwei neue Achsen und einen frischen Anstrich benötigte.