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Das Foto hinter dem Glas war alt und fleckig. Es zeigte einen jungen Mann etwa meines Alters, also Anfang zwanzig, in Flugausrüstung. Aber nicht in einer blauen Nylonkombination und mit dem Sturzhelm aus glänzendem Plastik, wie sie heute getragen werden. Er trug dicke schaffellgefütterte Stiefel, grobe Sergehosen und die schwere Schaffelljacke mit Reißverschluß. Von seiner linken Hand baumelte ein altmodischer Pilotenhelm aus weichem Leder, an dem eine Schutzbrille befestigt war anstatt des modernen getönten Helmvisiers. Er stand breitbeinig da, die rechte Hand in der Hüfte, eine forsche Pose, aber er lächelte nicht.

Er starrte mit grimmiger Entschlossenheit in die Kamera. In seinen Augen lag ein trauriger Ausdruck.

Hinter ihm war ganz deutlich seine Maschine zu sehen.

Unverkennbar das schwanke, schlanke Profil des MosquitoJagdbombers, unter den Tragflächen die beiden Gondeln mit den Merlin-Zwillingsmotoren, denen dieser

Flugzeugtyp seine fabelhafte Leistungsfähigkeit verdankte. Ich wollte gerade Joe etwas fragen, als der kalte Luftzug meinen Nacken streifte. Eines der Fenster hatte sich geöffnet, und die eisige Luft strömte herein.

«Ich schließe es gleich, Sir«, sagte der alte Mann und machte Miene, das ganze Geschirr wieder abzustellen.

«Lassen Sie nur, das mach ich schon. «Mit zwei langen Schritten war ich beim Fenster, dessen Flügel in seinem Stahlrahmen schwang. Um es besser schließen zu können, trat ich hinter den Vorhang und starrte hinaus. Der Nebel drehte sich in Spiralen um das alte Kasinogebäude, der warme Luftstrom aus dem Fenster hatte ihn aufgewirbelt.

Irgendwo, weit weg in diesem Nebel, glaubte ich, das Dröhnen von Flugzeugen zu hören. Aber da draußen gab es keine Flugzeuge, höchstens das Motorrad eines Bauernjungen, der drüben, hinter dem Moor, von einem Besuch bei seinem Mädchen heimfuhr. Ich schloß das Fenster, überzeugte mich, daß es nicht mehr aufgehen konnte, und wandte mich wieder ins Zimmer.»Wer ist der Pilot, Joe?«

«Der Pilot, Sir?«

Ich wies mit dem Kopf auf das einsame Foto auf dem Kaminsims.

«Ach so, Sir. Das ist ein Foto von Mr. Kavanagh. Er ist während des Krieges hiergewesen, Sir. «Er stellte das Weinglas zuoberst auf den Geschirrberg, den er in der Hand hielt.

«Kavanagh?«Ich trat wieder vor das Bild und betrachtete es genauer.

«Ja, Sir. Ein irischer Herr. Eine Kanone, wenn ich so sagen darf. Und das hier, Sir, das war sein Zimmer.«

«In welchem Geschwader war er, Joe?«Ich musterte noch immer die Maschine im Hintergrund.»Pfadfinder, Sir. Haben Mosquitos geflogen. Allesamt Kanonen, Sir. Aber ich behaupte

doch, Mr. Johnny war der Größte von allen.

Allerdings bin ich Partei, Sir. Ich war nämlich sein Bursche.«

Es gab keinen Zweifel. Die schwach sichtbaren Buchstaben auf der Nase der Mosquito hinter der Gestalt auf dem Bild lauteten J K. Nicht Juliet Kilo, sondern Johnny Kavanagh. Die ganze Geschichte war schlicht und einfach die: Kavanagh war mit Leib und Seele Pilot gewesen. Nach dem Krieg war er aus der Royal Air Force ausgeschieden und vermutlich in den Gebrauchtwagenhandel eingestiegen wie so viele. Im Boom der fünfziger Jahre hatte er einen Haufen Geld gescheffelt, sich wahrscheinlich ein schönes Landhaus gekauft und noch genügend übrig gehabt, um wieder seiner einzigen Leidenschaft zu frönen — dem Fliegen. Oder auch, um die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, seine Glanzzeit. Er hatte bei einer der Versteigerungen ausgedienter Flugzeuge, wie sie von der R. A. F. von Zeit zu Zeit abgehalten werden, eine alte Mosquito erstanden, wieder flottgemacht und gondelte nun mit ihr herum, wann immer es ihm Spaß machte. Keine üble Freizeitgestaltung, wenn man das nötige Kleingeld hat.

So war er auch heute nacht von einer Spritztour nach Europa zurückgekommen, hatte mich über der Wolkenbank meine Dreiecke fliegen sehen, begriffen, daß ich in Bedrängnis war, und mich ins Schlepptau genommen. Nach genauer Standortbestimmung durch Kreuzpeilung hatte er, da er diesen Küstenabschnitt in- und auswendig kannte, den Versuch unternommen, sogar in dieser Waschküche seinen alten Flugplatz in Minton zu finden. Ein enormes Risiko.

Aber ich hatte ja ohnehin keinen Treibstoff mehr, also hieß es, aufs Ganze gehen.

Ich zweifelte nicht daran, daß ich den Mann aufspüren könnte, am besten über den Royal Aero Club.

«Ja, er muß ein guter Pilot gewesen sein«, sagte ich nachdrücklich und dachte daran, was er heute nacht geleistet hatte.

«Der beste, Sir«, erwiderte der alte Joe hinter mir.»Alle sagten, er hat Augen wie eine Katze, unser Master Johnny.

Ich weiß noch, wie oft das Geschwader vom Einsatz zurückgekommen ist, und dann sind die anderen jungen Herren in die Bar gegangen und haben ein Glas getrunken.

Meistens mehrere.«

«Und er hat nicht getrunken?«fragte ich.»O doch, Sir, aber oft und oft hat er seine Mosquito frisch auftanken lassen und ist ganz allein nochmals rauf, zurück über den Kanal oder die Nordsee, und hat nach angeschlagenen Bombern Ausschau gehalten, die in Richtung Heimat dahergehumpelt sind. Die hat er dann nach Hause gelotst.«

Ich überlegte. Diese großen Bomber hatten doch ihre eigenen Bomberstationen, die sie anfliegen konnten.

«Ein paar von ihnen hatten immer eine Menge feindliches Flakfeuer abgekriegt, und manchmal war ihr Funk kaputtgeschossen. Sie kamen von überallher. Marham, Scampton, Cotteshall, Waddington, die großen Viermotorigen, Halifax, Stirlings und Lancasters. Ein bißchen vor Ihrer Zeit, Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«

«Ich hab sie bloß auf Bildern gesehen«, gab ich zu.»Und wenn welche bei Luftparaden mitgeflogen sind. Diese Bomber hat er also dann zurückgelotst?«

Ich konnte die Invaliden im Geist vor mir sehen, klaffende Löcher in Rumpf, Tragflügeln und Heck, ächzend und schwankend, während der Pilot sich mühte, sie auf Heimatkurs zu halten, eine verwundete oder sterbende Besatzung und die Funkeinrichtung total zerstört. Und ich kannte aus jüngster Erfahrung die bittere Einsamkeit des winterlichen Nachthimmels, ohne Funk, ohne einen Lotsen, der den Weg nach Hause weist, und alles Land vom Nebel verschluckt.

«Ja, so war’s, Sir. Er startete noch in der gleichen Nacht zu einem zweiten Flug, zu einer Streife über der Nordsee, und suchte angeschlagene Maschinen. Die lotste er dann heim, hierher nach Minton, manchmal durch einen Nebel, so dick, daß man die Hand nicht vor den Augen sah. Einen sechsten Sinn hat er gehabt, hieß es; muß sein irisches Blut gewesen sein.«

Ich wandte mich von dem Foto ab und drückte den Zigarettenrest im Aschenbecher auf dem Nachttisch aus. Joe stand an der Tür.»Ein toller Bursche«, sagte ich in aufrichtiger Bewunderung. Noch heute war er, obwohl er schließlich nicht mehr zu den Jüngsten gehörte, ein ausgezeichneter Pilot.

«O ja, Sir, ein toller Bursche, wie Sie sagen, unser Mr. Johnny.

Ich weiß noch, wie er einmal zu mir gesagt hat — er hat genau an der Stelle gestanden wie Sie jetzt, dort am Kamin. Joe, hat er gesagt, solang noch einer von ihnen dort droben in der Nacht herumkutschiert und den Heimweg sucht, steig ich auf und hol ihn zurück.«

Ich nickte ernst. Die Verehrung des alten Mannes für seinen ehemaligen Offizier hatte alle die Jahre überdauert.

«Ja«, sagte ich,»und es sieht ganz so aus, als würde er’s noch heute so halten.«

Jetzt lächelte Joe.

«Ach, das glaub ich wieder weniger, Sir. Mister Johnny ist zu seinem letzten Suchflug in der Christnacht 1943 aufgestiegen, genau heute vor vierzehn Jahren. Er kam nie zurück, Sir.

Liegt mit seiner Maschine irgendwo da draußen in der Nordsee. Gute Nacht, Sir. Und gesegnete Weihnachten.«