Der Kontrollbeamte machte eine unglückliche Miene, stimmte aber zu. Er bat Muller, in die medizinische Abteilung zu gehen, sich dort an den Diagnostat anzuschließen und so bald wie möglich die Ergebnisse durchzugeben. Wenig später erschien das ernste, schokoladenfarbene Gesicht des Stationsarztes auf Mullers Bildschirm. Er sagte: „Sehr, sehr merkwürdig, Mr. Muller.“
„Was denn?“
„Ich habe Ihre Diagnostatergebnisse in unsere Anlage eingespeist. Keinerlei unübliche Symptome sind zu erkennen. Ich habe auch Christiansen untersuchen lassen — mit dem gleichen Ergebnis. Er behauptet, sich jetzt wieder gut zu fühlen. Er sagte mir, daß er in dem Augenblick, als er Ihnen gegenübertrat, von akuten Depressionen befallen worden sei, die sich rasch zu einer Art Paralyse des ganzen Metabolismus ausgeweitet hätten. Mit anderen Worten, er habe sich so scheußlich gefühlt, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.“
„Neigt er zu solchen Depressionen?“
„Nein, eigentlich nie“, antwortete der Mediziner. „Ich würde mich gern selbst davon überzeugen. Darf ich zu Ihnen kommen?“
Der Arzt brach nicht wie Christiansen vor Schmerz zusammen. Aber er blieb auch nicht lange, und als er ging, rannen ihm Tränen über das Gesicht. Die Sache verblüffte ihn genauso wie Muller. Als der neue Pilot zwanzig Minuten später erschien und dem Schiff den richtigen Kurs für die Landung auf der Erde eingab, legte er den Helm nicht ab. Er saß stocksteif an den Kontrollen und kehrte Muller den Rücken zu. Er sprach während des ganzen Fluges kein einziges Wort und schien Mullers Anwesenheit kaum wahrzunehmen. Wie die Vorschriften es verlangten, bremste er das Schiff in einer großen Schleife ab, bis es in den Wirkungsbereich des auf der Erde stehenden Landungsregulators gekommen war. Danach verließ er unverzüglich das Schiff. Muller sah das Gesicht des Mannes: angespannt, schweißglänzend, zusammengepreßte Lippen. Der Lotse nickte kurz und verschwand durch die Luke. Ich muß einen scheußlichen Geruch ausströmen, dachte Muller, daß er mich selbst durch einen Schutzanzug hindurch riechen kann.
Die Landung wurde automatisch vorgenommen und war reine Routine.
Am Raumhafen gelangte er rasch durch die Kontrollen. Die Entscheidung über seine Einreiseerlaubnis wurde schon nach einer halben Stunde gefällt. Muller, der solche Computeruntersuchungen schon hunderte Male mitgemacht hatte, sagte sich, daß er mit dreißig Minuten so etwas wie einen neuen Rekord aufgestellt hatte. Er hatte befürchtet, das riesige Raumhafendiagnostat würde auf das seltsame Leiden stoßen, das sein eigenes Gerät und der Arzt auf der Verkehrsstation nicht hatten entdecken können. Aber er durchlief ohne Schwierigkeiten die Anlage: Er ließ sich mit Schallwellen duschen und sich diverse Proben entnehmen, aber nach einiger Zeit hatte er diese Untersuchung hinter sich gebracht, ohne daß Klingeln schrillten oder Warnlämpchen zu blinken anfingen. Genehmigt. Als nächstes trat er vor den Zollautomaten. Woher kommen Sie? Welches Reiseziel? Genehmigt. Seine Papiere waren in Ordnung. Ein Schlitz in der Wand erweiterte sich zu einem normalen Durchlaß. Durch ihn gelangte er in ein weiteres Zimmer, wo ihn zum ersten Mal seit der Landung ein Mensch erwartete.
Boardman war zu seiner Begrüßung erschienen. Und er brachte Marta mit. Ein dicker brauner Mantel, der von matten Metallfäden durchwirkt war, hüllte Boardman fast vollständig ein. Die vielen Ringe an seinen Fingern schienen ihn zu Boden zerren zu wollen. Seine mächtigen Augenbrauen waren so dicht wie dunkles Tropenmoos. Marta trug ihr Haar kurz und seegrün gefärbt. Sie hatte silbernen Lidstrich aufgetragen und den langen, schlanken Hals golden gefärbt. Sie sah aus wie eine schmuckbehangene Statuette ihrer selbst. Muller, der sich noch erinnern konnte, wie sie nackt und naß aus dem kristallklaren See gekommen war, gefielen diese „Verschönerungsversuche“ nicht. Und er bezweifelte, daß sie ihm zuliebe gemacht worden waren. Aber er wußte, Boardman gefielen Frauen in solcher Aufmachung. Es konnte kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die beiden zusammen ins Bett gestiegen waren. Muller hätte ein solches Geständnis kaum überrascht; im Gegenteil, er wäre sogar etwas schockiert gewesen, wenn es nicht dazu gekommen wäre, Boardmans Hand umschloß Mullers Handgelenk zum Gruß. Der Schreck des Nichtwahrhabenwollens ließ die Finger jedoch Sekundenbruchteile später schon wieder erschlaffen. Die Hand wurde rasch eingezogen, bevor Muller den Griff erwidern konnte. „Wie schön, Sie wiederzusehen, Dick“, sagte Boardman ohne Überzeugungskraft, während er ein paar Schritte zurücktrat. Seine Wangen schienen einzufallen, so als stünden sie unter starker Gravitation. Marta trat zwischen die beiden und drückte sich an Richard. Muller umarmte sie, berührte ihre Schulterblätter und ließ die Finger sanft bis zu ihrem kleinen, aber festen Hintern hinabwandern. Aber er küßte sie nicht. Ihre Augen blendeten ihn, als er in sie sah, und er kam sich zwischen den zurückprallenden Spiegelbildern seiner selbst verloren vor. Ihre Nasenflügel bebten. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Er spürte, wie ihre Muskeln sich unter dem dünnen Fleisch anspannten. „Dick“, flüsterte sie. „Ich habe jede Nacht für dich gebetet. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermißt habe.“ Sie kämpfte noch stärker gegen seine Umarmung an. Er ließ die Hände auf ihre Hüften sinken und preßte sie so heftig an sich, daß er glaubte, die Biegungen und Verrenkungen ihres Beckens spüren zu können. Seine Beine zitterten, und er fürchtete, sie würde hinfallen, wenn er sie losließe. Sie drehte den Kopf zur Seite. Er legte seine Wange an ihr zartes Ohr. „Dick“, wisperte sie, „ich fühle mich so seltsam… Ich bin so froh, dich wiederzusehen, daß in meinem Innern alles durcheinandergeraten ist… Laß mich los, Dick, ich fühle mich so, als müßte ich mich übergeben…“
Ja, sicher. Natürlich. Er ließ sie los.
Boardman schwitzte und fuhr sich nervös mit einem Tuch über das Gesicht. Er schluckte rasch ein Beruhigungsmittel, konnte trotzdem seiner Nervosität nicht Herr werden und marschierte unruhig auf und ab. Muller hatte noch nie zuvor ein solches Verhalten bei ihm bemerkt. „Ich glaube, ich lasse Euch beide jetzt ein paar Minuten allein, was?“ meinte Boardman schließlich. Seine Stimme klang eine halbe Oktave höher als gewöhnlich. „Dieser ständige Wetterwechsel macht mir doch zu schaffen, Dick. Wir sehen uns morgen und reden. Für Ihre Unterbringung ist bestens vorgesorgt worden.“ Boardman floh geradezu. Muller spürte jetzt zum ersten Mal, wie Panik in ihm aufstieg.
„Wo gehen wir hin?“ fragte er.
„Draußen wartet ein Kokongleiter — automatisch, natürlich. Wir haben ein Zimmer im Starport Inn. Hast du kein Gepäck?“
„Ist noch an Bord des Schiffes“, antwortete Muller. „Aber es kann warten.“
Marta biß sich unablässig auf die Unterlippe. Er nahm ihre Hand, und sie verließen auf dem Gleitband die Empfangshalle in Richtung Parkplatz. Nun mach schon, dachte Muller, sag mir, daß du dich im Moment nicht wohl fühlst. Erzähl mir endlich, daß du ganz urplötzlich von einer sonderbaren Übelkeit befallen worden bist.
„Warum hast du dir das Haar schneiden lassen?“
„Das ist eines der weiblichen Vorrechte. Gefällt dir meine neue Frisur nicht?“
„Nicht besonders.“ Sie stiegen in den Kokongleiter. „Es war vorher so lang, hatte einen tiefblauen Tonfall und sah so aus wie das Meer an einem stürmischen Tag.“ Der Gleiter schoß auf einer Quecksilberspur davon. Sie hielt deutlichen Abstand von ihm und preßte sich an ihre Tür. „Und erst dein Make-up. Tut mir leid, Marta, ich wünschte, es würde mir besser gefallen.“
„Ich wollte mich nur für deine Heimkehr hübsch machen.“
„Warum läßt du deine Unterlippe nicht in Ruhe?“
„Wieso, was tue ich denn?“