Der Bildschirm zeigte ihm Mondlicht, gebogene Gitterstäbe und kleine, fellbewachsene Schnauzen, die vor Zähnen strotzten.
„Ned?“ rief er. „Hier spricht Charles. Wir schicken Ihnen die Drohnen, mein Junge. In fünf Minuten haben wir Sie aus diesem verdammten Käfig befreit. Hören Sie mich, in fünf Minuten!“
2
Rawlins war ziemlich beschäftigt.
Es war irgendwie aberwitzig. Der Strom der kleinen Raubtiere schien kein Ende nehmen zu wollen. Schnüffelnd schoben sie erst ihre Schnauzen und dann den ganzen Körper durch das Gitter, immer zwei oder drei gleichzeitig — Wiesel, Frettchen, Nerze, Hermeline, was immer sie auch sein mochten. Sie schienen nur aus Zähnen und Augen zu bestehen. Aber es waren Aasfresser, keine wirklichen Raubtiere. Gott allein mochte wissen, was sie am Käfig anziehen mochte. Sie umzingelten ihn, kamen immer näher, strichen mit ihrem weichen Fell seine Knöchel, betasteten ihn mit ihren Pfoten, schlitzten mit ihren Krallen seine Haut auf und bissen ihn ins Schienbein.
Er trat nach ihnen. Er begriff schnell, daß ein einziger Stiefeltritt genügte, um ihnen das Rückgrat direkt hinter dem Kopf zu brechen. Eine rasche und effektive Methode. Danach konnte er das Opfer mit einem raschen Tritt in eine Ecke seines Käfigs befördern, wo die anderen dann sofort über den Kadaver herfielen. Kannibalen waren sie also auch. Rawlins entwickelte eine rhythmische Arbeitsweise. Drehen, Treten, Wegtreten. Umdrehen, Treten, Wegtreten. Umdrehen, Treten, Wegtreten. Knirsch. Knirsch. Knirsch.
Trotzdem richteten sie ihn übel zu.
In den ersten fünf Minuten hatte er kaum einmal Gelegenheit, Atem zu schöpfen. Umdrehen, Treten, Wegtreten. Er konnte etwa zwanzig von ihnen in diesem Zeitraum ausschalten. An der gegenüberliegenden Seite des Käfigs erhob sich ein Hügel zerschmetterter kleiner Körper. Ihre Kameraden suchten zwischen den Opfern nach den besten Stücken. Und dann kam schließlich auch der Moment, wo alle im Käfig befindlichen Aasfresser entweder tot oder mit dem Verspeisen ihrer Artgenossen beschäftigt waren. Und auch vor dem Gitter schlich kein Tier mehr herum. Rawlins bekam eine kleine Ruhepause. Mit einer Hand hielt er sich an einer Strebe fest, während er das linke Bein hob, um sich das Ausmaß der Bisse und Kratzer anzusehen. Ob man posthum das galaktische Ehrenkreuz verliehen bekam, wenn man an fremdplanetarer Tollwut zugrundeging? fragte er sich. Vom Knie an abwärts war sein Bein aufgerissen. Die Wunden waren zwar nicht tief, brannten und schmerzten aber höllisch. Plötzlich entdeckte er, warum die Aasfresser so versessen darauf gewesen waren, zu ihm in den Käfig zu kommen. Als er nämlich tief durchatmete, roch er den süßlichen Gestank verwesenden Fleisches. Er konnte sich die Ursache vor seinem geistigen Auge gut vorstellen: der Kadaver eines riesigen Tieres, dessen Unterleib aufgerissen war, aus dem die rotverklebten Organe quollen. Dicke, schwarze Fliegen bedeckten es wie ein Teppich. Die ersten Maden krochen bereits durch das Fleisch…
Aber hier drinnen gab es keinen faulenden Körper. Die erlegten Aasfresser waren noch nicht lange genug tot, um schon zu stinken. Außerdem war von ihnen kaum mehr als das Skelett übriggeblieben.
Rawlins begriff, daß es sich hier um eine Sinnestäuschung handeln mußte: offensichtlich eine Art Geruchsfalle, die im Käfig angebracht war. Ganz klar sonderte der Käfig den Fäulnisgeruch ab. Und warum? Na, um dieses Rudel Wiesel in den Käfig zu locken. Eine besonders ausgeklügelte Foltermethode. Er fragte sich, ob Muller wohl dahinterstecken konnte. Ob er in ein nahegelegenes Kontrollzentrum gegangen war und die Geruchsausstrahlung aktiviert hatte.
Aber Ned blieb keine Zeit mehr, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Ein frisches Bataillon von Raubtieren rannte über den Platz auf den Käfig zu. Sie sahen schon eine Nummer größer aus, waren aber noch klein genug, um zwischen die Gitterstäbe zu passen. Ihre Fänge glänzten unangenehm im Mondlicht. Rawlins tötete rasch drei der Biester in seinem Käfig, die überlebt hatten, und warf sie, einem rettenden Einfall zur Folge, durch die Stäbe nach draußen.
Sie flogen acht bis zehn Meter weit. Sehr gut, die Neuankömmlinge blieben stehen. Abwartend schnupperten sie, dann fielen sie wie auf Kommando über die zuckenden, noch nicht ganz toten Körper her, die da vor ihren Füßen gelandet waren. Kaum einer von ihnen machte sich die Mühe, zum Käfig vorzudringen. Und sie erschienen einzeln, so daß Rawlins die Möglichkeit erhielt, sie der Reihe nach totzutreten und nach draußen zu schleudern, um der Horde neue Nahrung zu verschaffen. Er sagte sich, daß er so alle erledigen konnte, wenn keine neuen Rudel auftauchen würden.
Als er siebzig oder achtzig von ihnen getötet hatte, sahen die Aasfresser davon ab näherzukommen. Der Geruch von frischem Blut überlagerte den synthetischen Gestank aus dem Käfig. Seine Beine schmerzten von der Anstrengung der Abschlachterei, und sein Kopf dröhnte. Aber allmählich kehrte die Nachtruhe wieder ein. Kadaver lagen in weitem Bogen rund um den Käfig verstreut. Manche trugen noch ihr Fell, von anderen waren nur noch die Knochen übrig. Eine dicke, tiefrot gefärbte Blutlache breitete sich über einige Quadratmeter aus. Die wenigen letzten Überlebenden waren, vollgestopft bis oben hin, davongetrabt, ohne noch einen Versuch zu unternehmen, den Insassen des Käfigs zu belästigen. Müde, erschöpft und in einem Zustand, in dem er in einem Moment laut auflachen und im nächsten Moment losheulen wollte, stellte sich Rawlins an die Gitterstäbe. Er sah nicht auf seine pochenden, blutüberströmten Beine hinab. Er spürte, wie das Feuer in ihnen immer heftiger brannte, und stellte sich vor, wie sich jetzt unzählige, fremdartige Mikroorganismen in seinem Blutkreislauf ausbreiteten. Am Morgen würde noch ein aufgedunsener, purpurrot verfärbter Leichnam von ihm übrig sein, ein Märtyrer für Charles Boardmans nimmersatte Pläne. Was für ein Blödsinn, in diesen Käfig zu gehen! Was für ein einfältiger Weg, Mullers Vertrauen zu gewinnen!
Doch plötzlich erkannte Rawlins, daß der Käfig auch seine Vorteile hatte.
Drei größere Tiere marschierten aus unterschiedlichen Richtungen auf ihn zu. Sie bewegten sich majestätisch wie Löwen, hatten ansonsten aber mehr Ähnlichkeit mit einem Wildschwein: niedrige Körper mit einem scharfen Rücken, ein Gewicht von um die hundert Kilogramm, langgezogene, dreieckige Köpfe, sabbernde Mäuler mit dünnen Lippen und winzige, schielende Augen, die in Paaren an jeder Seite direkt vor den zotteligen Hängeohren standen. Gebogene Stoßzähne ragten aus dem Maul und unterteilten die kleineren und schärferen Eckzahnreihen, die sich aus mächtigen Kiefern erhoben.
Mißtrauisch beäugte das Trio die Grausamkeit. Dann führten die Tiere eine kompliziert aussehende Serie von hüpfenden Bewegungen durch, was hinreichend auf das Problem von drei Konkurrenten verwies, die in runden, ineinander übergreifenden Wegen gegenseitig ihr Territorium abgrenzten. Sie verweilten etwas länger bei dem Haufen von Wieseltierkadavern, gehörten selbst aber eindeutig nicht zur Gruppe der Aasfresser. Sie suchten nach lebendem Fleisch. Daß sie die zum Teil von den Artgenossen zerrissenen kleinen Tiere verschmähten, war nicht zu übersehen. Als sie den Haufen lange genug inspiziert hatten, drehten sie sich um und schenkten Rawlins ihre volle Aufmerksamkeit. Sie standen in einem fünfundvierzig-Grad-Winkel zu ihm, so daß zumindest jeweils ein Augenpaar ihn anstarren konnte. Rawlins begrüßte in diesem Moment die Sicherheit seines Käfigs. Er legte angesichts dieses Trios, das da auf der Suche nach einem Nachtmahl durch die Stadt streifte, keinen Wert mehr auf eine Freiheit, in der er vornehmlich ungeschützt und ausgepumpt war. Leider begannen die Streben seines Käfigs in diesem Augenblick, geräuschlos in der Erde zu verschwinden.