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Es war deutlich zu sehen, wie schwer es Borromeo ums Reden wurde, denn er schwieg jetzt mit einem erleichterten und müden Gesicht und ließ den Blick langsam von dem Elfenbeinmesser aufwärts gegen das Licht schweifen. Arnold hatte den Kopf auf beide Hände gestützt und sein Gesicht verborgen. Was in ihm kämpfte und brauste, das ahnte Borromeo und das liebte er an ihm. Er stand auf, ging hin und legte Arnold die Hand auf die Schulter. »Nun?« fragte er leicht und kurz.

Arnold erhob den Blick und schnellte von seinem Sitz empor. Seine Wangen glühten. »Man kann das eine tun und braucht das andre nicht zu lassen«, sagte er. »Man kann beides tun.«

»O gewiß, man kann beides tun«, antwortete Borromeo. »Insofern keine Gefahr ist, daß man sich verzettelt. Gewiß. Die Erfahrung wird darin dein bester Lehrmeister sein. Wenigstens sehe ich, daß du nicht verstockt bist. Von den Idealisten ohne Kopf hab ich nie etwas gehalten. Sie schaden mehr als sie nützen. Gute Nacht, Arnold.«

Sie gaben einander die Hand.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Arnold war zu Borromeos Schneider gegangen. Zwei Tage später war er im Besitz von vier modischen Anzügen; das Zubehör an Wäsche war vorher besorgt worden. Zaudernd und umständlich bekleidete sich Arnold mit den neuen Dingen. Verlegen stand er vor dem Spiegel und blickte an seinem Bild herab wie an einem fremden Mann. Aha, redete er sich selbst an, da wärst du also, lieber Bruder, siehst immerhin merkwürdig aus, wie der Gevatter beim Hochzeitsfest. Er verzog das Gesicht und konnte sich lange nicht entschließen, das Zimmer zu verlassen, obwohl er noch am Morgen zur öffentlichen Bibliothek wollte. Als es überwunden war und er mit ungewohnter Langsamkeit die Treppen hinunter schritt, sah er im Korridor Anna Borromeo mit einer andern Dame plaudernd beisammen stehen. Frau Anna winkte ihm und sagte zugleich zu der Fremden: »Dies ist mein Neffe, Herr Ansorge.« Arnold blieb stehen, Anna Borromeo wies auf die fremde Dame und sagte: »Frau Natalie Osterburg.« Arnold reichte sofort nach seiner Gewohnheit die Hand und verspürte eine andere Hand, deren Winzigkeit ihn verblüffte. Die Frau lachte und schrie vor Schmerz, er möge sie loslassen; Anna Borromeo lächelte.

»Also das sind Sie!« sagte Natalie Osterburg, und das neugierige Kindergesichtchen hinter dem schwarzen Schleier blieb Arnold fragend zugewandt. »Petra hat mir von ihm erzählt, aber ich finde, er ist ganz hübsch.« Ein köstliches Aber.

Arnold fühlte sich zu der neuen Bekannten hingezogen, weshalb er ohne weiteres sein Kommen versprach, als sie ihn um seinen Besuch bat und Tag und Stunde bezeichnete. Sie sagte noch einiges zu Anna Borromeo, was wie das Geplätscher eines Springbrunnens klang, lachte, fragte mit kindlichem Ernst nach gleichgültigen Dingen, war unglücklich über das drohende Regenwetter, sagte, sie habe die größte Eile nach Hause zu kommen, vergaß es jedoch sogleich und fragte Arnold, ob er reiten könne. »Ich habe Sie mir als eine Art wilden Jäger vorgestellt, denken Sie nur, wie komisch«, meinte sie und lachend beugte sie den Oberkörper vor. Darauf verabschiedete sie sich und Frau Borromeo schien sehr erleichtert, als sie ging; Arnold beobachtete es an dem versteckten Spiel der Augen und ihn verdroß das liebenswürdige Lächeln, das Hinabbeugen über die Treppenbrüstung, das Winken mit der Hand, womit Anna Borromeo ihrem Gast das Geleit gab.

Natalie Osterburg war trotz ihrer zweiunddreißig Jahre noch die zierlichste Frau. Sie hatte eine Puppenfigur. Begeisterung und Neugierde waren die zwei Gefühle, von denen sie völlig beherrscht wurde. Sie war lustig, oft auch da, wo niemand es erwartete, und damit brachte sie manches vernünftige Gespräch und manchen ernsthaften Mann aus dem Gleise. Sie war stolz auf ihre kleinen Füße und Hände; sie war eitel, geschwätzig, naschhaft, vergnügungssüchtig, aber sie gewann ihren Tadlern einen Vorsprung ab, indem sie Geständnisse ablegte und sich verspottete. Wenn sie sprach oder ging oder saß oder lachte, dann leuchtete es vor Freude in ihren Augen, daß es möglich war, so sprechen, gehen, sitzen und lachen zu können wie sie. Für die Ausbrüche ihrer Bewunderung, ihrer Überraschung gab es kein zu kostbares Wort und keinen Gesichtsausdruck, der schwärmerisch genug war; in derselben Minute interessiert sie sich »rasend« für einen Klatsch und zappelt vor Ungeduld darüber, daß sie einen Traum, einen Namen, den Titel eines Buches vergessen hat. Sie hat zwei Kinder, Mädchen von zehn und acht Jahren, und sie liebt es mit einem lauten Staunen von ihnen zu erzählen, als sei das Dasein von Kindern etwas sehr Seltenes und als seien ihre Kinder die wunderbarsten auf der Erde.

Als Natalie nach Hause kam, fragte sie das Dienstmädchen, wo der gnädige Herr sei. Im Salon, wurde ihr geantwortet. Petra kam auf die Schwester zu und flüsterte ihr ein paar Worte ins Ohr. Natalie schloß erblassend die Augen und legte den Kopf gegen den Nacken. Petra sah sie mitleidig an und wandte sich zu den Kindern, die ihr gefolgt waren und die Mutter mit zärtlich verdrehten Ausdrücken begrüßten.

Herr Osterburg war nicht im Salon. Aus dem Schlafgemach nebenan drang ein ungewöhnlicher Lärm. Natalie öffnete mit theatralischer Langsamkeit die Tür und sah ihren Gatten bis zum Nabel nackt. Er war im Begriff, sich zu waschen und rieb den Körper mit einer Heftigkeit, als sei die Haut mit Teer beschmiert; dabei prustete, plätscherte, stöhnte und zischte er wie eine Maschine, die im Wasser versandet ist. Natalie betrachtete ihn mit einem maßlosen Erstaunen und einer zur Hälfte gespielten Verachtung. Herr Osterburg legte verdrießliche und eifervolle Falten in sein Gesicht, während er mit einem Flanelltuch die behaarte Brust trocknete und ächzend den Rücken rieb.

»Also so weit sind wir wieder, so fallen deine sichern Geschäfte aus,« sagte Natalie.

Osterburg versah eines seiner neuen Frackhemden mit Knöpfen, zog es aber nicht an, sondern legte sich mit nacktem Oberkörper auf die Ottomane. Er hob das Bein ein wenig in die Höhe und betrachtete seinen Lackschuh. Dann tat er einen tiefen Seufzer, warf sich empor, wie von einer Feder geschnellt und sagte düster und verlegen: »Ja, reich sein, reich sein, das ist das einzige.«

»Idiot«, murmelte Natalie.

Osterburg verfiel in ein starrkrampfähnliches Besinnen und betastete mit sorgenvoller Stirn die fette Gegend seines Magens. Erst als ihn fröstelte, dachte er daran sich anzukleiden. »Ich bin ruiniert«, sagte er dumpf. Dann machte er wilde Augen, streckte die Faust gegen die Decke und schrie. »Meinen heiligsten Schwur, daß ich in drei Wochen eine halbe Million haben werde, oder –« Er deutete mit prophetischem Ausdruck ins Unbestimmte und schwieg wie ein gescholtener Hund, als ihn Natalie gelassen und erwartungsvoll anschaute.

Natalie stand auf und eilte mit schnellen Schritten in das Zimmer ihrer Kinder. »Liebste Petra!« rief sie, »komm, ich will zur Mutter.«

»Nun?« fragte Petra in ihrer überlegenen Weise.

Natalie blickte sie unsicher an und erwiderte zerstreut: »Jaja. Aber du weißt, ich habe die Schneiderin zur Mutter bestellt, damit mein Mann das Kleid nicht sieht. Rasch, sonst wird es zu spät zum Probieren.« Sie küßte etwas summarisch ihre Kinder. Petra stand mit sarkastisch-ergebenem Lächeln abseits.

Kaum hatte Osterburg bemerkt, daß er allein sei, so erhob er sich, schüttelte unwillig den Kopf und fletschte die Lippen. Dann verfügte er sich in die Küche und fragte die Köchin, was sie zu essen habe. Schwermütig stand er am Herd und stierte in die Pfanne. Die Köchin zählte ihren Speisezettel an den Fingern ab, und Osterburg schlurfte anscheinend betrübt wieder hinaus. Sein Kopf war nur von einer einzigen Idee erfüllt: Geldquellen zu entdecken, Gold in Strömen aufzufangen um jeden Preis, durch jedes Mittel. Ihm schien, das Geld müsse für ihn auf der Straße liegen und er brauche nur hingehen und sich bücken.