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Hanka freilich fühlte sich als den Herrn. Anders zu leben war ihm nicht möglich. Glücklich sein hieß für ihn, unabhängig sein und jeden Zustand des Behagens mit freiem Urteil abmessen zu können. Da er so nach Sicherheit im Innern strebte, gab er nach außen Verläßlichkeit, eine Eigenschaft, worauf die Unverläßlichsten am meisten bauen und die sie am schnellsten entdecken.

In der Nacht konnte Hanka nicht schlafen. Er drehte die elektrische Lampe auf und versuchte zu lesen. Aber die Worte entglitten ihm. Dann stützte er sich auf den Arm und betrachtete Beates Gesicht. Es erschien ihm so fremd in seinem Schlaf, daß er einen leichten Schrecken verspürte. Die krampfhaft verschlossenen Lider ließen die dunkeln Streifen der Wimpern kaum bemerkbar erzittern. Die gewölbte Stirn war feucht, die weißen Schläfen bebten unter dem Lauf des Blutes. Die Lippen bewegten sich in unhörbaren Worten, welche vielleicht den Zügen ihren verschlossenen und rohen Ausdruck gaben. Hanka berührte ihre Schulter, um sie von dem quälenden Schlaf zu befreien. Kaum war sie erwacht und hatte ihn mit einem feuchten Blick angesehen, als sie ihre Arme um ihn preßte und ihren Körper fest an ihn schmiegte. »Ach Alexander,« flüsterte sie mit gebrochener Stimme, »du mußt mir etwas kaufen. Willst du?«

Sie wünschte sich eine Perlen-Halskette, die sie bei einem Juwelier gesehen. »Nie wieder will ich etwas, wenn du mir den Schmuck kaufst«, sagte sie.

Hanka versprach es. Aber darauf schwieg er bedachtsam. Unzufriedenheit entstand in ihm. Gründe der Leidenschaft konnten ihn nachgiebig stimmen, aber sie sickerten durch bis in seine Vernunft, wo eine ernsthafte Prüfung ihrer harrte. Dennoch schloß er Beate in alle Betrachtungen als das wertvollste Besitztum seines Lebens. Er sah in ihr das reine Kind, das sich ihm aufbewahrt. Daß er selbst es gewesen, der in einer Handlung von dunkler Kraft schon so frühe ihre Zukunft mit der seinen verknüpft, das erschien ihm als ein besonders trostvoller Wink des Schicksals.

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Als Arnold am folgenden Nachmittag in das Speisezimmer trat, waren Hyrtl und Pottgießer bei Anna Borromeo.

Kurz darauf wurde Frau Borromeo aus dem Zimmer gerufen. Ein Börsen-Agent war draußen, der sie zu sprechen wünschte. Pottgießer sprach von einer großen Gesellschaft, die demnächst in seinem Hause stattfinden sollte und lud Arnold ein.

Anna Borromeo kam zurück. Sie war sehr bleich, sagte aber mit heuchlerischer Lebhaftigkeit: »Ich höre eben, daß es im Parlament morgen eine Interpellation über den Fall Elasser gibt. Das ist doch was für dich, Arnold.«

»Ich weiß es«, erwiderte Arnold. »Ich habe den Abgeordneten unseres Bezirks dazu veranlaßt.«

Hyrtl und Pottgießer sahen ihn mit sonderbaren Blicken an.

»Da können Sie einen netten Skandal erleben«, bemerkte Pottgießer, indem sich sein Gesicht verfinsterte. »Wozu mischen Sie sich eigentlich da hinein?« wandte er sich an Arnold. »Die Juden sollen ihre Geschäfte selber austragen.«

»Sie sind doch auch ein Jude,« entgegnete Arnold verwundert und maß ihn von oben bis unten. »Gestern erst hat mir’s jemand erzählt, zufällig.«

Anna Borromeo war sichtlich erschrocken, Hyrtl spitzte moquant die Lippen.

»Ich war ein Jude,« versetzte Pottgießer scharf, »und ich hatte innerlich nie etwas mit Juden gemein. Aber lassen wir das.« Er lachte halb spöttisch, halb verlegen.

Hyrtl verabschiedete sich. Da Arnold sich ebenfalls erhoben hatte und in der Nähe der Türe stand, drückte ihm Hyrtl mit befremdlicher Herzlichkeit die Hand und sagte: »Kommen Sie doch einmal auf eine Stunde zu mir. Ich langweile mich so.« Nichts konnte ehrlicher klingen als diese wenigen Worte. Arnold schaute ihn groß an und lächelte freundschaftlich. Er versprach, zu kommen.

Er erwartete mit Ungeduld den nächsten Morgen. Als er im Zuhörerraum des Parlaments saß, war es unten noch leer. Langsam füllten sich die Reihen, auch rings um ihn nahmen Leute Platz. Wenn dies anfangs den Schein der Feierlichkeit besessen hatte, sehr verursacht durch die Schönheit des Raums, war es doch nur so lange, bis sich dem Auge viele von den Gestalten hier oben und dort unten besonders darboten. Denn diese Gesichter waren wie von einem Folterinstrument zu dem Ausdruck des Hohns, der Habsucht, der Niedrigkeit, der Geistesertötung, des Übelwollens, der Unwissenheit, der Langeweile und des fanatischen Hasses verzerrt. Indessen begnügte sich Arnold mit dem Bewußtsein, daß sich die Gesetzgeber des Landes hier versammelten und ein Teilchen des Volkes, das seine Richter und Väter kennen zu lernen wünschte; es sei also besser zu hören, als zu sehen und nützlicher zu warten als zu urteilen. Erst muß man sehen und lernen, dachte er, indem er dem Beginn der Verhandlungen lauschte und auf ein erschreckendes Geschrei aufmerksam wurde, wie unter den Streitenden in einem Bauernwirtshaus. Sobald nämlich der Name Elasser gefallen war, erhob sich ein betäubender Lärm, der in Schimpf- und Hohnreden bestand; viele erhoben sich, gestikulierten und brüllten; auch die Leute um Arnold fingen an zu lachen und zu brüllen, stiegen auf die Bänke und schmähten gegen die Juden und dergleichen. Die Parteigänger gaben ihre Sache natürlich nicht auf; auch ihrerseits erprobten sie die Kraft der Lunge. Dann kam einer zu Wort; er redete aber schlecht, stieß mit der Zunge an und ging um die eigentliche Sache feig herum. Niemand kümmerte sich um das, was er sagte. Mitten in seinem hudelnden Gewäsch erhob sich johlendes Gelächter, viele begannen wiederum zu schreien, zu pfeifen, zu zetern und das dauerte mindestens eine Viertelstunde lang, so daß ein richtiges Wort gar nicht mehr herausdrang.

Plötzlich läutete der Präsident, verkündigte den Schluß der Debatte, und es wurde von etwas anderm gesprochen.

Arnold schaute sich um, als ob er träume. Er hatte Lust, hinunterzuschreien und erhob unwillkürlich die Faust. »Das ist ja heillos, was die da treiben«, sagte er voll Wut zu seinem Nachbar, einem ungeheuerlichen Fettwanst, der ihn höhnisch anstarrte.

Er sprang auf, verließ die Tribüne, lief durch Treppen und Gänge hinunter, kam in eine prächtige, mit Säulen geschmückte Halle, wo plötzlich ein junger, gewählt gekleideter Mensch auf ihn zukam und mit gestreckten Händen und dem Ausdruck höchster Überraschung »Arnold!« rief. Arnold blickte empor und erkannte Maxim Specht. Doch seine Sinne waren so sehr von dem Vorgefallenen benommen, daß er leer nachdenkend in das Gesicht des ehemaligen Lehrers starrte. Specht war von dieser Kälte unangenehm berührt, ließ sich aber nichts merken, stellte Fragen über Fragen, schien voll Nachrichten, Neuigkeiten, Neugier, aber auch voll Behagen, Lebenslust und Lebenskenntnis. Arnold teilte ihm auf sein Verlangen mit, wo er wohnte, darauf trennten sie sich. Auf der Straße dachte Arnold nicht mehr an die Begegnung.

Er saß zu Hause eine Stunde lang in seinem Zimmer, als ihn Anna Borromeo rufen ließ. Er ging hinunter. Anna lag auf der Ottomane. Sie trug ein weißes, loses Gewand, welches über die Füße hinweg seitlich zur Erde fiel. Den Kopf hatte sie hintübergesenkt und die Augen geschlossen. Langsam öffnete sie die Lider, als Arnold eintrat und winkte ihm mit dem Arm, näher zu kommen. »Du siehst mich in Angst und Sorge, Arnold«, begann sie mit ruhiger Stimme. »Willst du mir aus einer großen Verlegenheit helfen?« Sie stützte sich auf den Ellbogen, hob sich empor und sah ihn erwartungsvoll an.

»Was ist es?« fragte Arnold.

Frau Borromeo schob ihre Kleidschleppe gegen sich heran und setzte sich aufrecht mit untergeschlagenen Armen. »Ich brauche nicht allein einen Helfer, sondern auch einen verschwiegenen Helfer«, sagte sie. »Nun das bist du, verschwiegen bist du, du bist ja ein Mann. Warum nimmst du nicht Platz?«

Arnold setzte sich auf einen der niedrigen Polstersessel. »Erst muß ich wissen, was es ist«, sagte er kühl.