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»Aber begreifen Sie denn nicht,« entgegnete Specht ironisch und nachsichtig, »der Verfasser will zeigen, wie ein Mann gerade durch eine ideale Liebe zugrunde gehen muß, wenn einmal das Innere seiner Seele krank oder angefault ist.«

»Gewiß versteh ich das,« sagte Arnold ruhig. »Aber an einem solchen Schwachkopf war doch nichts mehr zu verderben. Und heißt denn das zugrunde gehen, wenn man sein Geld verliert?«

Spechts Gesicht wurde immer länger. Der Mann ist gar nicht so dumm, schien er sagen zu wollen. Beide schickten sich an, auf ihre Plätze zurückzukehren, als Beate und Hanka aus einer Logentüre traten und die vier, einander betrachtend, sich gegenüberstanden. Beate verlor nur eine Sekunde lang die Fassung, dann reichte sie gleich Hanka den jungen Männern die Hand. Specht ließ kein Auge von ihr. Sie trug ein Kleid, welches wie von tausend Schuppen fischhaft schillerte und das Schultern, Arme und die Wölbung der Brüste freiließ. Gelangweilt vorbeischleichende Männer hefteten den frech-studierenden Blick auf sie, die sich dessen zu freuen schien, denn ihre Augen liefen unruhig funkelnd von Wand zu Wand, von Gesicht zu Gesicht.

»Mich langweilt dieses schlechte Stück,« sagte Hanka humoristisch gelaunt. Er hatte sich auf Beates Wunsch den Schnurrbart rasieren lassen und sah nun aus halb wie Napoleon, halb wie ein Jesuitenpater.

»Wir müssen uns sputen, es fängt an,« drängte Beate. »Weißt du was, Alexander,« rief sie plötzlich, »wir wollen vor unserer Abreise noch einen Podoliner Abend geben. Specht und Herr Ansorge sollen bei uns essen …«

»Sehr gut; aber Sie können auch sonst einmal zu einem Plauderstündchen kommen,« sagte Hanka zu Arnold, dessen Hand er in der seinen hielt.

Arnold nickte. Er fühlte auf einmal eine große Zuneigung zu Hanka.

Die Leute waren im dunkeln Theater wie in einer Höhle verschwunden. Specht blickte auf die Tür, durch die Beate gegangen war. »Haben Sie die Schultern gesehen?« murmelte er Arnold zu; »und das Gesicht? Sie sieht aus wie eine Prinzessin.«

Noch ein letzter Gast kam aus einem der Außenräume, Hyrtl. Specht stellte sich vor, und es wurde ausgemacht, daß alle drei nach dem Theater bei Hyrtl zu Abend essen sollten.

Einunddreißigstes Kapitel

Seitdem Hyrtl den eigentlichen Beweggrund von Arnolds Aufenthalt in der Stadt kannte und ihm die Erzählung Arnolds von Anna Borromeo wenn auch widerwillig, so doch ohne Entstellung, bestätigt worden war, hatte er nicht nur Respekt vor dem jungen Menschen (er achtete und bewunderte das Vortreffliche wie ein Leser von Kriegsgeschichten den Feldherrn, welcher Schlachten gewinnt), sondern er benutzte auch jeden Anlaß, Arnold vor andern zu erheben, und was er wußte, andern mitzuteilen, verschönt durch edle Einzelheiten, welche seine eigene Phantasie geboren hatte. Hyrtl schmückte sich mit den besten Eigenschaften seiner Freunde, indem er sie anerkannte, und er liebte seine Freunde leidenschaftlich, das will sagen, alle Menschen, die ihm Gesellschaft leisteten.

Als der Diener die Tür von Hyrtls Wohnung öffnete, sprang ein kleiner gelber Hund zur Begrüßung heraus. Die Ausstattung der Zimmer zeigte alle Arten und Größen von Sofas und gepolsterten Sesseln. Auf Glastischen standen in roten, grünen, blauen und gelben Fläschchen Essenzen und Wohlgerüche, auf dem Schreibtisch lagen in gewählter Ordentlichkeit Siegel, Uhren, Brieftaschen, Anhängsel, Ringe, Dosen, Ketten und aus allen Ecken und von jeder Wand starrten Photographien von Herren und Damen mit liebevollen Unterschriften. Dem Bücherkasten gegenüber stand eine kleine, uralte Zimmerorgel.

In Hyrtls blassen Zügen zitterte schon jetzt die Angst, daß die Gäste ihn zu früh verlassen könnten, denn wie sehr fürchtete er die einsamen Stunden der Nacht! Durch diese Furcht wurde er witzig; etwas Berückendes und Liebenswertes trat aus seinem Wesen hervor, je mehr die Stunde vorrückte. Hilfsbedürftig klammerte er sich an jedes Lächeln seiner Gäste.

Specht setzte sich an die Orgel und trat den Windbalg. Aus seinen Schulmeistertagen war er noch mit einigen Griffen vertraut, und er spielte eine choralähnliche Folge von Akkorden.

Hyrtl lobte sein Spiel, dann wandte er sich zu Arnold und sagte: »Ich möchte Sie nächstens mit einer Freundin von mir bekannt machen, einer russischen Studentin.«

»Aus welchem Grund?«

»Ihr beide würdet wunderbar zusammenpassen. Es macht mir manchmal Freude, Menschen zueinander zu führen, Schicksale zu erzeugen.«

»Die reine Alchimisterei,« spottete Specht.

»Nein wirklich,« beharrte Hyrtl, »Verena Hoffmann würde Ihnen gefallen.«

»Verena Hoffmann?« rief Specht. »Die kenn’ ich ja. Lebt die nicht mit einem gewissen Tetzner?«

»Ja. Aber es ist ein ganz einwandfreies Verhältnis.«

Specht lachte. »Hat sie’s Ihnen schriftlich gegeben? Einwandfrei! Was heißt denn das? Soll übrigens sehr reich sein, dieser Tetzner.«

»Jawohl. Es ist ein reicher Gutsbesitzer, der Nihilist geworden ist. Wenn Sie erlauben, Herr Ansorge, werd’ ich Sie morgen mit dem Wagen abholen und wir fahren zu Verena.«

Arnold nickte.

»Gehen Sie schon?« fragte Hyrtl traurig, da die jungen Leute Anstalt machten, aufzubrechen, und indem er Arnold die Hand reichte, fügte er hinzu: »Alleinsein ist bitter. Lieber einen Raubmörder zur Gesellschaft haben als allein sein.«

»Warum arbeiten Sie nicht?« fragte Arnold hart.

Hyrtl zuckte die Achseln. »Ich kann nichts,« antwortete er. »Ich war Kaufmann, aber ich hätte ebensogut Strümpfe stopfen können. Ich würde ja nur irgend einem Berufenen den Platz wegnehmen, wozu? Mein Vater hat mir genug hinterlassen, daß ich die paar Jahre, die ich noch zu leben habe, in Gemütsruhe erledige.«

»Was heißt das?«

»Das heißt, daß ich sehr krank bin. Mein Herz ist kaput.«

Als seine Gäste gegangen waren, gab sich Hyrtl eine Zeitlang seinen trostlosen Betrachtungen hin. Dann versuchte er zu lesen. Die Buchstaben tanzten. Wie albern und schrecklich das Gedichtete der Dichter in den einen Ruf zusammenklang: wir können dir nicht helfen. Er griff zu medizinischen Werken, zu philosophischen Schriften, zu alphabetischen Lexika, zu alten Zeitungen; schließlich öffnete er ein Fach seines Schreibtischs, nahm ein schwarzes Heft heraus und schrieb. Es war eine Art Tagebuch, das die oberflächlichen Dienste eines Spiegels verrichtete und einen Widerklang der eitlen, leeren, ärmlichen und empfindsamen Dinge bildete, die sich im Kopf dieses Menschen wie eine Schar von Insekten herumtrieben. Doch Hyrtl prahlte mit diesem Heft vor seinen Freunden und hielt es geheim. Das Schloß, hinter dem es lag, zeigte dreifachen Verschluß und gab zuletzt erst dem Druck einer verborgenen Feder nach.

Hyrtls Gesicht war müd und welk geworden. Er kleidete sich aus, wälzte sich noch lange unter der himmelblauen Atlasdecke umher, und erst als das Tageslicht auf die Dielen fiel, sank er in Schlaf.

Verena

Zweiunddreißigstes Kapitel

Am folgenden Tag war Arnold mit Hyrtl wirklich in die Wohnung Verena Hoffmanns gefahren. Das Fräulein hatte sie ziemlich kühl empfangen und Arnold merkte gleich, daß es mit der Freundschaft, deren sich Hyrtl gerühmt, nicht so recht stimmte. Er selbst verhielt sich schweigsam und beobachtend. Nach einer Viertelstunde gingen sie wieder.

Durch einen scheinbar unerklärlichen Anstoß begann Arnold sich plötzlich abzuschließen. Er folgte keiner Einladung mehr und war unzugänglich für jeden Besucher. Er nahm auch an den Mahlzeiten bei Borromeos nicht mehr teil, sondern versorgte sich entweder zu Hause mit Schinken und Wurst oder suchte irgend eine nahegelegene billige Wirtschaft auf. Trotz des Alleinseins wimmelte es um ihn her von Bildern und Gesichtern, die seinen Geist in unaufhörliche Beschäftigung versetzten und den Stunden der Arbeit die Leichtigkeit raubten. Wohin mit all der Mühe? dachte er bisweilen in Zweifeln, die wie schwarze Vögel am Horizont flogen, — wohin? zu welchem Ufer, du Segler? Er arbeitete, ohne die Anerkennung eines Freundes zu genießen.