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Er zündete eine Kerze an, verließ das Zimmer, ging durch einen Salon, in welchem die Sessel schon mit staubschützenden Überzügen versehen waren und betrat das Schlafgemach. Beate lag im Schlafrock auf dem Bett und schlief. Er zögerte, stellte dann die Kerze vorsätzlich geräuschvoll auf ein Marmortischchen und Beate schreckte empor. »Hast du ihn fortgeschickt?« fragte sie schlaftrunken. »Lösch doch die Kerze aus, Alexander, sonst verbrennt der Vorhang«, fuhr sie munter werdend fort. »Es ist ja Licht genug, siehst du denn das nicht?« Da er nicht antwortete, sondern auf- und abzugehen begann, verfolgte sie ihn mit ungeduldigen Blicken. »Du könntest jetzt zu Bett gehen«, sagte sie verdrießlich. »Wir müssen ausschlafen, ich muß morgen früh noch meine Handtasche packen.«

»Die magst du wohl packen«, entgegnete Hanka mit Ruhe. »Du kannst auch reisen, wenn es dir gefällt, aber es wird ohne mich sein.«

Beate riß erstaunt die Augen auf. »Ja, bist du denn toll?« schrie sie endlich, starrte wieder und lachte darauf laut. Sie hob sich empor, brachte die Füße auf die Erde und indem sie auf dem Rand des Bettes sitzen blieb, zeigte ihr Gesicht einen Ausdruck von Angst, Sorge und Haß.

Es schien, als ob Hanka von alledem nichts sähe. Er begann in gleichmütigem Tonfall wieder zu sprechen. »Ich frage dich nicht, in welchem Verhältnis du zu Maxim Specht stehst; weder was dich veranlaßt, im Wagen geheimnisvoll mit ihm durch die Stadt zu fahren, noch was zwischen euch schon in Podolin vorgegangen ist. Ich frage auch nicht, was es mit dem Knecht beim Grafen Randomir auf sich hatte. Ich will nur wissen, was du mir jetzt zu sagen hast, da dir bekannt ist, daß ich alles weiß.«

Beates Gesicht war erdfahl geworden. Ihr Rücken krümmte sich, und ihr Kopf sank ein wenig herab. Langsam öffneten sich die Lippen und ließen die fest zusammengepreßten Zähne sehen. Es schien, als ob sie gleichzeitig lachen und schreien wolle. Ihre Finger bewegten sich, ihre Zehen rührten sich in den dünnen Strümpfen, ihre Knie drückten sich gegeneinander, ihre Arme zuckten, dann stand sie jählings auf und sagte mit grenzenloser Verachtung: »Der Hund also! der Schwätzer! der gemeine Denunziant!« Mit einer blitzartigen Bewegung nahm sie das Umhangtuch, das auf dem Bett lag, schlug es um den Kopf, ging auf Strümpfen stolz zur Tür und schlug sie knallend hinter sich zu.

Ein verblasenes Lächeln glitt über Hankas Mund. Er blieb stehen und drückte die Augen zu, als wollte er sagen: Genug, übergenug. Doch keine Minute war verflossen, als Beate wieder zurückkam. Sie weinte; sie setzte sich auf einen Stuhl und drückte die Hände vor die Augen. »Es liegt nun an dir«, sagte Hanka, »dein Leben in Zukunft so gut wie möglich einzurichten. Ein öffentlicher Skandal widerstrebt mir ganz und gar. Es ist also gut, wenn du in aller Stille die Stadt verläßt. Ich lasse dir Zeit, ich will für einige Wochen weg, damit kein Aufsehen entsteht. Was ich dir zu einer anständigen Lebensführung materiell biete, werde ich morgen schriftlich feststellen lassen. Hast du noch etwas zu sagen?«

Als Beate merkte, daß es so bitterer Ernst war, ging eine neue Veränderung mit ihr vor. »Ich bin unschuldig, Alexander!« rief sie aus, »sie haben mich verführt, bei Gott. Sie haben mich unglücklich gemacht.« Sie fiel vor dem Bett auf die Knie und legte ihr Gesicht in die Kissen.

»Das mag wahr sein«, sagte Hanka freundlich, der vor dem Spiegel stand und so nach ihr hinschaute.

Beate erhob rasch den Kopf und in ihrem Gesicht war ein naiv hoffender Ausdruck.

Hanka lächelte schmerzlich. Er begriff, daß seine Sprache nicht zu den Ohren dieser Frau dringen konnte, daß seine Welt in andern Sphären rollte, daß sein Blut anders beschaffen war und daß Beate dies nicht einmal zu ahnen vermochte. »Richte dich nach dem, was ich gesagt habe«, bemerkte er kühl und wandte sich zum Gehen. Als er den Raum schon verlassen hatte, hörte er Beates aufschreiendes Lachen.

Er kehrte in das Eßzimmer zurück, setzte sich ans Klavier, schlug irgend ein Notenheft auf und präludierte. Aber es war, als ob sich zwischen ihm und dem Instrument eine Wand befinde; die Töne blieben dumpf und fern. Er stand auf, öffnete die Fenster und die Glastür, die in den Garten führte. Er ging hinaus. Von Bäumen und Sträuchern tropfte das Regenwasser, und über den Beeten lag schwärzestes Dunkel. Am weißlichgrauen Himmel schoben sich Wolken hin, und das Gewitter leuchtete noch in der Ferne. Ich war ein andrer Mensch, als jene Blitze noch auf der andern Seite des Horizonts standen, dachte Hanka; zwischen zwei Windstößen hat sich das Schicksal gewandt. Er verfolgte die geschlungenen Gartenwege, und das unveränderliche Tropfen des Wassers klang ihm wie die Hämmer des Klaviers, das an diesem Abend nicht hatte tönen wollen. Es war spät, als er wieder in das Zimmer zurückkehrte, das er nach allen Seiten abschloß. Er nahm in einer Ecke Platz und griff zu einem Buch, zu einem zweiten und dritten. Hanka hatte ein Gefühl der Müdigkeit und Schwere, als ob er zwei Nächte durchzecht hätte. Er streckte sich im Sessel aus, und in seinem Kopfe begann ein hohles Denken, welches in einen hohlen Schlummer überging, als die Blätter im Garten von der Morgenröte zu erglühen anfingen.

Siebenunddreißigstes Kapitel

Nachdem Arnold Hankas Haus verlassen hatte, stand er eine Weile unschlüssig vor dem Tor. Dann schritt er die unbekannte Gasse entlang, kehrte aber wieder zurück. Schweigend standen die Villen und Landhäuser zu beiden Seiten der Straße, und sein Ohr vernahm keinen andern Laut als den des Regens. Er gelangte vor eine Bank, die unter dem Schutze eines alten Kastanienbaumes leidlich trocken geblieben war und setzte sich nieder.

Der letzte Blick und Händedruck Alexander Hankas wollten ihm nicht aus dem Kopf. Arnold fühlte wohl, daß darin mehr und anderes enthalten war als die dankbare Quittung für einen wohlgemeinten Dienst, anderes jedenfalls, als was Arnold erwartet hatte. Er hatte erwartet, daß ein Mann, der behäbig im Finstern gesessen, sich überrascht, tätig und entschlossen dem Licht zuwenden würde, das ihm ein Freund ins Haus getragen. Statt dessen, das verrieten ihm Empfindung und Beobachtung, hatte er einen Gedemütigten hinter sich gelassen. Arnold hatte geglaubt, eine Wahrheitsschuld abzutragen, und er hatte ein Gericht abgehalten. Hankas Blick war deutlich: du hast gerichtet, aber wer hat dich gerufen? War dies nun die Schwäche Hankas oder war es die menschliche Schwäche oder war es Arnolds Irrtum?

Ist es Hankas Schwäche, dachte Arnold, dann beruht sein Glück darauf, nicht zu sehen, wie das meine, sehen zu wollen. Und so wenig ich die Macht habe, ihm mein Gehirn und mein Auge zu geben, so wenig steht bei mir das Recht, ihm meine Wahrheit aufzureden. Hier ist kein Ausweg, obwohl ich sehe, daß jedes Ding, gutes Ding und böses Ding zwei Seiten hat. War es eine menschliche Schwäche, dann kann es ja auch meine Schwäche sein, und es wird für mich um so vielmal schwerer, Recht zu haben, als es außer mir noch Menschen gibt. Was Hanka besitzt, das ist sein Eigentum: Kleid, Haus und Weib. Ich nehme an, Hanka käme zu mir und sagte: deines Vaters Geld, von dem du zehrst, ist durch List, fremden Schweiß und fremde Not zusammengehäuft. Ich müßte es prüfen und richtig finden und müßte von mir werfen, was ich durch Lüge besitze, weil ich doch behauptet habe, daß jeder seine Lüge von sich werfen soll. Aber wie ist es mit Beate? Vielleicht war es der beste Weg, den sie erkannt hat, zu schweigen? Vielleicht war es ihre Kraft, nicht zu bekennen, und sie liebte Hanka am besten, wenn sie sein Nichtwissen liebte? Vielleicht war hier die Lüge das Bessere. Lüge, das ist doch nur ein Wort. Aber wie? wenn er es auf rohe und niederträchtige Art erfahren hätte? ist ein Wille, der etwas vollbringt, nicht ebenso gut wie das Ungefähr? und gilt es darum nicht als Wahrheit, weil ich es gewollt?